Die Medien, die Forschung, die Werbung – alle haben die Väter für sich entdeckt. Was ist dran an den „neuen“ Super-Papas? StadtLandKind hat sich auf Spurensuche begeben.
Väter. Was für ein spannendes, schwieriges Thema. Väter wollen heute andere Väter sein, als ihre eigenen Väter: „modern“, „zugewandt“, „fürsorglich“. Schwierig bleibt es trotzdem. Wo sind die Vorbilder? An wem kann „man“ sich als guter Vater orientieren? Selten an dem eigenen. Der war oft abwesend, abweisend, bestenfalls ein Feierabend-Papa. Ein Vater ist für Töchter die erste Liebe ihres Lebens. Für Söhne der erste Konkurrent um die Liebe der Mutter. Er ist im besten Fall ein Held für seine Kinder, ein Vertrauter, aber auch ein Sparring-Partner. Ist ein Vater ersetzbar? Ist „Vatersein“ vielleicht sogar nur ein Konstrukt im luftleeren Raum? Ein durch keine biologischen oder sozialen Konstanten definiertes Konzept, das nur noch duch Normen und Sanktionen lebendig gehalten wird?
Wir haben nachgefragt. Und nachgeforscht. Viele Fragen bleiben offen. Aber eine Antwort steht fest: Kinder brauchen ihren oder einen Vater in ihrem Leben, um sich optimal entwickeln zu können. Das kann auch eine Person sein, die wie ein Vater agiert. Egal, ob männlich oder weiblich. Eine Person, die den Kindern vorlebt, wie „man“ lebt. Ein Vorbild, eine Stütze, die gemeinsam mit der zweiten Bezugsperson zeigt, wie man als Paar agiert.
Fakt ist, eine aktive Vaterschaft ist eine unbezahlbare Investition und eine nachhaltige Verbesserung kindlicher Entwicklungschancen. Von der Zeit, Kraft und Zuwendung, von den emotionalen Ressourcen und der Erziehungskompetenz, die Väter in die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder investieren, zehren diese ein Leben lang.
Was es für einen Jungen bedeuten kann, einen zugewandten, interessierten Vater zu haben, macht uns im Sommer 2016 Jean-Baptiste Hennequin, ein französischer Philosophie-Professor in seinem neu erschienenen Buch „Machiavelli für meinen Sohn“ auf amüsante Weise deutlich. Aus Angst, der „Sturm der Geschichte“ könnte seinen Sohn hinwegfegen, zeigt er ihm in zehn Kapiteln auf, was dieser von Machiavelli lernen kann. „Wappnen“ will er seinen Sohn gegen die Welt, dabei aber nicht vor der Welt behüten. Unterhaltsam und unglaublich eloquent, mit vielen Verweisen auf die Weltgeschichte zeigt Hennequin auf, wie man sich in der Welt behauptet.
Ein düsteres Bild der deutschen Gegenwart zeichnet der Väterforscher und Autor Peter Ballnik. Es habe fatale Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft, dass so viele Kinder ohne Vater aufwüchsen. Es sei eine „Katastrophe“ von nicht abzuschätzendem Ausmaß. Ballnik zieht eine direkte Verbindung vom Aufwachsen ohne Vater hin zu Jugendlichen, die sich autoritären Systemen anschließen, die in die Kriminalität und religiösen Fanatismus abdriften. Ohne Vater könne sich „kein moralisches Gewissen bilden“, lernen wir. Das lässt Schreckliches ahnen. Auf einen Lösungsansatz warten die Leser auch nach knapp 300 Seiten Lektüre vergeblich. Wir können bis zuletzt nur ahnen, wer verantwortlich ist, für diesen vaterlosen Zustand der Familien (die Mütter …?).
Hans Bertram, einer der renommiertesten Familien- und Väterforscher in Deutschland stellt dagegen eine provokante These auf: „Nur solange sie keine finanziellen Einbußen hinnehmen müssen, sind Väter bereit, sich um ihren Nachwuchs zu kümmern“. Vaterschaft sei noch immer von dem „grundsätzlichen Missverständnis“ beeinflusst, dass Kindergroßziehen in unserer Gesellschaft in erster Linie eine private Angelegenheit ist, die, zumeist von Frauen, kostenlos erledigt werde, so Bertram.
Wie man ein guter Vater wird, kann man in Deutschland nur von Müttern lernen
„Sind Väter die besseren Mütter?“. „Die neuen Super-Papas“. „Lasst Väter Väter sein“ … die Medien überschlagen sich zurzeit mit Lobpreisungen der einfachsten Alltagstätigkeiten – werden sie nur von Vätern ausgeführt. Vorläufiger Höhepunkt: Die Verleihung des Titels „Spitzenvater des Jahres“ durch eine Bäckerei, unter der Schirmherrschaft von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD). Befragt wofür er denn ausgezeichnet wurde, antwortet der prämierte Vater brav: „Ich wasche, koche, räume auf, aber ich mache nicht alles allein. Ich ersetze nicht die klassische Hausfrau.“ (Quelle: SPIEGEL). Zwei Männer bekamen je 5000 Euro dafür, dass sie das tun, was Millionen von Frauen schon seit hunderten von Jahren tun.
„Mütter und Väter werden gesellschaftlich völlig unterschiedlich bewertet“, schreibt Jochen König, Blogger, Autor und Vater aus Berlin. „Während mir ständig irgendwer auf die Schulter klopft, weil ich mich so toll um mein Kind kümmere, können Mütter praktisch nur alles falsch machen.“ (Siehe auch Interview S. 10). Er, so König, könne sich in seiner Rollenfindung an keinem männlichen Vorbild orientieren. Es gäbe schlichtweg keins. Das Vatersein habe er von den anderen Müttern gelernt.
Der Trend zum „Super-Papa“
Doch auch an den Müttern geht der Trend nicht spurlos vorbei: Wohlgefällig blicken sie auf die Selbstinszenierung der jungen, bärtigen Papas, die sich ihre neugeborenen Babys vor den Bauch binden und mit der Dreijährigen an der Hand auf den Spielplatz gehen und hier mit viel Tamtam „das größte Loch der Welt im Sandkasten buddeln“. Oder die im Bio-Supermarkt den Wocheneinkauf erledigen, dabei die quengelnden Zwillinge beruhigen und an der Kasse noch ein Späßchen machen. So entspannt … Hach, so entspannt wären viele Mütter auch gern.
Und auf der anderen Seite? Die im Sommer 2016 aktualisierte Bertelsmann Studie zur Situation Alleinerziehender in Deutschland (bertelsmann-stiftung.de) zeichnet ein erschreckendes Bild: 50 Prozent der Kinder Alleinerziehender erhalten keinen Unterhalt, 25 Prozent bekommen weniger als ihnen zusteht. Die Folge: Knapp eine Million Kinder Alleinerziehender in Deutschland leben von Hartz IV. Natürlich gibt es auch alleinerziehende Väter. Aber in 89 Prozent der Fälle sind es die Frauen, die sich nach einer Trennung, oder auch von Anfang an, allein um die Kinder kümmern. Die, trotz guter Ausbildung, besten Kontakten, beruflichen Erfolgen, plötzlich von Armut bedroht sind. Die in Teilzeit arbeiten, ständig kurz vor einem Burn-out sind, die den ganzen Alltagskram alleine erledigen und vor allem: die nicht nur allein für das Wohlergehen der Kinder verantwortlich sind, sondern auch für deren Glück. Wie passt das zusammen?
Eine These: Könnte es sein, dass Männer ihr Vatersein von der Qualität der Beziehung zur Ex-Partnerin abhängig machen? Oder auch von der Qualität der Beziehung zur Partnerin? „Ia, innerhalb von Beziehungen ist dies der Fall“, bestätigt die Familienforscherin Dr. Claudia Zerle-Elsäßer vom Deutschen Jugendinstitut. „Studien haben ergeben, dass, je besser die Beziehung oder Ehe, umso stärker das kindbezogene Engagement der Väter.“ Hieße das im Umkehrschluss: ohne das in Aussichtstellen von Anerkennung, von Lob existiert keine oder nur kaum Motivation, ein zugewandter, verlässlicher Vater zu sein? Und das leidige Thema Haushalt. Männer sehen angeblich ihre Identität bedroht, wenn sie sich hauptverantwortlich um die täglichen Arbeiten kümmern, selbst wenn die Partnerin oder Ehefrau die Hauptverdienerin ist. Nur in bestimmten sozialen Milieus, in denen die Familie an sich einen hohen Stellenwert hat, in denen die Familie wichtiger ist als der Beruf, gelänge der Rollentausch problemlos (Quelle: spiegel.de). Dagegen: je höher der akademische Abschluss des Mannes, umso geringer sein Engagement in der Familie (Quelle: dji.de).
Aber zurück zu den „neuen“, den guten Vätern. Unklar bleibt nach wie vor noch immer, was unter den „neuen Vätern“ eigentlich zu verstehen ist, denn die Vorstellungen eines „guten“ Vaters variieren kulturell und historisch. Der Vater, wie wir ihn heute „kennen“ ist, ähnlich wie die Erfindung der klassischen Kleinfamilie, eine Erfindung des Bürgertums. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Vaterschaft auf die Funktion des Ernährers beschränkt.
In den 1980er Jahren begann, im Zuge der „Männlichkeitsforschung“, auch eine variierende Beschäftigung mit Vaterschaft. Doch bis heute wird der Vater nur in Abgrenzung zur Mutter erforscht. Das Interesse gilt noch immer den Defiziten: dem abwesenden Vater.
Was ist das eigtenlich, ein guter Vater?
„Dass die Väter von heute so intensiv auf der Suche nach einer Rolle sind, die zu ihren passt, hängt auch damit zusammen, dass heute alles im Wandel ist. Väter haben es schwer, für sich das eigene, passende Modell zu finden“, so die Familienforscherin Zerle-Elsäßer. „Es gibt so viele unterschiedliche Erwartungen an die jungen Väter, so viele auch widersprüchliche Anforderungen: Sie werden ja nicht aus der traditionellen Verantwortung des (Haupt-) Ernährers gelassen, hinzu kommen aber die Erwartungen der Partnerin, sich intensiv in die Betreuung und Erziehung der Kinder einzubringen. Die meisten Männer arbeiten Vollzeit oder mehr und sind ganz klar im Vereinbarkeits-Dilemma angekommen, in dem die meisten Mütter schon seit Jahren sind“. Ob die aktuelle deutsche Familienpolitik aber wirklich etwas an den bestehenden Status ändern will, ist zweifelhaft. Elterngeld und Elterngeld Plus haben Bewegung in die Verhältnisse gebracht, allerdings sind es in erster Linie systemstützende Maßnahmen – Stichwort: Ehegattensplitting. Noch immer ist die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in erster Linie ein Problem der Frauen. Solange sich an den ökonomischen Kontextbedingungen wie den Einkommensunterschieden nichts verändert, bleibt die Rollenverteilung wie sie ist.
Und so bleiben auch die neuen, alten Väter zum Großteil Feierabend-Papas, die sich liebevoll um den Nachwuchs kümmern – aber eben erst nach Feierabend und ohne finanzielle Einbußen.
Wir stellen fest: Die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen sich weiter bewegen, damit aus den „Super-Paps“ von heute echte „Vollzeit-Väter“ werden können. Bis es soweit ist, wird Kindergroßziehen weiterhin eine private Angelegenheit bleiben, die zu einem Großteil von den Müttern und einigen „neuen“ Vätern kostenlos erledigt wird.
Bettina Wolf // Fotos: istock; fotolia