Susanne*, 39 Jahre, Ärztin in Teilzeit, 1 Kind.
„Mir ist es unbegreiflich, wie andere alleinerziehende Mütter in Vollzeit arbeiten können. Haben die Superkräfte? Davon hätte ich gern etwas ab. Speziell wenn die Kinder klein sind, ist das doch kaum zu schaffen. Wer kauft ein, putzt, bringt die Kinder zur Kita und bleibt zuhause wenn sie krank sind? Wer macht mit dem Kind die Hausaufgaben, hilft beim Referat, organisiert die Geburtstagsparty?
In meinem Freundeskreis sehe ich viele sehr erschöpfte Eltern, hauptsächlich Mütter mit, sagen wir mal vorsichtig, schwierigen Kindern. Die Kinder sind von sieben bis 17 Uhr in der Betreuung und mir kann niemand erzählen, dass da am Abend noch ein entspanntes, liebevolles Familienleben möglich ist. Kuscheln, erzählen, faulenzen … das ist bei diesen Familien nur selten der Fall. Mein Eindruck ist, hier herrscht immer Anspannung, immer Alarm. Das ist doch kein kindgerechtes Leben.
Viele dieser Mütter leiden unter Schlafstörungen und unter großer Angst vor der Zukunft. Eine Kollegin ist gerade wegen eines Burnouts für zwei Monate komplett ausgefallen. Es ist eine Spirale der Erschöpfung, die nur schwer zu durchbrechen ist. Ich arbeite seit zehn Jahren in Teilzeit. Und das, nachdem ich fast zehn Jahre lang Medizin studiert habe und mein erstes (und einziges) Kind bekommen habe. Durch das Teilzeit-Modell bekomme ich so viel vom Leben meiner Tochter mit, wie es meinen Ansprüchen als Mutter gerade noch entspricht. Trotzdem habe ich ständig ein schlechtes Gewissen, nicht genug zu tun. Ich bin zwar froh, bis zu einem gewissen Punkt flexibel zu sein. Allerdings: so wie man privat zurücksteckt, muss man auch beruflich klare Abstriche machen. Und das hat nichts mit „Karriere“ zu tun. Man muss sich ein dickes Fell zulegen. Wenn Entscheidungen getroffen werde, mit denen man nicht einverstanden ist, wenn die interessanten, anspruchsvollen Forschungsaufgaben abends beim Geschäftsessen vergeben werden, dann ist das eben Pech. Bei wem soll man sich beschweren? „Du bist ja nie da!“, habe ich so oft zu hören bekommen, dass ich inzwischen einfach nur meine Arbeit mache und wieder gehe.
„Dass Karriere und beruflicher Erfolg nichts mit Präsenz zu tun hat, ist ein schlechter Witz.“
Und, dass sich ein Elternteil mit nur einem Gehalt, und das auch noch in Teilzeit finanziert, ist vollkommen unmöglich. Wenn ich nur auf die Finanzen schauen würde, wäre es sinnvoller, zu kündigen. Dann könnte ich mehr Zeit mit meinem Kind verbringen – und hätte nicht viel weniger Geld zur Verfügung. Aber wie soll es weitergehen? Folgt dann direkt auf die Teilzeit-Armut die Altersarmut? Nein. Lieber schraube ich unsere Ansprüche und unseren Lebensstandard soweit es geht nach unten. Verzichte auf Urlaub, auf das Sportstudio, auf Restaurantbesuche. Ich versuche natürlich, meine Tochter nicht merken zu lassen, wie schwer mir die gewünschten und das Iphone für sie fallen. Denn natürlich haben Kinder – völlig zu Recht – eigene Ansprüche. Wir leben nun mal in einer komplett auf Konsum ausgerichteten Gesellschaft … Und durch den Status „Kind einer Alleinerziehenden“ hat sie in ihrer Schule sowieso einen schlechteren Stand. Würden wir beispielsweise in Berlin leben, wäre es völlig normal, das Kind getrennt zu erziehen.
Es müsste, meiner Meinung nach, für Alleinerziehende staatlich finanzierte Jobs geben. Ähnlich wie bei Menschen mit Beeinträchtigungen. Eine Art Inklusion, so blöd es auch klingt. Mit der Möglichkeit, auch bei längerer Krankheit der Kinder zuhause zu bleiben, ohne finanzielle Einbuße. Und vor allem: einer gerechteren Besteuerung! Und nicht, so wie es der Realität entspricht, ein „in der Arbeitswelt geduldet werden“. Und es muss endlich Normalität werden, dass Kinder in den unterschiedlichsten Familienkonstellationen aufwachsen. Mit nur einer Mutter. Mit zwei Vätern. In einer Patchworkfamilie. Familie ist überall da, wo Kinder sind.
Protokoll: bw // Foto: mschi
Zum Thema Teilzeitarbeit und Burnout: vgl. Burr, Hermann; ua (2015): Employment status, working conditions and depressive symptoms among German employees born in 1959 and 1965. In: International Archives of Occupational and Environmental Health, Vol. 88, No. 6, S. 731-741.)
*Name von der Redaktion geändert
Du sprichst mir so aus der Seele. Danke für diesen Artikel!