„Hauptsache gesund war schon immer ein blöder Spruch“

Einleitung, Wehentropf, Rückenmarksnarkose, Kaiserschnitt – fast keine Geburt läuft heute mehr ohne Eingriffe ab. Dabei sollte eine Geburt doch eigentlich ein ganz natürliches und schönes Erlebnis sein. Dazu kommt: Mehr Intervention führt nicht zu gesünderen Kindern oder Müttern. Sonja Kirste, Bloggerin und zweifache Mutter aus Hemsbach, hat ein Buch geschrieben. Eine „Liebeserklärung“ an die Geburt. Wir haben uns mit ihr unterhalten.

Hauptsache gesundLiebe Sonja, du bist Autorin, Bloggerin, lebst in Hemsbach und hast zwei Töchter. Dein Buch heißt: „Eine Liebeserklärung an die Geburt“. Wie kam es zu der Idee, dieses Buch zu schreiben?

Das Buch ist im Grunde als logische Fortsetzung meines Blogs entstanden. Als ich 2016 zum ersten Mal über meine zwei sehr unterschiedlichen Geburten  geschrieben hatte, war die Resonanz überwältigend. Ich habe so viele Nachrichten von Frauen bekommen. Da war so viel Trauer und Ohnmacht und auch Wut, da war so viel Gesprächsbedarf. Da dachte ich mir zum ersten Mal, dass hier systematisch etwas schiefläuft. Wenn 9 von 10 Frauen die Geburt ihres Kindes am liebsten vergessen würden, dann kann doch etwas nicht richtig sein. Also wuchs in mir der Wunsch, darüber zu schreiben, dass Geburten eben auch etwas ganz  Wunderbares sein können

Warum „Liebeserklärung“? Die meisten Eltern verbinden keine schönen oder romantischen Erinnerungen mit der Geburt ihrer Kinder …

Leider hast du damit total recht. Und das ist so schade. Denn die Geburt eines Kindes, das ist ja nicht irgendein x-beliebiger Eingriff wie eine Blinddarm-Operation,  bei der es ganz „nice“ wäre, wenn das Setting im Krankenhaus netter wäre. Eine Geburt verändert unser ganzes Leben. Und dann kann eine Geburt eben auch wirklich schön sein. Wenn die werdenden Eltern angemessen 1:1 betreut werden, wenn das Zusammenspiel der Hormone ganz von allein ineinandergreift, wenn die werdende Mutter selbstwirksam ihr Kind gebären kann. Es ist eine Schande, dass dieses empowernde Gefühl so vielen Frauen verwehrt bleibt.

„Denn es ist nicht egal, wie wir geboren werden“ ist eine zentrale These des Buchs. Ist „Hauptsache gesund“ nicht mehr genug?

Nein. Hauptsache gesund war schon immer ein blöder Spruch. Zuerst mal ist das zutiefst ableistisch. Oder was ist, wenn das Kind nicht „normgesund“ ist? Dürfen sich die Eltern dann nicht freuen? Und was ist eigentlich gesund? Wir meinen landläufig ja dieses „alle 10 Finger sind dran, alle 10 Zehen“ und so weiter. Das allein kann man eben schon diskutieren. Aber was ist denn mit der psychischen Gesundheit? Was ist, wenn das Kind durch eine traumatische Geburt schlimme  Anpassungsstörungen hat und wenn die Mutter unter einer Wochenbettdepression leidet? Darüber sprechen wir viel zu selten.

Du hast nicht nur über deine eigenen Geburten geschrieben, sondern lässt auch andere Eltern zu Wort kommen. Sie erzählen von schönen, aber auch von schrecklichen Erlebnissen. Ist es Zufall, ob es gut oder schrecklich läuft?

Ich fürchte, zu einem gewissen Prozentsatz schon. Denn niemand kann natürlich im Vorhinein beeinflussen, wie der Personalstand gerade im Kreißsaal ist, wenn das eigene Kind kommt. Wir können nicht wissen, ob gleichzeitig viele andere Kinder auf die Welt kommen und die Hebammen von einem Raum zum anderen flitzen müssen. Und dann gibt es halt auch sensibles und weniger sensibles medizinisches Fachpersonal, wobei hier natürlich auch eine gezielte fachliche Weiterbildung stattfinden kann und der Personalmangel strukturell bedingt ist. Aber als werdende Eltern haben wir darauf erst mal keinen Einfluss. Was wir beeinflussen können, ist es, uns selbst vorher mit unseren Rechten, aber auch unseren Wünschen auseinanderzusetzen. Denn je besser ich das über mich selbst weiß und je besser ich auch um meine Rechte weiß, umso besser kann ich selbst oder meine Begleitperson sich darum kümmern, dass meine Bedürfnisse gewahrt bleiben.

Deine zweite Geburt beschreibst du als sehr positiv, friedlich und natürlich. Wie kam es, dass die Umstände beim zweiten Mal so anders und perfekt waren?

Ich hatte einfach die perfekte Begleitung durch meine wunderbare Hebamme, die mit mir meine traumatischen Erlebnisse der ersten Geburt während der Vorsorge schon intensiv bearbeitet hatte. Sie wusste, was ich brauche und wie ich ticke, und ich konnte mich bei ihr komplett fallen lassen, weil ich ihr absolut vertraut habe. Dass die Geburt zuhause stattfand, war dabei eigentlich eher ein Nebenaspekt. Das war natürlich ganz besonders, aber vor allem habe ich diese zweite Geburt die ganze Zeit als „machbar“ empfunden. Ich war mir die ganze Zeit sicher, dass ich das schaffe. Das hat einen Riesenunterschied gemacht.

Gewalt unter der Geburt ist ein Thema, das immer mehr Beachtung bekommt. Es gibt aber Hebammen, die sagen: Eine Geburt ist immer mit Gewalt verbunden.

Gewalt beginnt immer dort, wo eine Betroffene etwas als Gewalt empfindet. Das kann ein herablassendes und abwertendes Verhalten sein („Stell dich nicht so an“), das kann ein Nicht-Ernstnehmen von Schmerzen sein und geht bis zu ungefragten Kristeller-Griffen, vaginalen Untersuchungen oder nicht medizinisch notwendigen Interventionen wie der Gabe von wehenfördernden Mitteln, „damit das jetzt mal fixer vorwärtsgeht“. Die Entscheidungshoheit liegt hier nicht bei den Hebammen. Und sorry, aber wenn ich so etwas höre, dann muss ich schon an mich halten. Eine Geburt ist vielleicht ein gewaltiges Ereignis und in jedem Fall ein Kraftakt. Gewalt per se gehört hier aber ebenso wenig dazu wie in alle möglichen anderen Bereiche unseres Lebens.

Über jede Geburt, die im Krankenhaus stattfindet, muss ein Geburtsprotokoll geführt werden. Das, was Mütter als gewalttätig empfinden, taucht hier aber oft nicht auf. Wie können sich Eltern denn später damit auseinandersetzen?

Das stimmt. Nicht alles, was als gewalttätig empfunden wird, ist hier zwingend festgehalten. Manchmal stehen da aber schon Dinge drin, die stutzig machen können. So wie Ausdrücke à la „Die Mutter war so weinerlich“. Was definitiv erfasst werden muss, ist die Gabe aller Medikamente und auch alle Interventionen. Die gemeinsame Aufarbeitung des Geburtsprotokolls mit meiner damals neuen Hebamme hat mir sehr geholfen, das was mir passiert ist, besser einzuschätzen und auch zu verstehen.

Zum Abschluss noch ein Tipp für werdende Eltern: Wie wird die Geburt ein schönes und bereicherndes Erlebnis?

Überlegt euch, was für euch wichtig ist und zu einem wertvollen Geburtserlebnis gehört. Schaut euch die Kliniken an und fragt nach Personaldecken,  Kaiserschnittraten und nach Interventionen. Schaut euch Geburtshäuser und Hausgeburtshebammen an und überlegt, welches Setting sich für euch richtig und sicher anfühlt. Und dann macht euch einen Masterplan. Was wollt ihr im Fall X, was im Fall Y? Und kümmert euch ganz, ganz, ganz früh um eine Vorsorgehebamme. Kennt eure Rechte. Wissen ist Macht und gibt Souveränität. Und dann habt keine Angst. Eine Geburt hat das Potential, zum wunderbarsten und verrücktesten Erlebnis eures ganzen Lebens zu werden.

bw// Fotos: Gottschalk-Fotografie

 

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