„Bruder, das hört sich gut an. Läuft bei dir. Lass mal mehr hören ….“. Der 17-jährige Arman und der 18-jährige Jason probieren am Klavier. Es soll ein Rap werden. Am Tisch nebenan überlegen sich Zhora und Giulia, beide 17, ebenfalls einen Rhythmus. Es ist Dienstagabend. Draußen, im dunklen Heidelberger Industriegebiet, schneit es leicht. Auf der hell erleuchteten Probebühne „Carl“ probt heute Abend der „Club Jugend II“. Zwölf Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren erarbeiten ein Musikstück zum Thema Heimat. Heimat ist der Oberbegriff für alle Spielclubs in der Spielzeit 2016/17, angelehnt an den Spielplan des Theaters Heidelberg, der sich in zahlreichen Stücken mit den Themen Heimat, Flucht, Vertreibung beschäftigt.
Wie schnell kann sich Heimat ändern?
An den Flipcharts an der Wand kleben Mind-Map-Plakate. „Wie schnell kann sich Heimat ändern?“ wird hier gefragt. „Und wie?“ „In zehn Stunden durch Flucht“ ist eine Antwort. „In zehn Minuten – so schnell kann man schwanger werden“, eine andere. Bevor es heute ans Spielen geht, wird erst mal organisiert. Die Theaterpädagoginnen Nelly Sauter und Magdalena Erhard leiten die Gruppe und wollen klären, wer wann Zeit hat. Als besonderes Highlight wird ein gemeinsamer Theaterbesuch angekündigt. Die Gruppe ist zu dem Stück „Unterwerfung“ nach einem Roman von Michel Houellebecq eingeladen. „Worum geht’s denn?“, wollen die Jugendlichen wissen. „Es ist ein sehr skurriles Stück“, wird Auskunft gegeben. „Auf der Bühne wird ein riesiger Penis erscheinen und am Ende wird ein totalitärer Staat entworfen, alle müssen in Kopftüchern rumlaufen.“ „Das klingt voll scheiße“, befindet Arman. „Da komme ich auf keinen Fall mit.“ Hafiz, der erst vor wenigen Monaten aus Syrien geflohen ist und in einer Flüchtlingsunterkunft lebt, bekommt den Inhalt übersetzt und macht große Augen.
Arman ist vor fünf Jahren aus Iran geflohen. Seit er klein ist, spielt er Theater und macht Musik. Gemeinsam mit Jason wird er beim „Jungen Theater im Delta“ im Mai einen Musik-Workshop für Kinder anbieten. Seine Eltern hätten ihn lieber als Sportler gesehen und können seiner Leidenschaft für die Schauspielerei nichts abgewinnen. Eigentlich wohnt er mit seiner Familie im 30 km entfernten Hirschhorn, aber fürs Theaterspielen fährt Arman abends nach Heidelberg. „Besser als Rumsitzen“, spielt er seine offene Begeisterung und Begabung herunter.
„Ich liebe alles am Theaterspielen, hier kann ich einfach alles sein“, erklärt die 18-jährige Giulia. Das blonde Mädchen besucht die nahe gelegene Privatschule „Englisches Institut“. Sie spielt seit vier Jahren Theater. In einer Schulauf-führung darf sie zurzeit die „Mephista“ in Faust geben. Keine Frage, ihre berufliche Zukunft sieht sie auf der Bühne. „Warum nicht“, wirft Arman lässig ein. „Wenn jemand will, dass ich in seinem Film mitspiele, kann ich das machen.“
„Heimat ist, wie Oma kocht und wie Opa mit mir angeln geht“
Jason ist müde. „Ich werd voll krank“, klagt er und will sich auf dem Boden ausruhen. Das wollen Nelly Sauter und Magdalena Erhard aber nicht. Erstmal wird sich aufgewärmt und dann ist die erste Übung dran. Jeder Teilnehmer sollte in der vergangenen Stunde ein „Elfchen“ zum Thema Heimat verfassen. Ein Elfchen ist ein Gedicht mit elf Wörtern. „Das war richtig schwer“, seufzt die Gruppe kollektiv. Und es wird noch schwerer. Denn jetzt sollen sie sich in Kleingruppen zusammenfinden und einen gemeinsamen Rap aus den jeweiligen „Elfchen“ komponieren. Jason, Arman und Hafiz feilen an ihrem Lied zum Thema Heimat. Es geht um Familie. Ohne die geht nichts, das wird schnell klar. Wo die „family“ ist, ist Heimat. „Heimat ist, wie Oma kocht“, singt Jason mit klarer Stimme. „Und wie Opa mit mir angeln geht.“ In Vorbereitung auf das „Elfchen“ hatten alle Fotos mitgebracht. Wie Heimat für sie aussieht, sollte zu sehen sein. Mitgebracht wurden Bilder von einer verschneiten Rheinebene. Den sonnenbeschienenen Dächern der Stadt Isfahan. Einem Lagerfeuer. Dem Familienhund. Und dann wird improvisiert, gerappt, gesungen, Musik gemacht. Innerhalb von 20 Minuten entstehen kleine, zarte, leise und laute Kunstwerke. Jason und Arman haben sich eine anspruchsvolle R’n’B-Komposition überlegt, in Molltönen. „Das hat richtig abgefuckt!“ Jason ist sauer. Arman ist ebenfalls unzufrieden. „Das liegt alles nur an diesen bekloppten Elfchen.“ Doch am Ende wird alles gut und nur ungern beenden die Jugendlichen die heutige Probe. Uns entlässt der Abend in die Heidelberger Dunkelheit und den Schneeregen und wir nehmen etwas mit von dieser Klarheit und Helligkeit der Gruppe.
bw // Fotos: Susanne Reichardt //Elfchen: Arman
Mitmachangebote für Kinder und Jugendliche in der Region
Die Mitmachangebote der Städtischen Theater in Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen sind spannend, bunt und vielfältig. Angefangen bei Eltern-Kind-Kursen oder Kita-Angeboten, über Spielclubs für Schulkinder und Jugendliche, über mehrsprachige Kurse, Kurse und Workshops für Migranten oder Menschen mit Fluchterfahrung, bis hin zu Projekten für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Einen guten Überblick bekommt man auf den jeweiligen Internetseiten oder direkt bei den Theaterpädagogen.
Mehr zu den Spielclubs unter: Heidelberg: theaterheidelberg.de
Mannheim: www.nationaltheater-mannheim.de/de/junges-ntm/junge-buergerbuehne/mitmachen
Ludwigshafen: junger-pfalzbau/fuer-kinderjugendliche