Am Anfang steht ein Bild.
Ein Bild von einem toten Kind, es liegt am Strand. „Ailan Kurdi lautet nach Angaben der Rettungskräfte der Name des kleinen syrischen Flüchtlingsjungen, dessen Leiche am Mittwoch mit dem Gesicht im Sand an einem Strand nahe des türkischen Ferienorts Bodrum gefunden wurde. Das sagte ein Vertreter der Rettungskräfte der Nachrichtenagentur AFP“, so schreibt es die FAZ.
Schon am Mittwoch, einen Tag, bevor die FAZ über den kleinen Ailan und sein Schicksal schreibt, wird das Bild des toten Jungen über Twitter in der ganzen Welt verbreitet. Der Hashtag lautet #KiyiyaVuranInsanlik. Das ist türkisch und heißt so etwas wie: „Die fortgespülte Menschlichkeit“.
Ich bin vorsichtig mit solchen Bildern.
Es kursieren unzählige Fotos im Internet, die gefälscht sind oder zumindest aus dem Zusammenhang gerissen. Vor einigen Wochen wurden auf Facebook und Twitter ein Bild verbreitet, auf dem ein Kind in einem Ballettröckchen leblos im Wasser treibt. Ein anrührender Text unter dem Bild rief zur Menschlichkeit auf, zur Solidarität mit den flüchtenden Menschen. Es handelte sich bei dem Bild um eine Fotomontage. Ich mag die Botschaft, aber ich mag es nicht, wenn mit falschen Bildern Emotionen geweckt werden. Ich erinnere mich auch an ein Bild, auf dem ein kleiner Junge in der Wüste liegt, angeblich zwischen den Gräbern seiner Eltern schläft. Auch dieses Bild ist gestellt, der Text darunter irreführend. Die Eltern des Kindes sind am Leben. Ich mag es nicht, wenn mir Lügen erzählt werden.
Deshalb bin ich vorsichtig mit diesen Bildern.
Das Bild des kleinen Jungen von Bodrum ist aber keine Lüge. Es ist Realität. Und nun haben zahlreiche Medien über Ailan berichtet, viele haben auch sein Bild gezeigt. Man sieht das Gesicht des kleinen Jungen nicht. Vielleicht ist es gerade deshalb ein so unfassbar trauriges Bild. Wie eine kleine Puppe liegt der Junge da. Scheinbar unversehrt. Angespült wie Treibgut. So hilflos, so beschützenswert, dass der Anblick einem schier das Herz aus der Brust reißt.
Und statt dass nun einfach endlich alle demütig schweigen – wenigstens für einen einzigen Tag – und die öffentliche Trauer um diesen kleinen Jungen zulassen, kommt, was so vorhersehbar war. Kommt, was kommen musste. All die egomanischen Moral-Klugscheißer kriechen aus ihren kuscheligen Sommerlöchern, stürzen sich mit Begeisterung auf das neue Thema, um innerhalb von wenigen Stunden ungefragt ihre nebensächliche Meinung ins Netz zu blasen.
Es geht nicht um den Jungen, oh nein!
Es entbrennt eine Diskussion, ob es angemessen sei, sein Foto zu zeigen. Das Für und Wider wird abgewogen, es wird kritisiert, schwadroniert, diskutiert, kommentiert und sich vor allem ganz viel profiliert.
Könnt ihr nicht einfach ein einziges Mal STILL SEIN!
Ein Kommentar von Sarah Hinney