Kindheit zwischen ABC und Akrobatik

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Langeweile? Niemals! In einem Zirkus gibt es immer genügend Kinder zum Spielen. Jamie-Lee, Kenya und Alya (von links)

 

Wie ist das, in einem Zirkus großzuwerden? StadtLandKind zu Besuch beim „Wanderzirkus Fischer-Starlight.“

Ein Wanderzirkus ist im Ort. Ein buntes Zelt mit wehenden Fahnen, vorne  das Kassenhäuschen, hinten die Ställe, weiße Zäune als Absperrung. Ein Mädchen mit wehenden Zöpfen rennt  zwischen Wohnwagen hindurch einem kleinen Hund hinterher. Aus der Ferne wirkt alles wie aus dem Bilderbuch. Aber wie idyllisch ist die Idylle aus der  Nähe betrachtet? Wie ist es, im Zirkus groß zu werden? Kenya Fischer vom Zirkus Fischer-Starlight hat uns einen kleinen Blick in ihr Leben gewährt.

Wenn Kenya von der Schule erzählt, dürfte bei so manchem Gleichaltrigen Neid aufkommen. Denn die Zwölfjährige geht nicht zur Schule – sondern die Schule kommt zu ihr: Montags und mittwochs macht das Schulmobil Station beim Zirkus Starlight, der Kenyas Familie gehört. In dem fahrende Klassenzimmer werden die Kinder unterrichtet, die mit dem Zirkus unterwegs sind. Eine Zwei-Tage-Schulwoche? Das klingt verlockend. Aber selbstverständlich hat Kenya an den übrigen Tagen nicht frei. „Wir haben einen Ordner mit Aufgabenblättern, die wir bearbeiten müssen, auch wenn das Schulmobil nicht da ist“, erzählt die Fünftklässlerin. Das erfordert viel Disziplin. Trotzdem mag Kenya die Schule, besonders das Rechnen.

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In ihrer „Klasse“ sind sechs Kinder, die Jüngsten lernen gerade lesen, die ältesten sind Sechst- und Siebtklässler –und alle sind mit Kenya verwandt. Elf Geschwister hat das Mädchen mit den langen blonden Haaren, zwei Brüder und neun Schwestern. Dazu kommen noch viele Nichten und Neffen, denn Kenya ist das Nesthäkchen. Mehrere ihrer Schwestern – die älteste ist 35 – haben selbst schon Kinder, zum Teil im Teenager-Alter. „Im Grunde“ überlegt Kenya, „war ich ja dann schon vor meiner Geburt Tante.“

Nachmittags, wenn andere Kinder in den Sportverein gehen oder losziehen, um Freunde zu treffen, macht Kenya sich zurecht für ihren Auftritt. In der Manege präsentiert sie eine Hula-Hoop-Nummer und seit diesem Jahr auch in luftiger Höhe eine Akrobatik-Vorführung am römischen Halbmond, einer Art Trapez. Hat sie noch Lampenfieber?
„Nöö“, sagt Kenya – seit sie sieben ist, tritt sie vor Publikum auf.

Manchmal kommen nach der Vorstellung Kinder zu ihr und wollen wissen, wie es so ist, im Zirkus zu leben. Kenya zeigt ihnen die Tiere, vielleicht auch den Wohnwagen, in dem sie mit zwei ihrer Schwestern schläft oder sie übt Hula-Hoop mit ihnen. Dann kann sie sich ein bisschen vorstellen, wie es sich anfühlt „richtige“ Freunde zu haben. Doch die  Zeit, um Freundschaften zu schließen, ist knapp: Im Schnitt vier oder fünf Tage bleibt der Wanderzirkus an einem Ort, dann geht es weiter. Mal 20 Kilometer,  mal 40, je nachdem, wo sich eine Gelegenheit für einen Stellplatz bietet. Gibt es einen Ort, an den Kenya besonders gerne kommt? „Frankfurt!“, fällt ihr ein. „Dort gibt es eine Kirmes, da essen wir rote Äpfel und meine Schwester hat da ein Fahrgeschäft – eine Wasserbahn!“
Oft sind es kleinere Orte, in denen der Zirkus gastiert – und meistens ist dort keine Kirmes. Dann schaut Kenya sich um, vielleicht gibt es eine Strecke zum Ausreiten. Und wenn nicht? Dann spielt sie mit ihren Nichten, oder sie putzt das Mini-Pony Herkules, oder sie füttert die Hundebabys. Oder sie trainiert. Denn im kommenden Jahr will die  Nachwuchs-Artistin zusätzlich zu Hula-Hoop und Trapez noch einen Seiltanz präsentieren. Wenn keine Vorführung ist, spannt ihr Vater das Drahtseil quer durch die Manege, damit Kenya die Schritte einstudieren kann – momentan noch auf Kniehöhe. Im Winter ist Üben angesagt. Dann ist die Zeit dafür. Denn in den kalten Monaten macht der Zirkus Pause. Wo? Auch das entscheidet sich erst kurzfristig. Optimal ist eine Halle oder Scheune, in der auch die Tiere unterkommen können – die zu finden, ist aber weder einfach noch billig.

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„Früher war alles leichter“, ist einer  der Lieblingssätze von August Fischer, Kenyas Vater. Auch er ist im Zirkus aufgewachsen, wie schon sein Vater und  dessen Vater. Oft und gerne erinnert der 57-Jährige an die „gute alte Zeit“  – würde er sich trotzdem wünschen, dass seine jüngste Tochter dem Zirkus treu bleibt? „Das muss sie ja zum Glück jetzt noch nicht entscheiden“, sagt er.
Kenya allerdings ist sich ihrer Sache schon ziemlich sicher. „Ich zieh das durch!“, sagt sie bestimmt – schließlich hat sie ja noch einiges vor: Der Tanz auf dem Drahtseil steht an, außerdem würde Kenya gerne mal eine Pferdedressur übernehmen und auch eine Hundenummer mit Welpen fände sie toll …

npo // Fotos: Petra Arnold

Mehr zu Petra Arnold unter: petraarnold.com

10. Dezember 2014
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