Für homosexuelle Paare ist es nicht einfach, Kinder zu bekommen. Manchmal klappt es aber doch.
Ein Bericht von Sarah Hinney
Anna ist vier. Sie hat eine Mami und eine Mama. Die Mami hat sie zur Welt gebracht, die Mama hat sie nach der Geburt adoptiert. Und dann ist da natürlich noch Annas Bruder Tom. Beide Frauen – wir nennen sie Silke und Laura – haben Tom adoptiert. Zusammen sind sie eine Regenbogenfamilie. So nennt man gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern. Dass die vier als ganz normale Familie an der Bergstraße zusammenleben können, verdanken sie einer großen Portion Glück, denn für homosexuelle Paare ist es schwer, eigene Kinder zu bekommen, in Adoptionsverfahren sind sie oft ebenfalls benachteiligt, das hängt ganz von der Einstellung des jeweiligen Jugendamtes ab.
Laura und Silke ist beides gelungen.
Vordergründig sind Homosexuelle in unserer Gesellschaft akzeptiert. Aber: Wenn sie gemeinsam Kinder aufziehen möchten, dann ist das für viele Menschen schwer vorstellbar. Die traditionelle Familienvorstellung Mutter-Vater-Kind ist fest verankert, auch wenn sich mit Alleinerziehenden und Patchworkfamilien längst andere Familienformen gesellschaftlich etabliert haben. Die Vorstellung, dass zwei Männer oder zwei Frauen gemeinsam Kinder aufziehen, ist für viele Menschen irritierend. Vielleicht liegt es daran, dass Regenbogenfamilien selten sind. Schätzungen zufolge sind knapp zehn Prozent aller Menschen homosexuell, nur ein kleiner Teil dieser zehn Prozent entscheidet sich für eine Familie mit Kindern. Paare, die es tun, haben nicht nur mit Vorurteilen zu kämpfen, sie kämpfen auch gegen gesetzliche Hürden, auch wenn die in den vergangenen Jahren kleiner geworden sind. Ein weiteres Problem ist, dass homosexuelle gegenüber heterosexuellen Paaren medizinisch benachteiligt sind.
Der Weg zum ersten gemeinsamen Kind – Anna – war für Laura und Silke nicht einfach. Laura wollte immer Kinder haben. Am liebsten vier. Gerne eigene, aber eine Adoption war für sie ebenfalls eine Option. Naheliegend für lesbische Frauen ist die künstliche Befruchtung. Der Gesetzgeber hat damit kein Problem, dafür legt die Bundesärztekammer den Homosexuellen Steine in den Weg. Insemination (künstliche Befruchtung) wird in Deutschland nur für heterosexuelle Paare „in sicheren Beziehungen“ empfohlen. Im Vordergrund steht hier die Überzeugung, dass Kinder am besten mit beiden Geschlechtern aufwachsen.
In einigen EU-Nachbarländern sieht das anders aus. In Belgien, den Niederlanden und Dänemark werden beispielsweise auch alleinstehende Frauen und lesbische Paare bei ihrem Kinderwunsch ärztlich unterstützt.
Die meisten deutschen Ärzte haben sich noch vor kurzem an die Empfehlung der Ärztekammer gehalten, gleichgeschlechtlichen Paaren nicht bei der Erfüllung ihres Kinderwunsches zu helfen. „Und die, die es nicht taten, ließen sich das teuer bezahlen“, sagt Laura. Für die Familien war das keine Option. Den beiden Frauen blieb nur die private Suche nach einem Spender.
Eine mühsame Suche. Es gibt Online-Foren, in denen sich Männer als Spender anbieten, die beiden Frauen schreckte es ab, sich einen wildfremden Mann aus dem Internet als Samenspender für ihr Kind zu suchen. Jemanden aus dem Freundeskreis fragen, wollten sie auch nicht. Schließlich sollte es ihr gemeinsames Kind sein. „Da sollte nicht plötzlich ein Vater auftauchen“. Ein gemeinsamer Bekannter, der mit Frau und Kind weit weg wohnt, bot sich schließlich als Spender an. Er ist selber bereits Vater, seine Frau war einverstanden, denn beide wollten den Frauen helfen. Und da war sie, die erste Portion Glück, denn: „Es gibt nicht viele Männer, die bereit sind, einen solchen Schritt zu gehen und gleichzeitig auf die Vaterschaft zu verzichten“, sagt Laura.
Mit dem Glück kam Wunschkind Anna.
„Das Kinderzimmer war aber viel zu groß für nur ein Kind“, lachen Laura und Silke heute. Sie wollten noch eins und bemühten sich um ein Pflegekind, wohlwissend, dass die Chance auf eine Adoption in ihrer Situation gering ist. Überraschend kam schließlich doch der Anruf vom Jugendamt. Es gab ein Kind, einen Tag alt, ein Frühchen, 800 Gramm schwer. Die Mutter wollte es zur Adoption freigeben, Pflege kam für sie nicht in Frage, sie wollte klare Strukturen für dieses Kind und wünschte sich ausdrücklich ein Mütterpaar. Laura und Silke haben großen Respekt vor dieser klaren Entscheidung: „Wir sind ihr sehr dankbar.“
Wenige Wochen später zog der kleine Tom zu der Familie an die Bergstraße. Eine Maschine überwachte in den ersten Monaten sein Herz, das immer wieder Aussetzer hatte. Eine wahnsinnige Verantwortung, dazu die „große“ Tochter, die gerade mal zwei Jahre alt und damals oft krank war. „Es war eine unglaublich anstrengende Zeit“, erinnern sich die Mütter. Heute ist Tom ein kerngesundes, fröhliches Kind. Während wir reden, turnt er über das Sofa, wirft sich mal der Mama und mal der Mami in die Arme, zwischendurch zeigt er mir seine Knete-Vorräte. Alles gut? Ja. Trotzdem mussten die Mütter wieder einen Umweg nehmen, bis sie beide Mutter von Tom werden durften.
Adoption mit Umwegen
Die gemeinsame Adoption eines Kindes ist homosexuellen Paaren in Deutschland nicht erlaubt. Aber es gibt Nischen. Glück für Laura und Silke: Erst seit 2013 besteht die Möglichkeit, das adoptierte Kind des Partners zu adoptieren. Klingt kompliziert? Ist es auch. Zumal sich ein Adoptionsverfahren länger hinziehen kann. Insgesamt hat es 20 Monate gedauert, bis Tom von beiden Eltern adoptiert war. Die Entscheidung, wer Tom zuerst adoptieren darf, haben beide Frauen gemeinsam getroffen. Es war keine leichte Entscheidung. Für den Partner, der nachträglich adoptiert, bleibt ein gewisses Risiko. „Ich habe ihn gestillt, war Tag und Nacht für ihn da, er war von Anfang an genauso mein Kind“, sagt Laura. Gestillt? Ja, Laura hat Tom tatsächlich gestillt, denn kaum lag das Kind in ihren Armen, stellte sich bei ihr der längst versiegte Milchfluss wieder ein. Ein kleines Wunder.
Aber was wäre gewesen, wenn Silke sich von ihr getrennt hätte oder wenn ihr etwas zugestoßen wäre, in der Zeit, in der Laura noch nicht die offizielle Mutter von Tom war? Laura will gar nicht darüber nachdenken. Denn dann hätte sie keinerlei Rechte auf „ihr Kind“ gehabt.
Tom hat also nicht nur eine Mama und eine Mami, er hat auch eine „Bauchmama“ und manchmal sieht er sie auch. Über Toms Vater wissen die Frauen nichts. Ganz verstehen kann Tom all das natürlich noch nicht. Schwester Anna versteht hingegen schon einiges. Wenn Anna nach ihrer Familie gefragt wird, dann sagt sie: „Ich habe eine Mama, eine Mami und einen Papa, aber der wohnt ganz weit weg.“ Und Anna möchte ihren Papa inzwischen auch kennenlernen. „Das wird sie“, sagen ihre Mütter. Bald. Aber noch nicht gleich.
Die Familie fühlt sich wohl in ihrem Ort. Situationen, in denen ihnen Menschen mit Ablehnung begegnen, gibt es sehr selten. Aber es gibt sie. Einmal hat ein älteres homophobes Paar mit Enkelkindern den Spielplatz verlassen, auf dem auch Laura und Silke gerade mit ihren Kindern spielten. „Der Tag war für mich gelaufen“, sagt Laura.
Manchmal stört sie die Indiskretion, wenn sie sich als Paar mit Kindern vorstellen und dann dem Gegenüber der Satz entfährt: „Wie habt ihr das denn geschafft?“ „Ein heterosexuelles Paar wird ja auch nicht bei der ersten Begegnung gefragt, wie lange es gedauert hat, bis die Frau schwanger war“, sagt Laura. Und zum ersten Mal zeigt die lebenslustige, fröhliche Frau auch eine verletzliche Seite. Aber nur kurz. Dann strahlt sie wieder und drückt Tom fest an sich. Anna geht in den Kindergarten, dort ist die Regenbogenfamilie voll integriert. Und an Muttertag darf Anna dort eben zwei Geschenke basteln.
Laura und Silke kennen auch Regenbogenfamilien aus der Region. Kontakte haben sie über ILSE Rhein-Neckar, die Initiative lesbischer und schwuler Eltern geknüpft. „Es gibt regelmäßige gemeinsame Treffen, da kommen dann schon mal 50 Leute zusammen“, erzählen die Frauen. Diese Treffen sind schön für sie selber. „Es ist aber vor allem wichtig, dass unsere Kinder sehen, dass es noch mehr Kinder gibt, die zwei Mamas oder Papas haben.“ Denn Anna hat mit ihren vier Jahren durchaus verstanden, dass ihre Familie ein bisschen anders ist und auch Tom wird das bald begreifen.
Sorge, dass es ihre Kinder später in der Schule schwer haben könnten, wegen ihrer zwei Mütter, haben Laura und Silke nicht. „Wir lieben unsere Kinder und werden ihnen genug Kraft mit auf den Weg geben, damit sie zu starken Persönlichkeiten heranwachsen und auch mit dummen Sprüchen umgehen können. Und wenn ein Kind eine hässliche Nase hat, dann muss es damit schließlich auch klarkommen.“
Wandlungsbedarf
Dass aus dem lesbischen Ehepaar Laura und Silke inzwischen eine vierköpfige Familie geworden ist, dass verdanken sie vor allem glücklichen Zufällen, denn in Deutschland haben Homosexuelle nicht die gleichen Rechte, wie Heterosexuelle. Der Heidelberger Verein Wandlungsbedarf e.V. will das ändern. Der Verein besteht seit gut einem Jahr und wirbt unter dem Motto „Homo heißt Mensch“ für Akzeptanz und Gleichbehandlung von Homosexuellen.
Weitere Infos über Wandlungsbedarf gibt es hier:
shy // Fotos: sho
Noch mehr Informationen gibt es im Interview mit der Autorin Katja Irle. Das findet ihr hier:
„Wichtig ist die Liebe zum Kind“
(Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.)