Die Lebenswelt von Schwarzen Menschen enthält häufig Herausforderungen, die weiße nicht erleben müssen. Alltagsrassismus ist traurige Realität. Er passiert täglich: im Job, auf der Straße oder in der Schule. Anna Reid ist Lehrerin an der Dietrich-Bonhoeffer-Schule (DBS) in Rimbach und hat gemeinsam mit einer Gruppe von betroffenen Schülern das Projekt „We have a voice“ ins Leben gerufen. Es ist wichtig, dass Rassismus angesprochen wird, wo er herkommt – auch wenn wir dazu die Komfortzone verlassen müssen. Das „We“ soll das Gemeinschaftsgefühl als Gruppe symbolisieren und das Projekt den Kindern und Jugendlichen eine Stimme geben.
Liebe Frau Reid, wie kam es zu dem Projekt und was war das Ziel?
Es ist ein Herzensprojekt. Es geht darum, aufzuzeigen, mit welchen Situationen und Problemen die betroffenen Kinder im Alltag konfrontiert werden. Im schulischen Kontext tauchen immer wieder Situationen auf, in denen Schwarzen Schülern (bewusst oder unbewusst) von anderen deutlich gemacht wird, dass sie ANDERS sind. Mir ist es wichtig, dass die Kids sich nicht alleine fühlen, sondern sie die Erfahrung machen, dass es auch Menschen gibt, die nicht betroffen sind, die sie aber dennoch unterstützen und sich für sie einsetzen. Ich selbst befasse mich schon seit langer Zeit mit dem Thema Rassismus. Durch meine eigenen Kinder und die Arbeit an der Schule wurde mir immer deutlicher, dass es im Alltag einfach zu viele Situationen gibt, die Kinder nicht ertragen müssen sollten.
Es war mir wichtig, dass die Kids im Mittelpunkt stehen und dass sie selbst ihre Mitschüler ansprechen. Ich habe dann eine befreundete Hobbyfotografin angesprochen und sie hat sofort zugesagt. Es war ein toller Tag, an dem die Fotos entstanden sind. Unterstützt wurde ich neben der Fotografin (Candy Rahmanoglu) noch von unserer Betreiberin der Cafeteria und einer Mutter von ebenfalls Schwarzen Kindern an unserer Schule.
Die Bilder hängen mittlerweile in Ihrer Schule aus. Wie haben die anderen Kinder und das Lehrerkollegium reagiert?
Zuerst einmal muss ich dazu sagen, dass wir das Projekt bis zur Veröffentlichung geheim gehalten hatten. Die ersten Reaktionen kamen von Kollegen und Kolleginnen. Teilweise waren sie sehr bewegt und haben sich gefreut, dass das Thema endlich einen Raum findet und angesprochen wird. Eine Kollegin kam zu mir und berichtete, dass sie zu Tränen gerührt war, als sie die Plakate sah. Sie hat durch ihre Arbeit in den Sprachintensivklassen immer wieder spürbaren Kontakt mit dem Thema Rassismus und war einfach glücklich, dass sich jemand dieses Themas annimmt.
Wie erklären wir unseren Kindern, was (Alltags-)Rassismus genau ist? Welche Begriffe sind in Ordnung?
Das ist tatsächlich eine Aufgabe, die vielen schwerfällt, aber sehr wichtig ist. Denn Kinder kommen schon früh mit diesem Thema in Berührung. Sie sehen, dass es andere Hautfarben gibt. Dass Schwarze Kinder aber wegen ihrer Hautfarbe ausgegrenzt und schlecht behandelt werden, ist weißen Kindern meist nicht bewusst. Sie selbst machen die Erfahrung nicht. Hier ist es wichtig, in einem sicheren Rahmen das Gespräch mit dem eigenen Kind zu suchen.
Man kann bei Kindern nicht auf die Geschichte des Rassismus zurückgreifen, da sie viel zu komplex und zudem zu brutal ist. Hier geht es darum, ihnen zu vermitteln, dass es zwar Unterschiede im Aussehen, Glauben und in vielem anderen gibt, dennoch alle Menschen gleich sind und die gleichen Rechte haben sollten.
Ab wann sollte man das Thema besprechen?
Das Thema sollte eigentlich schon im Kindergartenalter besprochen werden. Immer wieder kommt es vor, dass Kinder mit Fragen und Aussagen auch schon in diesem Alter konfrontiert werden. Sätze wie „Du bist dreckig“ fallen auch da schon gegenüber Kindern mit dunkler Hautfarbe. Schwarze Kinder bekommen hier bereits vermittelt „Du bist anders“ und leider auch „Du bist nicht gut“. Das Bewusstsein kann mit vielen kleinen Dingen schon verändert werden.
„Jeder wird mal ausgegrenzt“ oder „Das war doch nicht böse gemeint“ – sind oftmals vermeintliche Erklärungen für Alltagsrassismus. Warum sind diese Aussagen dennoch kritisch zu betrachten?
Es ist genau dieses Bewusstsein, dass verallgemeinernd wirkt. Sie glauben gar nicht, wie vielen Situationen Schwarze Kinder im Alltag begegnen, die einem Außenstehenden gar nicht bewusst rassistisch vorkommen. Ein Perspektivwechsel ist schwierig, da wir als Weiße das eigentlich selten so erleben werden, dennoch sollte man es versuchen, um ein Gefühl und ein Bewusstsein für die Situation zu erhalten.
Sollte im Lehrplan Rassismus-Unterricht ein weiterer Schwerpunkt sein, und wie kann er umgesetzt werden?
Das Thema ist mir in meiner gesamten Ausbildungszeit und in meinem Lehrerleben nicht wirklich als eine Lehrkompetenz begegnet. Es hat keiner mit uns darüber gesprochen, wie wir damit umgehen könnten und dennoch sind wir als Lehrpersonen diesen Situationen ausgesetzt. Und ganz ehrlich, in den meisten Fällen herrscht dann Überforderung auf Seiten der Lehrkräfte. Man will nichts falsch machen, will nicht anderen zu nahetreten und oft hat man einfach selbst noch keine Erfahrungen gemacht. Mein Wunsch an alle im Bildungsbereich ist es, dass sie zuerst in sich selbst hineinhorchen und reflektieren, wo und wie sie ihr eigenes Verhalten verändern können, so dass sie anti-rassistische Werte und Einstellungen nicht nur vermitteln, sondern auch vorleben können. Manchmal hilft es auch, sich zu vergegenwärtigen, welche Privilegien man aufgrund der Hautfarbe hat oder auch nicht.
jelu // Fotos: Candy Rahmanoglu
Mehr Informationen zum Projekt „We have a voice“ der Dietrich-Bonhoeffer-Schule in Rimbach gibt es auch im YouTube-Video oder im wnoz-Podcast.
Die Projektausstellung „We have a voice“ kann unter Absprache in der Dietrich-Bonhoeffer-Schule in Rimbach besichtigt werden. Außerdem gibt es für andere Schulen die Möglichkeit, die Ausstellung zu sich zu holen. Anfragen in beiden Fällen bitte an: Anna.reid@schule.hessen.de
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