„Jetzt macht sie wieder einen auf Mama“

Anna S. (Name geändert) brach mit einem gesellschaftlichen Tabu. Sie verließ ihren Mann und ließ ihre Kinder zurück. Für StadtLandKind hat sie aufgeschrieben, was es bedeutet, eine „Rabenmutter“ zu sein. Die sich zwar trennen – aber ihre Kinder nie im Stich lassen wollte.

Rabenmutterskal

„Mama, willst Du nicht mit uns frühstücken? Wie erkläre ich meinen Kindern, dass ich unglaublich gerne mit ihnen frühstücken will, aber der eigene Frühstückstisch nun in einer anderen Wohnung steht? Wie erkläre ich ihnen, dass Mamas Bett, Mamas Küche, Mamas Sachen jetzt woanders sind, weil Mama und Papa nicht mehr zusammenleben? Dass ihre Welt jetzt immer eine andere sein wird, weil Mama ausgezogen ist?

Genau das habe ich getan.

Ich bin ausgezogen.

Und ich ließ die Kinder bei ihrem Vater.

Weil sie es dort gut haben. Sie ihr Zuhause behalten haben. Ich weiß nicht, wie viele Mütter es gibt, die diesen Schritt machen. Oder warum sie es tun. Ich weiß nur: Es war einer der schwersten, schmerzhaftesten Schritte in meinem Leben. Keine, wirklich keine Entscheidung hat so wehgetan. Und jedes Mal wenn mein Kind mich aus dem Nichts heraus fragt ‚Warum willst du nicht mehr mit uns frühstücken, Mama?‘ kommt dieser Schmerz zurück. Es gibt immer Gründe für eine Trennung. Ich hatte meine.

Ich ließ die Kinder bei ihrem Vater, weil ich wusste und immer noch weiß, dass er nicht nur ein guter Vater ist – sondern ein toller Papa. Das Exemplar Papa, um das mich andere Mütter beneideten. Ich zog trotzdem aus. Mit ein paar Sachen. So wenig wie möglich, so viel wie nötig. Nur nicht zu viele, damit es das Zuhause blieb, dass die Kinder kannten. Ich zog aus, weil ich wusste, dass sie zumindest in ihrem Zuhause bleiben konnten. Weil ich wusste, dass ich sie jeden Tag sehen konnte. Aber es ist nicht das Gleiche.

Ich bin jetzt Teilzeit-MMamaama

Ich bin jetzt Teilzeit-Mama. Die, die nachmittäglichen Knatsch mitbekommt, die das Schulkind durch die Hausaufgaben zwingt, die mit ihnen spielt, mal mit ihnen ins Kino geht oder im Sommer ins Schwimmbad – aber nie den Alltag mit ihnen lebt. Ich bin die Abwechslung. Und wenn es etwas zu besprechen gibt, dann machen sie das mit Papa. Abends, wenn er wieder da ist. Dann gehe ich nach Hause. Manchmal erleichtert über die Ruhe, die dann eintritt, weil kein Streit und kein Geschrei mehr ist, sondern Stille. Aber manchmal fliegt mir genau diese Stille um die Ohren. Ich werde ihn nie vergessen, den Moment nach ihrem ersten Besuch, ihrer ersten Übernachtung bei mir, ehe ich sie am nächsten Tag nach Hause brachte und, als ich zurück in meine Wohnung kam, mich leere Kinderhausschuhe anstarrten. Nie war die Wohnung leiser, nie leerer, nie kälter als da, in diesem Augenblick. Es gab Zeiten, in denen ich glaubte, es wäre vielleicht schön Teilzeit-Mama zu sein. Zeit mit den Kindern zu verbringen und gleichzeitig auch Freiheiten haben, wenn sie nicht um mich sind. Es ist aber nicht schön. Ja, ich habe Schuldgefühle. Hätte ich nicht doch die Ehe weiter aushalten können? Oder besser: mich arrangieren? War wirklich nichts mehr zu retten? Nein. War es nicht. Und trotzdem bleibt die Schuld im Kopf. Damit musste ich rechnen.

Womit ich nicht gerechnet hatte, waren die Reaktionen um mich herum. Freunde ziehen sich zurück. Davon hatte ich gehört, es nicht geglaubt und dann selber erfahren.

Noch weniger hatte ich damit gerechnet, dass sich die Menschen um mich herum eine Meinung bildeten, dass ich der Dorfklatsch wurde. Scheinbar wusste jeder irgendwas und machte sich sein Bild, um sich damit zu positionieren. Warum eigentlich? Die Seite, auf die sie sich schlugen, war nicht meine. Eine Mutter, die ihre Familie verlässt – Rabenmutter. Seitdem gibt es Menschen, die sich wegdrehen, wenn sie mich kommen sehen. Die, die so tun, als hätten sie nicht gehört, wenn ich eine Frage an sie richte. „Jetzt macht sie wieder einen auf Mutter“ ist der Satz, der hinter meinem Rücken fällt, wenn ich mit einem der Kinder auftauche. Ich würde gerne sagen, ich stehe über diesem Gerede. Aber das tue ich nicht. Denn es verletzt. Immer wieder aufs Neue. Weil es meine eigenen Schuldgefühle widerspiegelt. Und mich immer wieder auf die Frage zurückwirft: Bin ich jetzt eine schlechtere Mutter als andere? Weil ich es gewagt habe, einen Schritt zu machen, der anscheinend den Vätern vorbehalten ist? Nein Bin ich nicht. Ich habe eine Ehe und ein Zuhause verlassen. Aber niemals meine Kinder. Und die Entscheidung für die Trennung war niemals eine Entscheidung gegen meine Kinder. Im Gegenteil. Das, was früher normal war – es ist nicht mehr da. Das, was mich früher furchtbar nervte – es fehlt mir heute.

Hätte ich es aus heutiger Sicht anders gemacht? Ich weiß es nicht.

Es gibt Tage, an denen hadere ich mit meiner Entscheidung. Hätte ich es aus heutiger Sicht anders gemacht? Ich weiß es nicht. Ich habe die Entscheidung auch im Sinne der Kinder getroffen. Das hoffe ich zumindest. Der Tratsch, das Dasein als Teilzeit-Mama-Konsequenzen meiner Entscheidung. Die habe ich zu tragen. Punkt. Das Gerede ist das eine. Das vergeht. Irgendwann wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben und dann bin ich Tratschgeschichte. Aber nicht bei den Kindern zu sein, ihnen nicht abends, wenn sie schon längst schlafen, noch einmal die Decke um den kleinen warmen Körper zu legen, ihr Gesicht zu betrachten – daran werde ich mich nicht gewöhnen. Immer wieder die Stille zu spüren, wenn sie nicht mehr da sind, das Lachen nicht zu hören und niemand, der durch die Räume stürmt und aufgeregt „Mama“ ruft. Das, was früher normal war – es ist nicht mehr da. Das, was mich früher furchtbar nervte – es fehlt mir heute.

Manchmal ist dieser Schmerz darüber, dass das auch nie wieder sein wird, unglaublich schwer zu ertragen. Es wird bestimmt anders. Aber normal? Kaum vorstellbar.“

Foto: Francesca Schellhaas / photocase.de

31. März 2015
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3 Kommentare

Danke für diese Zeilen….sie spiegeln meine Situation und Gefühle genau wider!!!
Und geben mir das Gefühl,nicht alleine zu sein…

Ich(Papa) bin nicht gegangen, wir haben uns gemeinsam für eine Trennung entschieden. Unsere Tochter lebt abwechselnd bei Mama und Papa… darüber bin ich froh… Wenn meine Tochter dann geht freue ich mich für Sie und Ihre Mama und die gemeinsame schöne Zeit. Nur dann kommt man nach Hause und die Wohnung ihr Zimmer ist so still… Ich stürze mich in Arbeit und zähle die Tage bis mein Kind wieder bei mir ist. Und dann, dann kommt manchmal ein Satz der mich aus der Bahn wirft. „Wann bin ich wieder bei Mama“. Dann fragt man sich oft wofür man das alles macht?

Lieber Mike, aus deinem Kommentar lesen wir, dass Du ein zugewandter, liebevoller Vater bis. Wie wunderbar, dass ihr das hinbekommt, auch nach der Trennung beide für eure Tochter da zu sein und für sie zu sorgen. Ganz bestimmt freut sich deine Tochter genauso sehr auf dich, wie du auf sie. Dass sie ihre Mutter vermisst, ist ganz normal, und dass sie sich „traut“ das so offen zu sagen, ist für dich ein Vertrauensbeweis. Sie muss dir nichts vormachen, du liebst sie trotzdem. Und ganz bestimmt hat sie an den Mama-Tagen Sehnsucht nach dir. Also: Kopf hoch! Es wird besser. Und warum du das alles machst? Weil es eine Investition in ihre Zukunft ist. Sie wird ein Leben lang von der Erfahrung zehren, dass ihr Vater für sie da war. Liebe Grüße aus der Redaktion!

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