Der Zoo Heidelberg hat die letzten 20 Jahre eine Metamorphose durchlaufen. Vom „schlechtesten Zoo Deutschlands“ hin zu großzügigen Anlagen, artgerecht gestalteten Gehegen, vielen Spielplätzen für Kinder und einer Zooschule, die Workshops für Kinder und Jugendliche anbietet. Zudem engagiert sich der Zoo stark in den Bereichen Natur- und Artenschutz und bekommt dafür regelmäßig Preise und Auszeichnungen. Wir haben uns mit Dr. Klaus Wünnemann unterhalten. Er ist seit über 20 Jahren Zoodirektor und unter seiner Regie wurde der Tiergarten zu einem Besuchermagneten.
Sehr geehrter Herr Dr. Wünnemann, war das Testergebnis „schlechtester Zoo Deutschlands“ direkt nach Ihrem Antritt als Zoodirektor ein großer Schock?
Wir wussten, dass wir einiges zu tun haben, aber der Zoo ist damals viel schlechter weggekommen, als er war. Wir waren ja schon auf dem Weg Dinge, anzustoßen. Aber diese Beurteilung ist heute Schnee von gestern.
Sie haben den Zoo Heidelberg zu einem echten Besuchermagneten werden lassen. Rund 500 000 Menschen kommen jedes Jahr in den Zoo. Was unterscheidet den Zoo heute von dem vor 20 Jahren?
Wir leben heute den Zooauftrag kompletter und konsequenter. Heute sieht kein Gehege mehr so aus wie vor 20 Jahren.
In den letzten Jahren haben Sie viele Tierarten abgegeben. War das eine leichte Entscheidung?
Nein. Es tut uns in jedem Einzelfall weh. Als wir uns von den Orang-Utans getrennt haben, tat das richtig weh. Aber wenn ich nicht die Mittel und nicht den Platz habe, kann ich ja nicht die Tiere die Zeche zahlen lassen.
Wohin kamen die Tiere?
In andere Gärten, die bessere Möglichkeiten haben. Tiere sollen in eine Haltung kommen, die ihrem Bedürfnis entspricht, wenn wir diese Bedürfnisse nicht erfüllen können, müssen wir uns von diesen Tieren trennen.
Tiere in Gefangenschaft werden ja auch gezüchtet, um den Bestand in freier Wildbahn zu sichern. Werden Tierarten wie Elefanten oder Tiger jemals wieder ausgewildert?
Bei großen Wildtieren ist die Auswilderung schwierig. Wir müssen uns ja auch die Frage stellen: Wird es den Lebensraum dieser Tiere in der Zukunft überhaupt noch geben? Wenn die Zerstörung der Natur in diesem Tempo weitergeht, muss man sich über den Zustand der Lebensräume, in die wir unsere Tiere ja irgendwann wieder auswildern wollen, große Sorgen machen. Deswegen kümmern wir uns um die Tiere und um ihren Lebensraum. Artenschutz heißt auch, die Zoopopulation zu erhalten, ohne auf Tiere aus freier Wildbahn angewiesen zu sein. Zootiere kann man als Botschafter für ihren Lebensraum sehen.
Wenn Tiere über so viele Generationen in Gefangenschaft gehalten werden, verändert sich nicht das Erbgut so weit, dass sie fast gar nichts mehr mit dem Ursprungstier gemeinsam haben?
Damit das eintritt, wäre ein Zeitraum von vielen 100 Generationen nötig.
Seitdem vor zwei Jahren die Familienjahreskarte wegfiel, ist der Zoobesuch für Familien recht teuer geworden. Ist etwas Ähnliches geplant? Oder führen Sie die Familienjahreskarte vielleicht sogar wieder ein?
Nein. Wir finden es so viel praktischer. Keine Familienkonstellation wird benachteiligt. Großeltern zum Beispiel waren früher oft sehr verärgert, warum sie die Familienkarte nicht nutzen durften. Und sozial schwache Familien haben ja den Heidelberg- Pass und zahlen gar keinen Eintritt.
Sie sind also stark auf die Eintrittsgelder angewiesen? Wir sind definitiv darauf angewiesen. Zumal es ja so ist, dass die Stadt Heidelberg uns vergleichsweise gering bezuschusst.
Das könnte mehr sein?
Um unsere Aufgabe bestmöglich zu erfüllen, bräuchten wir einen viel größeren Zuschuss. Wenn Sie beispielsweise den Zoo besuchen, dann gibt die Stadt Heidelberg für jeden Besucher knapp 5.- Euro dazu. Gehen Sie aber ins Theater, wird dieser Besuch pro Person mit 128 Euro bezuschusst.
Sie vergleichen den Zoo mit einem Theater. Sehen Sie ihn als Bildungsstätte?
Auf jeden Fall. Wir stehen für ein sehr breites gesellschaftliches Bildungsangebot. Im letzten Zooranking standen wir für den Bereich Bildung auf Platz 5 der deutschen Zoos. Bei dem europäischen Ranking stehen wir auf Platz 19. Das ist für unsere Größe und Finanzen ein sehr gutes Ergebnis.
Und in Sachen Haltung, wo steht der Zoo da?
Da haben wir aufgeholt und stehen jetzt auf Platz 16 der deutschen Zoos.
Was braucht ein Tier, damit es sich in Gefangenschaft wohlfühlt?
Erstens: Ein Tier fühlt sich in menschlicher Gesellschaft nicht in Gefangenschaft … Tatsächlich?
Tatsächlich. Wir haben viele Tiere im Zoo, die könnten ihr Gehege jederzeit verlassen. Machen es aber nicht.
Ist das dann eine Art Stockholm-Syndrom?
Nein. Tiere müssen sich wohlfühlen, dann kommen sie auch immer wieder zurück. Wir müssen dem Tier im Gehege das bieten, was es braucht. Dann fühlt es sich nicht wie ein Gefangener, sondern wie der Besitzer eines Territoriums. Auch in freier Wildbahn sind die Territorien nur so groß, wie die Tiere es brauchen, um ihren Nahrungsbedarf zu stillen. Der Tiger hat doch keinen Spaß daran, stundenlang zu laufen und Energie zu verbrauchen. Er läuft auf der Suche nach Beutetieren.
Warum stirbt Nachwuchs im Zoo so häufig?
Was man wissen muss: Wir greifen bei der Fortpflanzung nicht ein. Auch im Freiland stirbt ein großer Teil des Nachwuchses, aber da merkt das natürlich niemand.
Es liegt also nicht an der Umgebung?
Nein, dann würden sie erst gar keine Jungen bekommen.
Wie muss der „Zoo der Zukunft“ sein?
Da leider nicht davon auszugehen ist, dass die Umweltprobleme unseres Planeten sich drastisch verbessern, wird der Zoo der Zukunft sich noch intensiver dem Bildungsauftrag widmen müssen. Unser Ziel ist, dass jeder Mensch, der den Zoo besucht, ihn als Tier- und Naturschützer wieder verlässt.
Man wird also zu einem besseren Menschen im Zoo?
Das vielleicht nicht. Aber wir wollen, dass die Menschen begreifen, was ihr tägliches Leben mit Tieren zu tun hat. Beim Fleischkonsum etwa oder wenn sie ihr Obst beim Einkaufen in die Plastiktüte packen. Weil wir wenig Fläche haben, werden wir in Zukunft unseren Tierbestand weiter umstrukturieren und den Fokus stärker auf Tiere legen, die man auf beschränktem Raum gut halten kann. Also auf Reptilien, Wirbellose und Fische. Mit einem Aquarium kann man den Besuchern auf kleinem Raum sehr viel zeigen. Zum Beispiel zum Thema Flüsse. Die Vermüllung der Ozeane ist zurzeit das große Thema, aber was ist mit den Flüssen? Flüssen geht es weltweit sehr schlecht. Flüsse sind unsere Lebensadern, aber niemand spricht zurzeit über sie.
Gibt es Tiere, die man auf keinen Fall im Zoo halten sollte?
Bei manchen Tieren wäre die Haltung extrem herausfordernd. Zum Beispiel Albatrosse fliegen von 24 Stunden am Tag 18 Stunden über den Ozean. Eine artgerechte Haltung von Albatrossen wäre im Zoo also nicht möglich.
Woher kommen eigentlich die Tiere, die heute in Zoos leben?
Aus anderen Zoos.
Also gibt es keine Großwildjäger mehr, die Jagd auf Löwen machen?
In der Regel nicht. Fische sind zurzeit die einzigen Tiere, die aus freier Wildbahn importiert werden.
Was passiert eigentlich mit den süßen Ziegenbabys aus dem Streichelzoo, wenn sie größer werden?
Sie werden an die Raubkatzen verfüttert.
Aber ist das nicht grausam? Warum bekommen sie dann erst überhaupt Nachwuchs?
Nachwuchs gehört für Tiere dazu. Vielen Menschen erscheint ein Leben ohne Kinder lebenswert, das dürfen wir aber nicht auf Tiere übertragen. Viele Tiere sind nur glücklich, wenn sie auch mal Nachwuchs haben dürfen. Und wenn wir keinen guten Platz für Ziegen oder junge Antilopen in anderen Einrichtungen finden, dann werden sie verfüttert. Es ist doch ein ausgesprochen artgerechtes Futter. Und was wäre die Alternative? Das Tier würde ja sowieso Fleisch essen und nicht zum Beispiel Chicorée.
bw // Fotos: mschi
Tier- und Artenschutz im Zoo Heidelberg
Der Zoo will nicht nur ein Ausflugsziel sein, sondern setzt sich aktiv für den Natur- und Artenschutz in den Herkunftsländern der Tiere ein. Das beginnt beim Schutz heimischer Vogel-, Insekten- und Kleintierarten, deren Population rasant abnimmt, geht über die finanzielle Unterstützung von Schutzprojekten in Thailand und Sri Lanka und erstreckt sich auf die Gründung eines eigenen Artenschutzprojekts in Westafrika, die „West African Primate Conservation Action“. Mit diesem Projekt unterstützt der Zoo die Bevölkerung in Ghana und der Côte d’Ivoire bei dem Versuch, nachhaltig und zugleich wirtschaftlich zu agieren und so den Lebensraum der Tiere zu erhalten. „Tierschutz“, so ist Zoodirektor Klaus Wünnemann überzeugt, „geht heute nur noch gemeinsam mit den Menschen vor Ort. Ein Gebiet abzusperren und als Reservat für Tiere zu umzäunen ist heute nicht mehr sinnvoll, wenn drumherum die Natur und Tierwelt zerstört wird.“ Mehr zur „West African Primate Conservation Action“ unter: www.wapca.org und unter zoo-heidelberg.de