Schon Dich! Oder: Kranke Mütter sind nicht vorgesehen

Kranke Mütter

Zwischen Grippemittel und blauem Zuckerguss: Kranke Mütter sind in der Evolution nicht vorgesehen.

Liebe B.,

„Schon Dich“, sagt der Gatte und verlässt – mich küssend – das Haus. „Und nicht putzen oder so“, wirft er noch zwinkernd hinterher. Höre ich da einen leisen Vorwurf?
Die Kinder sind da konkreter: „Machst Du Lasagne heute zum Mittagessen? Jetzt wo Du doch daheim bist und den ganzen Tag Zeit hast?“.

Ich bin nämlich daheim und habe den ganzen Tag Zeit.

Also den ganzen Tag von 8 bis 13.30 Uhr. Dann kommen die Kinder wieder. Aber da ich normalerweise vormittags arbeite, ist das natürlich schon ganz schön viel Zeit für mich. Die Sache hat nur einen winzigen Haken:
Ich bin krank.

Krank sein ist leider in Kombination von halbtagsarbeitender Mutter von der Evolution im Moment noch nicht vorgesehen.
Bevor ich Kinder hatte, wurde ich auch mal krank, dann ging ich zum Arzt, der schrieb mich krank, ich legte mich ins Bett, trank Tee, las ein Buch, jammerte ein bisschen, schlief und wurde wieder gesund. Klingt das nicht herrlich? Wie Urlaub.
Wenn ich heute krank werde, schlucke ich eine Woche lang in Abständen von ein paar Stunden irgendwelche schädlichen Kombigrippepräparate, die man keinesfalls länger als drei Tage nehmen soll, informiere meinen Arbeitgeber, dass ich statt in der Redaktion zu Hause arbeite und mache alles andere wie gehabt weiter.
Normalerweise. Ich bin jetzt aber krankgeschrieben. Mit von der Ärztin verordneter Bettruhe („wenn möglich“, sie hat auch Kinder) und vor allem mit einem monstermäßig schlechtem Gewissen.
Warum? Ja, weil alles andere doch unlogisch wäre. Wenn man sich als Mutter nachmittags um die Kinder kümmern kann, dann kann man doch auch vormittags arbeiten, oder?

Wenn Mütter früher krank wurden, dann war da im günstigsten Fall Personal oder mindestens eine Oma zur Hand, die sich der Kinder annahm. Da konnte man schon mal ein paar Wochen schwach auf der Lunge oder schwindsüchtig sein. Im ungünstigsten Fall ist man halt gestorben.
Heute waren die Kinder aber schon am Wochenende bei der Oma und die will sich ja auch nicht anstecken, weil der nächste Urlaub ansteht und der Gatte, der kann ja jetzt auch nicht einfach daheim bleiben. Und eigentlich sind die Kinder ja auch schon groß und haben Verständnis. Und das stimmt ja wirklich. Die Zeiten, in denen ich mit Fieber und Schütterlfrost im Winter auf dem Spielplatz saß, weil das Krabbelkind nach einem halben Tag zu Hause einfach unerträglich wurde, sind ja gottseidank vorbei.

Und gestern waren sie wirklich süß, die Kinder. Schonen wollten sie mich und besonders lieb sein. Deshalb ist die Tochter gleich nach dem Mittagessen mit ihrer Freundin mitgegangen, um bei der Freundin Hausaufgaben zu machen. Damit ich Ruhe habe. Das war lieb, so konnte ich die Küche ganz in Ruhe aufräumen. Und die Tochter konnte ja auch nix dafür, dass sie sich dann ganz schlimm gestritten hat mit der Freundin und dann erst mal eine halbe Stunde schluchzend in meinem Bett liegen muss, in das ich mich gerade gelegt hatte, weil ich so erschöpft war vom Kücheaufräumen und mein Kopf so wehtat. Und dann hat sie eben bei mir im Bett die Mathehausaufgaben gemacht, weil sie die eh nicht verstanden hat und dann hat sie beschlossen bei mir im Bett zu bleiben, weil das so gemütlich ist und ich könnte ihr ja was vorlesen, sie brauchte nur noch ein paar Spielsachen….also etwa hundert.

Und war ja klar, dass der Sohn das dann auch wollte. Also die Hausaufgaben im Bett bei mir machen und das klappt aber bei Geometrie nicht so gut, wenn die Schwester immer an der Bettdecke ruckelt und dann muss man die Schwester halt mal ein bisschen hauen aber nur ein bisschen.

„Mama? Warum stehst Du jetzt auf????“

Das Brüllen klingt so kläglich aus meinem kratzenden Hals, ich lasse es sein und gönn mir noch ein Grippemitteltütchen. Ohne Wasser prickelt das so schön auf der Zunge, fast wie Ahoi-Brause.
Die Kinder sind geknickt und wollen alles wieder gut machen.

Die Tochter möchte zum Trost Kuchen backen. Für mich. Gaaaaaaanz alleine. Ein Albtraum, den ich natürlich verhindern würde, wenn ich nicht so schwach wäre. So lasse ich sie gewähren und ziehe mir dankbar hustend für die kurze Pause die Bettdecke im Kinderstockbett über den Kopf. (Mein Bett ist voller Spielsachen.) Leider muss ich dann doch noch mal aufstehen, weil die Eier alle sind und das Mehl und der Zucker und der Zitronensaft und das Backpulver aber der Supermarkt ist ja ums Eck und weil die Tochter nicht weiß, wie blauer Zuckerguss geht muss ich dann auch noch mal raus. Kurz.
Und dann noch mal, weil der Sohn mitbacken will und es dadurch zu Handgreiflichkeiten in der Küche kommt, in deren weiteren Verlauf ein Mixer einer Rolle spielt, der volle Pulle angeschaltet Teigfetzen in der Küche versprüht.
Die Streitigkeiten lassen sich aber zügig beenden, als ich dem Sohn verspreche, dass er dafür abends GANZ ALLEINE Abendessen kochen darf. Macht er dann auch, kurz nachdem ich unter Schweißausbrüchen das Backküchenchaos beseitigt habe, legt der Junge los und zaubert ein einfaches, aber schmackhaften Mal (glaube ich, ich rieche und schmecke seit Tagen nichts.) Kind ist endlos stolz, ich auch. Auch wenn ich nicht verstehe, wie man für Bratkartoffeln mit Rührei drei Töpfe, vier Pfannen und sämtliche Kochlöffel braucht.

Mit letzter Kraft räume ich noch einmal die Küche auf, der Kopf dröhnt, ich krieche gerade aufs Sofa, als mir die Tochter einen Amerikaner mit blauem Zuckerguss reicht und der Gatte nach Hause kommt:
„Na? Hast Du Dich schön ausgeruht? Toll, wie die Kinder sich um Dich kümmern.“

Genau.

Und wenn Du, liebe B., Dich jetzt fragst, warum und wann ich das hier schreibe, wo ich mich doch eigentlich ausruhen sollte, dann kann ich Dich beruhigen:

Ich habe das hier heute Nacht geschrieben, als ich wegen dem saublöden Husten eh nicht schlafen konnte und mich dabei ertappt habe, wie ich überlegte, ob ich nicht doch einfach wieder arbeiten gehen soll. Morgen. Weil es eigentlich ja voll schön ist in der Redaktion und weil man ja eigentlich auch arbeiten kann, wenn man sich um Kinder kümmern kann, oder? Und wenigstens hat man dann kein schlechtes Gewissen mehr.
Aber jetzt nehm ich erst mal ein Grippemitteltütchen und leg mich nochmal ins Bett.

19. Mai 2015