Aktivist Raúl Aguayo-Krauthausen gibt Impuls für 8. Abschlag.
Er wollte eh nicht Dachdecker werden, ist Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande, hat eine Ausbildung als Telefonseelsorger und Studienabschlüsse in Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation sowie Design Thinking und bezeichnet sich selbst als „anders, aber dabei immer humorvoll“.
„Wer Inklusion will, findet Wege, wer sie nicht will, findet Ausreden“: In seinem Impulsvortrag im Juni bei „Abschlag, Die Klosterdebatte“, im Kloster Lobenfeld, sprach der bekannte Aktivist und Autor des Buches „Dachdecker wollte ich eh nicht werden – Das Leben aus der Rollstuhlperspektive“, über die Herausforderungen zu einer inklusiveren und barrierefreieren Welt. Anhand von Vorurteilen und Projekten zeigte er ideenreich und mit Witz mögliche und innovative Lösungswege.Im Anschluss an die Veranstaltung bat ihn StadtLandKind-Autorin Nicole Pollakowsky zum Kurz-Interview.
„Nicht-behinderte Kinder haben ein Recht darauf, mit behinderten Kindern zusammen zu leben“
Raúl Krauthausen wurde mit Glasknochen geboren und sitzt im Rollstuhl. Als Kind besuchte er die erste inklusive Schule Deutschlands. Heute engagiert sich der 34-jährige Berliner aktiv für Inklusion, weil er überzeugt ist, dass sie allen gut tut, nicht nur Behinderten.
SLK: Herr Krauthausen, in einem Interview haben sie mal gesagt: „Deutschland hat ein uraltes Bildungssystem, das beratungsresistent ist und von heterosexuellen, alten und konservativen Männern gemacht wurde und dominiert wird.“ Was heißt das mit Blick auf das Thema Inklusion an unseren Schulen?
Raúl Krauthausen: Momentan ist es noch so, dass der Philologenverband sich dagegen sperrt – allerdings mit Argumenten, die alle schon wissenschaftlich widerlegt sind. Zum Beispiel wird behauptet, behinderte Kinder bräuchten ihren Schonraum. Das ist nicht so, es braucht keinen Schonraum, sondern die richtige Infrastruktur. Im Kindergarten zum Beispiel ist Inklusion fast schon Alltag. Aber sobald es an die Selektion geht – und auf der baut das komplette deutsche Bildungssystem auf – gibt es ein Problem. Mit ihrer Behindertenrechtskonvention stellen die Vereinten Nationen das Gymnasium als Institution der Selektion infrage.
Was wäre in Ihren Augen eine Lösung?
Andere Länder haben das Problem bereits in den 1980er Jahren gelöst, indem sie Gesamtschulen gegründet haben. Die Gesamtschule ist der Weg zur Inklusion. Die Erkenntnis muss her, dass auch nicht-behinderte Kinder ein Recht darauf haben, mit behinderten Kindern zusammen zu leben. Ebenso die Erkenntnis, dass auch das hochtalentierte Kind ein Recht auf Förderung hat, genauso wie das wenig talentierte Kind. Wenn Schulen sagen, wir haben nicht genug Geld, um Sonderpädagogen einzustellen, dann muss das gelöst werden.
Eine klassische Aufgabe der Politik. Aber dann sind da immer noch die alten, konservativen Männer, die das Bildungssystem dominieren …
Ja, aber zum Glück gibt es auch noch die jungen, modernen Menschen, die vielleicht die besseren und kreativeren Argumente haben. Wichtig ist, dass es Allianzen zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten gibt und dass auch Eltern von nicht-behinderten Kindern für Inklusion sind, weil eine Schule, die ausreichend Ressourcen hat, allen gut tut.
Interview: Nicole Pollakowsky
Mehr Infos: facebook.com/abschlag.