Der Lehrer komisch? Der Ranzen zu schwer? Das Mensaessen schlecht! Wer sitzt eigentlich wo auf dem Elternabend? Am Ende ist es egal, denn alle sitzen auf viel zu kleinen Stühlen. „Von Themen, Typen und verpassten „Tagesthemen“.
Ein neues Schuljahr startet und mit ihm steigt die Spannung. Denn irgendwann Richtung Oktober finden sie statt, die Elternabende unserer Kleinsten. Wer Glück hat, ist ganz schnell wieder zu Hause. Kurzes Hallo, Bericht der Klassenlehrer, Wahl der Elternvertreter und ein neuer Termin für nächstes Frühjahr. Herzlichen Glückwunsch, wenn es so läuft. Ich für meinen Teil habe so etwas noch nie erlebt. Meine Elternabende waren bislang immer ein Spiegel der Gesellschaft: bunt, laut, manchmal verdächtig leise und oft auch einfach ungerecht. Mal sind die Toiletten schmutzig, der Schulranzen zu schwer, mindestens ein Lehrer irgendwie komisch und das Essen in der Mensa zu wenig bio. Das kommt meistens von der Dame in der ersten Reihe, die auf dem viel zu kleinen Stuhl auch nach drei Stunden immer noch wie eine Eins sitzt und derart vegan unterwegs ist, dass sie alle Liebhaber einer Rostbratwurst am liebsten nach draußen zu den Rauchern stellen würde. Außerdem brauchen die Kinder mindestens eine Trinkpause pro Schulstunde. Dafür plädiert die Mama im Hosenanzug samt Nadelstreifen, die glaubhaft versichert, dass ihre Leistungsfähigkeit im beruflichen Alltag fast nur mit der Zufuhr von sechs Litern Wasser pro Tag zusammenhängt.
Vorne sitzen immer die, die bestens Bescheid wissen. Die wie ein Helikopter um ihre Kinder schwirren und am besten in der Whats-App-Gruppe „Klassenchat 2b“ noch am gleichen Tag den Unterricht kommentieren. Die immer wieder ganz aufgebracht von weißen Kastenwagen berichten, die am liebsten vor Grundschulen halten und die Kinder samt Schulranzen verschlucken. Ganz zu schweigen von dem vielen Crystal Meth in Brausetütchen, den Läusen, die immer nur die Köpfe anderer befallen und K.o.-Tropfen im Pausen-Kakao. Den es aber schon lange nicht mehr gibt, wie der Nostalgiker aus Reihe drei zum Besten gibt. Ein langer Seufzer beendet seine Stellungnahme und die vier top gestylten Mädels in seiner Nachbarschaft halten kurz inne. War das alles? Kommt noch was? Sie warten nicht und tuscheln weiter.
Bleibt noch das Mittelfeld. Dort befindet sich in der Regel der (geschlechts-) neutrale Block. Sie alle haben Papier oder ein Tablet vor sich, notieren jeden Laut und werden wohl zu später Nachtstunde und in Echtzeit zu Hause Bericht erstatten. Ich ordne meine Unterlagen, suche die Tagesordnung und bemerke, dass wir schon lange am Ende sein sollten. Begrüßung: abgehakt. Bericht Elternvertreter und Klassenlehrer: ebenfalls. Aussprache: erledigt. Wenn da nicht die Wahl des Elternvertreters wäre. Kaum angesprochen, scharren schon die ersten mit den Hufen. Natürlich könnten die beiden bisherigen Elternvertreter weitermachen. Aber warum, wenn man schon mal wählen darf?
Denn noch ist die Euphorie groß, doch spätestens in der weiterführenden Schule werden die Zeigefinger bei der Suche nach Kandidaten und Kandidatinnen nicht mehr nach oben schnellen und 99 Prozent aller Anwesenden Löcher in die Luft starren. Aber heute, so kurz vor dem Ende des Elternabends, sind sie da: die freiwilligen, motivierten, sachverständigen Eltern, die alle zur Höchstform auflaufen. Fünf sind es, aber nur zwei Plätze zu verteilen. Also förmliche Vorstellung, Gedanken und Ziele formulieren. Wie bei einem Parteitag bilden sich verschiedene Lager, werden die Anwesenden auf die eine oder die andere
Seite gezogen. Natürlich muss auf Antrag der Nadelstreifen-Mama geheim abgestimmt, eine Wahlkommission und anschließend ausgezählt werden. Nebenbei wird noch diskutiert, ob die Kinder wirklich zu wenig Hausaufgaben bekommen und warum beim Willkommensfest für die Neuen die Doodle-Liste trotz mehrfacher Aufforderung nicht voll wurde.
Da schlägt die Stunde der Mehrfach-Mama aus Reihe zwei, unterstützt vom Mehrfach-Papa. Die beiden haben so viel Erfahrung, dass sie alle daran teilhaben lassen. Sie erklären, wie es bei der ältesten Tochter lief, die heute studiert, oder auch bei den Zwillingen, die unter diesem ungeliebten G8 ächzen. Und: Gerne hätten sie sich in die Doodle-Liste eingetragen, aber die anderen drei ihrer insgesamt sechs Kinder waren an diesem Tag zu genau dieser Uhrzeit beim Tennis, Kindergeburtstag und beim Logopäden.
Es ist 22.15 Uhr, der Hausmeister hat schon dreimal den Strom kurz ab- und wieder angedreht. Was er nicht weiß: Gleich im ersten Wahlgang steht das Ergebnis fest, die zwei Alten sind auch die Neuen. Kurzer Applaus, Festlegung des nächsten Termins und: so knapp vor dem Ziel kommt noch von der Seite ein schnell eingeschobenes, fast zart gehauchtes „Nur ganz kurz“. Ich verzweifle und schminke es mir komplett ab, zumindest die Zusammenfassung des Champions- League-Spieltags zu sehen. Wie in Trance stimme ich dem neu zu gründenden Elternstammtisch zu, finde auch als ausgewiesener Gegner von Lehrer-Geschenken das Zitronenbäumchen für die Klassenlehrerin toll und freue mich, in zwei Wochen den Transport der kleinen Monster in das zweitägige, gut 350 Kilometer entfernte Schullandheim mit zu übernehmen.
Gerade sind die „Tagesthemen“ fertig, da bin auch ich erlöst. Um Jahre gealtert schleiche ich das Treppenhaus hinab, drücke die alte schwere Schultür mit letzter Kraft auf. Ob ich noch mitgehe, was trinken und ein bisschen reden, werde ich gefragt. „Nein danke“, sage ich. Erstens kann ich gar nicht so viel Alkohol trinken, wie ich in dem Moment bräuchte und zweitens muss ich morgen Abend fit sein. Dann ist Elternabend in der siebten Klasse meines anderen Sohnes. Mit Neuwahl der Elternvertreter und der grundsätzlichen Frage, wie Eltern den Bildungsplan mitgestalten können.
Und das Beste daran ist: Ich freu mich drauf.
sf // Foto: mschi