Gargamel macht leise Geräusche. Geräusche zwischen Beunruhigung und Beschwichtigung. Das braune wuschelige Fell vom Regen der letzten Nacht noch etwas zerzaust, steht er unter einem alten Kirschbaum, der schräg am Hang wächst. Pepino, Black Diamond und Sam sind nicht so zurückhaltend. Neugierig kommen sie näher, während Gargamel das Geschehen beobachtet. Gargamel ist hier der Chef. „Hier“, das ist eine kleine Herde von vier männlichen Alpakas auf der neuen Alpakafarm „Hirtenaue“ in Heidelberg-Ziegelhausen.
„Alpakas sind sehr sensibel und auch eher scheu“, erklärt uns Melanie Weigl. Ihr gehören die vier Alpakas, und sie hat das großflächige, steil ansteigende Gelände von der Stadt Heidelberg gepachtet. Eigentlich stammen Alpakas aus Peru, sie sind berühmt für ihre Kletterkünste auf steilem Gelände. Für ihre Robustheit und ihr scheues Wesen ebenfalls. Und sie sind überzeugte Herdentiere. Dass Gargamel der Chef ist, musste er sich am Anfang erst erarbeiten. „Bei den Rangkämpfen von Alpakas wickeln die Tiere ihre langen Hälse umeinander und beißen sich gegenseitig in den Po und in die Kniegelenke“, erzählt Melanie Weigl weiter. „Und wer am stärksten beißt, ist der Anführer.“ Damit wir die vier Tiere auch aus der Nähe sehen, streicheln und fotografieren können, hat Melanie Weigl eine Dose mit Kraftfutter dabei. Das lieben die Tiere und so kommen drei der vier wolligen Langbeiner neugierig näher. Nur Gargamel bleibt unter seinem Baum. Beobachtet das Geschehen und macht leise, grunzende Geräusche. „Er hat die Verantwortung“, erklärt die ausgebildete Alpakatherapeutin, „er lässt immer erst die anderen fressen. Wenn sie satt sind, dann frisst er auch.“ Da kann Gargamel heute lange warten, ruckzuck ist das Kraftfutter weg und die Dose leer. Das stört den Chef anscheinend nicht besonders, er ist inzwischen mit Wiederkäuen beschäftigt und legt sich unter einen Baum. Die anderen drei werden jetzt auch abtrünnig, wandern über das Gelände und zupfen am Gras. „Gras, Heu und Kraftfutter ist das einzige, das Alpakas fressen dürfen“, erfahren wir. „Leider ignorieren die Spaziergänger immer wieder die Verbotsschilder und werfen Karotten oder Brot über den Zaun. Das ist für Alpakas hochgefährlich, sie können davon sterben. Aber die Leute denken wohl, sie tun den Tieren etwas Gutes.“
Aber wie kommt man auf die Idee eine Alpaka-Herde in Heidelberg zu halten? Die übrigens bald um zwei weibliche Tiere erweitert werden soll. Eigentlich ist Melanie Weigl ja ausgebildete Sängerin und Kirchenmusikerin und betreut bis heute einen Kirchenchor in Heidelberg. „Ich wollte etwas tun, das den Menschen hilft“, erzählt sie. „Eigentlich wollte ich Medizin studieren, aber das war irgendwann zu spät. Ich war also auf der Suche nach einer neuen Aufgabe.“ Auf die Idee mit den Alpakas kam Weigl dann beim Spinnen von Wolle. Die Wolle von bestimmten, wertvollen Alpakas ist nämlich wunderbar dicht und glänzend. Wenn man die geschorene Wolle auseinanderzieht, dann entfaltet sich ein schimmernder Nebel und nicht umsonst gehören Pullover oder Mützen aus Alpaka-Wolle zu den wertvollsten und weichsten Kleidungsstücken. Bevor die vier Alpakajungen im Mai dieses Jahres aus einer Alpakazucht in Nürtingen nach Heidelberg umzogen, wurden sie professionell geschoren. Nur am Kopf blieb die wuschelige Wolle stehen. Da Alpakas nicht schwitzen können, ist es für die Kameliden eine Erleichterung, den europäischen Sommer ohne ihre dichte Wolle zu verbringen. In den Anden, der Heimat der Alpakas, leben die Tiere auf mehreren Tausend Metern Höhe. Auch dort werden sie geschoren und die heutigen Andenbewohner leben von der kostbaren Wolle.
Begeistert von ihrer Alpaka-Idee machte sich Melanie Weigl an die Umsetzung. Nach langer Suche und vielen Verhandlungen mit den Besitzern der Grundstücke und der Stadt Heidelberg konnte sie das Gelände in Ziegelhausen roden und für die Tiere vorbereiten. Um die Tiere kaufen zu können, mussten nicht nur ihre Ersparnisse herhalten, auch Freunde und Bekannte beteiligten sich an dem Projekt – zusätzlich startete Weigl eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne. Für das Gelände wurden Privatgrundstücke zusammengelegt, einen Teil stellte die Stadt zur Verfügung.
Die unmittelbaren Anwohner sind begeistert von den Tieren. Diese sind nicht nur exotisch und ruhig, sondern sind die Lösung für ein tierisches Problem: Seit Jahren kämpfen die Ziegelhäuser an der Peterstaler Straße mit dem Wildschwein-Problem, nun halten die Alpakas als große Tiere in einer Herde die futtersuchenden Beetzerwühler fern. Natürlich bleibt das nicht ihre einzige Aufgabe. Melanie Weigl plant geführte Wanderungen – diese sind übrigens bereits jetzt ein voller Erfolg und für Monate ausgebucht. Ebenso soll es Kindergeburtstage geben, einen Tag bei den Alpakas für Tierfreunde, die Übernahme einer Patenschaft für ein Alpaka und vor allem die Möglichkeit der Arbeit mit behinderten oder kranken Kindern (und Erwachsenen). „Alpakas haben eine positive Wirkung auf kranke oder demente Menschen, ebenso auf besonders unruhige, sehr schüchterne oder autistische Kinder“, betont Weigl. „Alpakas sind sehr scheu. Menschen müssen sich also bemühen, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Die Tiere sind sehr gute Lehrer. Durch ihre beruhigende Art können sie Menschen in schwierigen Zeiten, zum Beispiel bei Krankheit, zur Seite stehen, ihnen Trost, Kraft und neuen Lebensmut schenken.“
Übrigens: Neben den Plänen für eine tierbegleitete Therapie wird es eine Kooperation mit dem Berufsbildungszentrum Neckargemünd sowie einer Station der Psychiatrie in Wiesloch geben, eine Seifenmanufaktur in Heidelberg wird Seife aus der Wolle herstellen und vielleicht gibt es sogar bald süße Alpaka-Babys.
bw // Fotos: sho