So Nikolaus,
wir müssen reden! Ich mache hier seit Jahren deinen Job. Ist dir das bewusst? Und wofür? Für nichts. Als die Kinder klein waren, da konnte ich damit ganz gut leben. Du kennst den Deal. Die Kinder sind zwei Tage lang vor Nikolaus ganz lieb. Ich steck was in die Schuhe, sie glauben, dass du das warst, freuen sich wie verrückt. Ich lächle gütig.
Ich hab’s dir gegönnt. Wirklich. Mir ist klar, dass du nicht überall sein kannst. Und natürlich ist so ein Job als Angestellter bei einer großen Supermarkt-Kette, wo du im Warmen tagsüber Äpfel und Schokolade austeilen kannst – flankiert von ein paar blonden, langbeinigen Engelchen in luftigen Kleidchen – lukrativer und attraktiver, als nachts allein in der Kälte von Tür zu Tür zu ziehen. Kein Ding.
Auch als die Kinder irgendwann auf den Trichter gekommen sind, dass eventuell ich das bin. Dass möglicherweise ich ihnen Schokolade und Aufkleber in die geputzten Stiefel stecke, hab ich versucht, den Mythos aufrecht zu halten. Es war aber auch einfach so rührend, wenn die Kleinen abends vor dem Schlafengehen noch schnell sämtliche Schuhe in eine Badewanne voll Lavendel-Gute-Nacht-Schaumbad warfen und dann triefnass und erwartungsvoll vor der Tür platzierten. Gerne habe ich die Schuhe die ganze Nacht auf der Heizung getrocknet und bin morgens eine halbe Stunde früher aufgestanden, um das feuchte Zeitungspapier im Inneren durch Leckereien zu ersetzten. Barfuß. Frierend. Ganz leise. Mit noch halb geschlossenen Augen.
Aber ewig funktioniert das natürlich nicht. Mit dem Mythos. Und jetzt? Jetzt ist Schluss. Ich hab gestern Abend bis 22:30 Uhr gewartet. So lange dauert das nämlich inzwischen, bis ich sicher sein kann, dass nicht doch noch wieder irgendein Kind wach wird, wenn es Schokoladenpapier rascheln hört. Und dann? Dann hab ich die Schuhe gesucht. Und weißt du was? Da waren keine. Also natürlich waren da Schuhe. Die meines Sohne zum Beispiel. Die hatte er lehmverkrustet auf meine schicken, neuen Winterstiefel geworfen. Es sah ein bisschen so aus, als hätte er versucht, zu bowlen.
Und die Tochterschuhe? Ich finde einen. Unter ihrem Bett, nachdem ich auf allen Vieren leise ins Zimmer krieche. Und jetzt? Was hätten Sie getan, Herr Nikolaus? Nichts rein füllen? Sorry, aber das kann man doch heute nicht mehr bringen. Achtsam sollen wir sein. Zum Nachwuchs. Strafen? Out. Völlig out. Ich überlege also. Lange. Esse aus Protest zwei kleine Schokoladen-Nikoläuse und platziere dann doch die gut gefüllten Kinderschuhe vor der Wohnungstür.
Am nächsten Morgen fällt es zunächst der Tochter siedend heiß ein, dass man das mit den Schuhen wohl vergessen hat. Sie trägt es mit Fassung und futtert Schokolade aus dem von mir gebastelten Adventskalender. Der Sohn ist da weniger verständnisvoll. Er habe dran gedacht. Weist er mich mit einem strengen Blick tadelnd zurecht und mit der Hand in Richtung Lehm-Schuh-Haufen. Ich hülle mich in geheimnisvollen Schweigen. „Kriegen wir jetzt gar nichts zu Nikolaus?“, fragt der Junge fassungslos. Drei Mal. Ich schweige, der Nachwuchs verlässt unter stillem Protest und kopfschüttelnd die Küche. Minuten später schallt wütendes Gezänk aus dem Bad. Sie schieben sich gegenseitig die Verantwortung für die vergessenen Schuhe in die Schuhe.
Über die ganze Zankerei wird es auch spät. Sehr spät. An diesem besinnlichen Nikolausmorgen. Und ich verlasse leise vor den Kindern das Haus, ziehe die Tür ins Schloss, werfe einen letzten Blick auf die Kinderschuhe vor der Haustür, klaue mir noch eine Schokoladenkugel aus jedem Stiefel und stelle meinen Turnschuh daneben. Leer.
Und ich erwarte – Herr Nikolaus – ich erwarte, dass der später, wenn ich nach Hause komme, voll ist. Bis zum Rand.
shy