Liebe Frau Dr. Kunkel, in einem Punkt sind sich Lehrkräfte, Wissenschaftler und Eltern einig: Mit der Rechtschreibung der Kinder geht es bergab. Schlecht sieht es vor allem mit Semikolon, Gedankenstrich und Doppelpunkt aus. Sterben die Satzzeichen in der deutschen Sprache langsam, aber sicher aus?
Tatsächlich sind die Rechtschreibleistungen von Schülerinnen und Schülern heute zu schwach. Auch die Zeichensetzungsregeln werden oft nicht in ausreichendem Maße beherrscht. In einer Studie aus dem Jahr 2005 wurden Fehler in Abiturarbeiten ausgezählt, dabei waren knapp 47 % (!) aller vorhandenen Fehler Zeichensetzungsfehler. Davon betraf übrigens jeder Vierte ein zu viel gesetztes Komma wie z. B. das so genannte Vorfeldkomma. Aussterben werden die Satzzeichen
sicher nicht. Dafür haben sie eine viel zu wichtige Funktion. Denken Sie an gern zitierte Beispiele dafür, dass Kommas „Leben retten“ können („Komm, wir essen Opa!“).
Bitte klären Sie uns auf, was ist ein „Vorfeldkomma“?
Das Vorfeld eines Hauptsatzes ist alles, was vor dem Verb steht, das die Personalendung trägt. Dort finden sich oft Angaben zur Zeit, zum Ort, zu einem Grund oder zur Art und Weise, z. B. „am Mittwoch“, „in der Schweiz“, „wegen ihrer guten Noten“ oder „bedauerlicherweise“. Studien haben gezeigt, dass solche Angaben häufig durch ein Komma abgetrennt werden, insbesondere, wenn das Vorfeld besonders lang ist, z. B.: „Wegen des Umbaus der Haltestellen vor dem Schwimmbad, wird der Verkehr derzeit umgeleitet“. Das Komma hinter „Schwimmbad“ ist aber falsch. Dieser Fehler hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen.
Warum sind Kommata so wichtig?
Kommata (oder Kommas, dieser Plural ist übrigens auch korrekt und heute sogar häufiger) dienen insbesondere dazu, Sätze zu gliedern, und tragen damit erheblich zu ihrer Übersichtlichkeit und Verständlichkeit bei.
Die Auswertung von Abituraufsätzen seit 1948 hat ergeben: Früher war sprachlich alles besser. Hat das Einüben der korrekten Orthographie heute tatsächlich einen anderen Stellenwert in den Grundschulen?
Der Deutschunterricht bildet heute ein viel breiteres Spektrum ab als damals. Es müssen beispielsweise viel mehr unterschiedliche Textsorten beherrscht werden, Medienkompetenz und kommunikative Kompetenzen allgemein spielen eine große Rolle. Da ist für die Rechtschreibung weniger Platz. Bei der Zeichensetzung fehlt Schülerinnen und Schülern auch oft der Blick fürs große Ganze; sie konzentrieren sich zu sehr auf einzelne Regeln.
An welcher Stelle im Satz darf ein Komma auf keinen Fall fehlen?
Unbedingt sollten Nebensätze vom Hauptsatz durch Komma getrennt werden. Was dabei erfahrungsgemäß oft vergessen wird, ist das schließende Komma, wenn der Hauptsatz nach einem eingeschobenen Nebensatz weitergeht. Beispiel: „Wir freuen uns, dass du kommst, und werden am Bahnsteig auf dich warten.“ Das meine ich mit dem gerade erwähnten „Blick fürs große Ganze“: Wer sich auf die Regel konzentriert, dass bei Aufzählungen vor „und“ kein Komma steht, wird übersehen, dass hier ein Nebensatz und ein Hauptsatz durch Komma voneinander getrennt werden müssen. Diese Regel hat ein höheres Gewicht als die erste Regel.
Und haben Sie noch einen Lerntipp für überzeugte Komma-Muffel?
Konzentrieren Sie sich zunächst auf ein paar wenige Grundregeln und berücksichtigen Sie dabei ihre unterschiedliche Gewichtung. Im Rechtschreibduden haben wir diese Regeln in nur sieben Punkten zusammengefasst. Sie finden sie auch auf unserer Internetseite, und zwar ganz zu Beginn des Abschnitts mit den Kommaregeln: duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/komma
Dr. Melanie Kunkel hat in Frankfurt, Lyon und Florenz Romanistik, Germanistik und BWL studiert und in angewandter Sprachwissenschaft promoviert. Seit 2016 ist sie Redakteurin in der Duden-Wörterbuchredaktion und unter anderem für das Handbuch „Komma, Punkt und alle anderen Satzzeichen“ zuständig.
Interview: bw//Foto: Adobe Stock