Großeltern sind der soziale Kitt zwischen den Generationen und die Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft. Weltweit spielen sie eine große Rolle in den Familien, sie gelten im besten Fall als Mittelpunkt, als Anker. Erst im 18. Jahrhundert entwickelte sich das Bild der freundlichen, liebevollen Oma, die im Schaukelstuhl sitzend, wahlweise vorlas oder strickend beschäftigt war. Das Bild hat sich seit dem grundlegend verändert. Und jetzt, wo die Generation der Babyboomer Großeltern wird, ist das Bild so divers wie nie zuvor. Oftmals stehen Großeltern heute noch mitten im Leben, wenn ihre Kinder Kinder bekommen. Sind beruflich eingespannt, planen sogar neue Karrieren, haben Hobbys, Freunde, freuen sich auf Reisen. Und wenn die eigenen Kinder Eltern werden, verschiebt sich das Familiengefüge, die Rollen müssen neu gefunden werden, das geht oft nicht ohne Konflikte. Seit einiger Zeit gibt es bundesweit Kurse für Großeltern, in denen sie nicht nur wickeln und füttern lernen können, sondern sich auch austauschen – über Erwartungen, Enttäuschungen und Streitthemen mit den Kindern.
Die Familientherapeutinnen und Autorinnen Gundi Mayer-Rönne und Carina Manutscheri, beide begeisterte Mütter und Großmütter, stellten in ihrer täglichen Arbeit fest, dass immer mehr Großmütter ihren Rat suchen. Und: dass es viele Ratgeber für Eltern gibt, aber wenige für Großeltern. Entstanden ist ein großartiger Ratgeber, erschienen 2021 im BELTZ Verlag, der für Großmütter, aber auch für Eltern, Ideen für Lösungen und Wege aus schwierigen Situationen aufzeigt.
Liebe Frau Mayer-Rönne, liebe Frau Manutscheri, beim Lesen von „Oma werden – Oma sein“ musste ich spontan an meine Schwiegermutter denken. Dieses Buch hätte ich ihr zur Geburt ihrer Enkel schenken sollen, vielleicht wären viele Missverständnisse vermeidbar gewesen. Ich war damals nämlich sehr überrascht, dass sie eine so ganz andere Sicht auf das Oma-Sein hatte, als ich. Wir Eltern hatten beide erwartet, dass sie uns – wenn gewünscht – unterstützen würde, sich aber mit Ratschlägen und Kommentaren zurückhält. Das Gegenteil war der Fall. Selbst in Kleinigkeiten hatte sie eine eigene Meinung; noch schlimmer für uns: sie hielt sich nicht an Verabredungen (sie würde sagen: Anweisungen), wie zum Beispiel nur gesunde Lebensmittel zu füttern (wobei bereits der Begriff „gesund“ unterschiedlich bewertet wurde …) oder kein Babypuder beim Wickeln zu verwenden. Heimlich kaufte sie Babypuder und brachte es zum Babysitten mit. Ich war sehr wütend über diesen Vertrauensbruch, aber heute denke ich, naja, das bisschen Puder hätte wahrscheinlich auch nicht geschadet. Heute würde ich mir auch wünschen, dass die Kinder ein eigenes und herzlicheres Verhältnis zu ihrer Oma hätten …
Also: Eigentlich ist das Buch nicht nur ein Ratgeber für Großmütter, sondern auch eins für Eltern, oder?
Ja genau, zusammen mit meiner Co-Autorin Carina Manutscheri reflektierten wir immer wieder die Mehrgenerationensicht. Verständnis und Würdigung für jedes Familienmitglied hilft Probleme und Konflikte so zu lösen, dass es allen besser geht, und davon profitieren die Kinder.
Wie kam Ihnen die Idee zu dem Buch?
Es war die Idee von Carina; sie hatte bemerkt, dass es jede Menge Elternratgeber gibt, aber wenige für Großeltern. Als Familientherapeutin und begeisterte Oma habe ich diese Idee aufgegriffen, und Carina hat mit ihrer Eltern-Perspektive und ihrem Autorinnen-Know-how geholfen die Idee in die Tat umzusetzen.
Eltern haben eigene Vorstelllungen davon, wie sich die Großeltern einbringen sollen. Das kann zu Missverständnissen führen. Welche Konflikte konnten Sie in ihrer Arbeit mit Familien am häufigsten beobachten?
In unserem Buch wollen wir allen Beteiligten näherbringen, dass andere Menschen nie oder selten unseren Vorstellungen entsprechen. So können wir lernen, die uns nächsten Menschen vorbehaltlos anzunehmen, sie werden uns immer erfreuen und enttäuschen, sie werden manchmal tun, wie wir es wollen, aber öfters, wie wir es nicht machen würden. Jede Generation hat eigene Ideen, wie das Leben gut zu leben ist. Konflikte lösen heißt in erster Linie, richtig zuzuhören. Ich helfe meinen Klienten zuerst einmal, die eigenen Bedürfnisse gut wahrzunehmen, und dann auch die Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen der anderen zu hören.
Sie schreiben: „Das Geben von einer Generation an die nächste ist die einzige Beziehung, die keinen Ausgleich braucht.“ Das sehen viele Großeltern aber ganz anders…
Ja, leider. Ich erlebe es auch oft, dass Menschen, Frauen wie Männer, meiner Generation sagen: Wir haben doch so viel für dich getan, jetzt muss es zurückkommen! Aber das ist ein großer Irrtum, unsere Kinder gehen ins Leben und alles, was sie von uns empfangen haben, geben sie an die nächste Generation weiter, die Energie fließt immer zum schwächsten Glied. Wenn wir das verstanden haben, kriegen wir unendlich viel zurück – zu geben ohne Erwartungen macht glücklich. Wenn ich allerdings meinen Kindern und Enkelkindern gebe und gleichzeitig erwarte, dass etwas zurückkommt, auf Eigenes verzichte in der Erwartung, dass die nächste Generation ausgleicht, werde ich enttäuscht. Ich möchte allen Eltern und Großeltern sagen: tu für die nächste Generation mit Freude, oder tu es nicht.
Ein Kapitel heißt: „Schluss mit der Männerschonung“ – was können wir uns darunter vorstellen?
2000 Jahre Patriachat haben Spuren hinterlassen. In den meisten Familien übernehmen nach wie vor die Frauen die meiste Care-Arbeit. Vieles hat sich verbessert und wenn ich meinen eigenen Sohn anschaue, wie er mit seinen kleinen Kindern umgeht, wie er seinen vier Wochen alten Sohn versorgt, denke ich, vieles ist gelungen. Ich erlebe aber auch, dass Männer, die Care-Arbeit leisten viel Anerkennung und Lob erhalten, während es bei uns Frauen einfach selbstverständlich ist, dass wir nach wie vor den Löwenanteil bewältigen. Da einen Ausgleich zu schaffen ist mein Anliegen, Care-Arbeit ist wundervoll, anstrengend und manchmal einfach zum Verzweifeln. Würdigung für Frauen und Männern, und das Einfordern von gerechter Arbeitsverteilung ist das Anliegen in diesem Kapitel, auch Opas sind da gefordert.
Die Grundlage der Beziehung geht von der älteren Generation aus. Ganz schön kompliziert: einerseits sollen Großeltern die Basis aufbauen, sich aber dann mit Ratschlägen zurückhalten?
Ja genau, die Basis ist Liebe, Respekt, Vertrauen, Zuhören und niemals konkrete Ratschläge, die nicht erbeten sind. Das ist nicht gerade einfach, es betrifft Kinder, Schwiegerkinder, Enkelkinder und alle Patchwork-Konstellationen. Wir „Älteren“, die schon ein Gutteil des Lebens gelebt haben, könnten es vormachen: Probleme können auf vielfache Weise gelöst werden – unsere Kinder haben alles, was sie dazu brauchen – engagierte Gelassenheit seitens der Großeltern, eine fragende und keine ansagende Haltung.
Frauen werden heute Großmütter, wenn sie oft noch mitten im Leben stehen. Wie passt das damit zusammen, dass sie plötzlich nicht nur als Babysitter, sondern (Zitat) als „Kraftspender“, gebraucht werden?
Frauen sollten, egal ob sie Mutter oder Großmutter werden, ihre eigenen Bedürfnisse nie vernachlässigen. Es geht immer um Balance, ich kann nicht Kraftspender für andere sein, wenn ich es nicht für mich selbst bin. Kinder können von vielen Menschen betreut werden, es ist immer eine Frage, wie viel Großmutter will ich sein, wie viel Zeit und Energie bin ich bereit meinen Enkeln zu schenken? Die Antworten werden so unterschiedlich ein, wie es Familien gibt.
Obwohl Großeltern heute nichts mehr mit den weißhaarigen Schaukelstuhl-Klischees gemein haben, haben sie doch immer noch einen kritischen Blick auf die nächste Generation. Das Klischee scheint also noch zu stimmen. Mit klaren Vorstellungen zu bestimmten Themen. Zum Beispiel: Kinder, die noch im Elternbett schlafen, keine Tischmanieren haben, noch bis kurz vor der Einschulung Windeln brauchen oder nicht alleine einschlafen. Was sagen Sie diesen Großeltern?
Einen liebevollen Blick auf sich selbst lenken, mit Humor eigene Vorstellungen reflektieren. Häufig stecken hinter kritischen Blicken, eigene tiefe Ängste, es nicht richtig gemacht zu haben oder die nächste Generation macht es nicht richtig.
Und zum Schluss natürlich noch die Frage nach dem Geheimrezept: Wie geht es denn nun, das perfekte Oma-Sein?
Es gibt keine perfekte Oma, keine perfekte Mutter, das gleiche gilt für Väter und Großväter. Was wir aber können, ist gut genug sein, im täglichen Bemühen sich aneinander zu freuen. Ist es nicht schön, dass es die anderen gibt, auch wenn sie nerven. Konflikte gehören einfach dazu, wir könnten sie lieben lernen.
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„Oma werden, Oma sein“, BELTZ , 2021, 20.- Euro