StadtLandKind sprach mit Prof. Dr. Helena Dimou-Diringer, die das Institut und die Ambulanz der Heidelberger Akademie für Psychotherapie (HAP) leitet.
Depressionen, Ängste, Essstörungen – wer sich die Liste der Belastungen und Krankheitsbilder anschaut, die Prof. Dr. Helena Dimou-Diringer tagtäglich in der
Ambulanz der Heidelberger Akademie für Psychotherapie behandelt, muss unweigerlich erst mal schlucken, denn ihre Patienten sind Kinder. „Wir behandeln alle Formen von Verhaltensstörungen, wir haben Patienten zwischen drei und 18 Jahren. Unser derzeit jüngster Patient ist zweieinhalb Jahre alt, er leidet an Einschlaf- und Durchschlafstörungen“, erzählt die Diplom-Psychologin von ihrem Alltag in der Ambulanz.
Mit viel Herzblut leitet Helena Dimou-Diringer seit sechs Jahren das Institut
und die Ambulanz. Letztere etwa hat sie selbst aufgebaut, konnte die Therapieräume nach ihren Vorstellungen einrichten und ist stolz auf die Arbeit, die sie und ihre Kolleginnen hier leisten: „Wir arbeiten verhaltenstherapeutisch, das bedeutet, dass wir mit den Patienten alternative Verhaltensweisen trainieren. Da gibt es zum Beispiel einen kleinen Jungen, der eine Schluckstörung hatte. Mit ihm haben wir in unserer Therapieküche zusammen die tollsten Gerichte gekocht, um ihm seine Phobie vor Essen zu nehmen. Bei unserer Arbeit müssen wir flexibel sein, auf die Patienten zugehen und sie da abholen, wo sie sind.“ Enthusiastisch fährt die zweifache Mutter fort: Sie erzählt von Teenagern, die ihre Freundinnen mit zur Therapiesitzung bringen und freut sich ganz im Allgemeinen darüber, dass es längst nicht mehr das Tabuthema wie noch vor zwanzig Jahren sei, mit seinem
Kind zum Psychiater zu gehen.
„Wir alle wissen: schon unser ganz normales, durchorganisiertes Leben ist eigentlich zu viel für eine Kinderseele.“
Nachdenklich wird sie dann, als wir nach den Ursachen fragen. Wie kann es sein, dass schon so junge Menschen an Depressionen, Burn-outs oder Ängsten leiden? Auf der einen Seite gebe es da selbstredend die genetische Komponente, die eine Rolle spiele oder etwa das Modelllernen: Kinder übernehmen die Ängste der Eltern, schauen sie sich praktisch ab. Auf der anderen Seite könne man unschwer den steigenden gesellschaftlichen Leistungsdruck und die sich verändernden Familienstrukturen als Ursachen für psychische Erkrankungen der Kinder leugnen, so Helena Dimou-Diringer. Und das was die Diplom- Psychologin da anspricht, das spüren Eltern auch. Die Kleinfamilie ist heute oft auf sich alleine gestellt: Mama und Papa schwer am Schuften, von Kita zur Arbeit und zurückhecheln, der Haushalt, das Essen kochen, Elternabend, Meetings, Hobbys, Freunde – alles ist bis ins Detail ausgetüftelt und organisiert. Nur darf eben ja nichts dazwischenkommen. Kein krankes Kind. Keine schulischen Probleme. Überhaupt gar keine Probleme am besten, denn das Stresslevel ist ja sowieso bei allen zu hoch. Fürs in die Augen schauen, richtig Zuhören, sich auch mal langweilen und rumblödeln bleibt da keine Zeit. Und für Probleme gleich dreimal nicht. Intuitiv wissen wir alle, dass das mitunter zu viel Stress für die Kinderseele ist. Und wenn unser Leben schon so rasant vonstatten geht, wie mag das unserer Kinder später wohl erst aussehen? Wie können wir sie ausstatten, was können wir ihnen mitgeben? Resilienz, das ist sozusagen das Immunsystem der Psyche. Und in der Tat kommt es einem doch mitunter so vor, als gebe es zwei Sorten von Menschen: jene, die Krisen besser zu bewältigen wissen, sogar gestärkt daraus hervorgehen und jene andere, die krank werden oder sogar daran zerbrechen. Aber warum verfügen manche über diese innere Widerstandskraft und andere nicht? Genau dies versuchen Psychologen, Pädagogen, Neurowissenschaftler, Genetiker, Säuglings- und Verhaltensforscher seit geraumer Zeit zu ergründen.
Der mit Abstand wichtigste Schutz für die Seele ist eine sichere Bindung.
Eine der bis dato wichtigsten Forschungsergebnisse ist: Der mit Abstand wichtigste Schutz für die Seele ist eine sichere Bindung. Schon die Zuneigung und Unterstützung einer einzigen Person kann da ausreichen und dies muss gar nicht zwangsläufig die Mutter oder der Vater sein. Und eigentlich ist das ja auch ganz logisch: Wer eine sichere Bindung erfahren hat, kann anderen schneller vertrauen. Auch das zeichnet resiliente Menschen aus: die Fähigkeit verlässliche soziale Beziehungen aufzubauen und sich Unterstützung zu suchen, um mit Krisen fertig zu werden.
Prof. Dr. Helena Dimou-Diringer ist sich sicher, als Eltern die Seelen seiner Kinder widerstandsfähig zu machen ist im Prinzip nicht schwer: „Ganz einfach: Für das Kind da sein! Das klingt so simpel, aber das ist meiner Ansicht nach, das Allerwichtigste. Und dabei zählt gar nicht mal die Quantität. Aber: Wenn man Zeit mit dem Kind verbringt, dann sollte man schon mit beiden Ohren und der gesamten Aufmerksamkeit beim Kind sein, man sollte wissen, was es beschäftigt, wie es ihm geht. Eine Bezugsperson zu haben, ist für ein Kind eine sehr gute Ausgangsbasis. Und diese sollte dem Kind außer Liebe auch noch Regeln und eine Struktur mitgeben und ihm zudem Grenzen setzen können. Denn Kinder brauchen
diese Formen von Sicherheit, um sich in der Welt zurechtzufinden.“
Bekommt das Kind ein positives Selbstbild vermittelt, so lernt es, dass es die Fähigkeiten besitzt, auch aus eigener Kraft etwas zu bewirken. Selbstwirksamkeit nennen Psychologen das, und sie ist einer der mächtigsten Schutzfaktoren der Seele. Und wie Helena Dimou-Diringer schon anspricht, so kommt auch die Forschung zu dem Ergebnis, dass der Stil der Erziehung eine Rolle spielt. Dieser sollte im besten Falle durch Wertschätzung und Akzeptanz dem Kind gegenüber sowie durch ein unterstützendes und strukturierendes Erziehungsverhalten gekennzeichnet sein. Doch nicht nur die engsten Bezugspersonen sind von Bedeutung: Kompetente und fürsorgliche Erwachsene außerhalb der Familie, die als positive Rollenmodelle dienen und vorleben, wie man Krisensituationen im Alltag bewältigt und positive Kontakte zu Gleichaltrigen und Freundschaftsbeziehungen, sowie ein wertschätzendes Klima in den Bildungseinrichtungen helfen, die Kinderseele stark zu machen.
Fakt ist: Resilienz ist nicht angeboren, Resilienz wird erlernt. Und erwiesenermaßen sind es vor allem die Kinder- und Jugendjahre, in denen wir die Chance haben, unsere seelische Widerstandfähigkeit zu entwickeln. Das gibt Hoffnung, auch für die jungen Patienten von Helena Dimou-Diringer. Und was ist das Schönste an ihrer Arbeit? „Wenn ein Kind bei uns rausgeht und glücklich und zufrieden ist, wenn es wieder lebensfroher ist und häufiger lacht, ist das für mich der schönste Erfolg!“
Jule Leger // Foto: fotolia
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