Nehme ich jetzt den rosa Glitzerengel, den leuchtenden Eiskristall oder lieber die Kätzchenbettwäsche?
Liebe S.,
ich habe zu den meisten Dingen eine eigene Meinung. Ich finde es auch prima, wenn andere Menschen eine andere Meinung haben … doch ehrlich! Ich versuche dennoch zu meiner Schwiegermutter keine Meinung zu haben. Denn, wenn ich sie bisher mal geäußert habe, ernte ich immer nur unverständliche bis vorwurfsvolle Blicke (von anderen Müttern, ohne Schwiegermutter).
Ich lasse ihr mehr durchgehen, als allen anderen Menschen auf der Welt, finde ich. Eine Sache werfe ich ihr aber nach wie vor heimlich vor. Dass sie den Geschmack meiner fünfjährigen Tochter maßgeblich beeinträchtigt bis für immer verdorben hat.
Ich habe etwas Zeit gebraucht, um rauszufinden, warum meine Tochter, die, wie ich finde, von wertigen, sinnesbildenden, schönen Dingen (Holz, Seide, Bio-Baumwolle) umgeben ist, der ich „Barbie“ soweit es geht verweigere, einen so unglaublich kitschigen Geschmack entwickeln konnte.
Ich habe bis zu einem gewissen Grad die rosa, pinke, glitzerglimmer Attacke aus ihrem Kinderzimmer überlebt und hingenommen, die wunderbar erhaltenen Jungsklamotten meines Sohnes verschenkt und bin Stammkundin bei verschiedenen Anbietern für rosa Leggins geworden. Ich musste sogar die Tatsache anerkennen, dass es hübsche und wertige Dinge in glitzerglimmer gibt.
Doch, wann immer sie von ihrer Oma etwas geschenkt bekommt, kommen mir fast die Tränen. Die Dinge sind zwar neu, das kann ich nicht abstreiten, aber sie scheinen trotzdem direkt aus den 50 Jahren des letzten Jahrhunderts zu stammen.
Ich wusste nicht, dass es solche Dinge immer noch gibt!
Ein Beispiel?
Gern!
Ein strahlend weißes Porzellanpony, das nicht nur eine Blumengirlande um den Hals trägt und einen Blumenhut auf dem Kopf hat, sondern auch von einem weinenden Mädchen umarmt wird. Warum das Mädchen weint? Warum sie das Pony umarmt? Ich kann es dir nicht sagen. Ich habe in mühevollen Stunden versucht meiner (weinenden, unnötig zu erwähnen) Tochter eine schlüssige Story aufzutischen, warum das alles seinen Sinn hat und auch gar nicht so schlimm ist („Es sind Tränen der Freude“/„Das Mädchen hat eine Blumenallergie!“). Wenig später fiel das Porzelanpony runter und jetzt fehlt im Kopf samt Blumenhut.
Noch mehr Beispiele gefällig?
Meine Tochter wünschte sich zu ihrem vierten Geburtstag eine Babypuppe. Mich traf fast der Schlag, als sie das Geschenkpapier aufriss: Die Babypuppe hatte ein komplett verkniffenes Gesicht und schien aus vollem Hals zu brüllen. Sie hatte nur eine Art Sack an – ähnlich den Klamotten des Bettlers, bevor er von St. Martin etwas zum Überwerfen bekommt. Ich habe versucht die Puppe zu verstecken. Wie durch Zauberhand fand sie ihren Weg zu uns zurück.
Das alles habe ich hingenommen.
Doch jetzt hat meine Schwiegermutter sich selbst übertroffen, indem sie meiner Tochter – vielleicht um sie von dem kaputten Pony abzulenken? – Erbauungslektüre zur Unterhaltung gab. Und zwar den Katalog „Die moderne Hausfrau“. Nie gehört? Hatte ich auch nicht. Aber wenn Du willst, leihe ich ihn dir.
Alles, was es nicht mehr gibt, gibt es hier.
Der Weihnachts-Wunschzettel meiner Tochter steht seitdem bomenfest:
Platz 1: Eine beleuchtete Figur namens „Traumengel“. Eine „leuchtende Botschaft wie aus einer anderen Welt!“
Platz 2. Den „Heulenden Polarwolf“ eine, einen gefühlten Meter hohe, LED-beleuchtete Plastikfigur für den Garten.
Platz 3. Die „Bauchweg-Miederhose*“. Und jetzt zitiere ich wieder. Aber nicht den Katalog, sondern meine Tochter: „Die ist dann für dich, Mama!“
In diesem Sinne,
Deine …
(*Aus „Problemzonen“ formt die nahtlose Bauchweg-Miederhose sanft weibliche Rundungen. Ideal unter engen Kleidern, da sich keine Übergänge abzeichnen. Breites Silikonband im Bund. Eingearbeitete Stützzonen. Material: 90% Polyamid, 10% Elasthan, waschbar bei 30°C)
P.S. Ich hätte mich gar nicht getraut, darüber zu bloggen. Wenn nicht die Kollegen aus der Schweiz überzeugte Fans des Katalogs wären. Nur mal so nebenbei: http://blog.tagesanzeiger.ch/mamablog/index.php/40332/eine-moderne-hausfrau-sind-auch-sie-eine/