Happy Birthday, Paulina! oder wer ist hier der Boss?!
Es ist der 15. Mai 2014 als ich nachts um 1 Uhr von einer SMS geweckt werde. Sie ist von Markus. 2600 Gramm und 49 cm – das ist das erste, was ich über Paulina erfahre, die um 0.13 Uhr auf die Welt kam. Mama und Tochter sind wohlauf. Sie ist so klein und streckt sich erst einmal genüsslich aus, als ich sie und ihre Eltern das erste Mal im Krankenhaus besuche. Nach neun Monaten in einer „Einzimmerwohnung“ ist das auch kein Wunder. Heute wird Paulina ein Jahr alt. „Erst“ – könnte man meinen. „Schon“ – sagen wir, als wir uns treffen und uns darüber wundern, was in einem Jahr so alles passieren kann.
Paulina empfängt mich an der Tür, als ich sie und ihre Familie besuche. Das Besondere daran: Sie steht und das alleine und ohne sich irgendwo abzustützen oder auf den Boden zu plumpsen. Stolz zeigt sie sich mit einem breiten Lächeln, sechs Zähne kann ich sehen. Der Siebte ist im Anmarsch.
„Seit zwei Wochen läuft sie nur noch frei durch die Gegend. Spazieren gehen im Kinderwagen ist vorbei. Sie will nur noch selbst laufen“, sagt Tina, während sie die Tür hinter mir schließt.
Dann macht Paulina uns klar, dass sie alles unter Kontrolle hat. Gespannt und konzentriert steht sie im Flur. Beide Füße fest auf dem Boden, mit der einen Hand kratzt sie sich am Kopf, mit der anderen am Bein. Dieses Bild erinnert mich an eine Szene aus einem Western-Film. Sie spreizt einen Finger nach dem anderen. Sie ist bereit, jeden Moment unmissverständlich klar zu machen, wer hier der Boss ist. Sie oder die Schwerkraft. Paulina bleibt standhaft und gewinnt das Duell. Ok, genug Phantasie. Wahrscheinlich scheint sie eher zu denken: Hmmm, wo soll ich jetzt nur hin laufen? Biege ich in die Küche ab oder laufe ich geradeaus ins Wohnzimmer. Sie entscheidet sich für die Küche, schließlich gibt es da das leckere Essen.
Tina: „Nach jedem Essen sieht es bei uns aus, als wären wir auf einem Abenteuerspielplatz, denn Paulina isst jetzt schon selbst mit Löffel und Gabel. Denn Füttern ist nur was für Babys …“
Während mir Tina das erzählt, schweift mein Blick über die Küche und bleibt an einer mit Reis gefüllten Schüssel hängen. Darin das Haustelefon der Familie. Noch bevor ich fragen kann, was damit passiert ist, sagt Tina: „Das ist das erste größere Malheur, das uns passiert ist. Ich hatte gerade fertig gewischt, Paulina hat im Garten gespielt, kam herein und hat unser Telefon in den Putzeimer geworfen. Ich habe nur noch Planschgeräusche gehört – da war es schon zu spät. Jetzt hoffe ich, dass der Reis das Wasser aus dem Gehäuse zieht.“
Tina demonstriert mir, dass Paulina schon viel von dem versteht, was man sagt. Sie hat einen großen Entwicklungsschub gemacht, seitdem versteht sie sehr viel. So zeigt sie uns zum Beispiel, wer Mama und wer Papa ist, und will sie mal auf die Treppe klettern, dann lässt sie es doch lieber sein und schüttelt den Kopf, wenn Mama sagt, dass sie das nicht darf. „Frag sie mal, wie groß sie ist“, flüstert mir Tina ins Ohr und nickt, während Paulina das Wohnzimmer auf einem Bobbycar unsicher macht – ihr neuestes Hobby. Also gut.
Ich: „Paulina, wie groß bist du?“
Sie hält an, stellt beide Füße auf den Boden und streckt ihre Arme so weit in die Luft, dass man ihren Bauchnabel unter dem T-Shirt hervorblitzen sieht. Danach klatscht sie in die Hände, kichert und dreht eine weitere Runde. Die vielen kleinen Bälle, die verteilt im Wohnzimmer liegen, kommen von Paulinas zweitem großen Hobby: Die Bälle aus dem Bällebad aus ihrem Kinderzimmer durch die Flure zu kicken. Mama kann sie ja wieder einsammeln. Ihr Buchstaben-Teppich, der bis vor ein paar Wochen noch fast den ganzen Wohnzimmerboden bedeckte, als Paulina noch alles krabbelnd erkundete, ist auf ein Minimum geschrumpft und in eine Zimmerecke gerutscht. Er reicht nur noch von A bis E. Jetzt braucht sie Platz zum Spielen, Laufen, Toben.
Wir blättern durch ein Fotoalbum, das Momentaufnahmen aus Paulinas erstem Jahr enthält. „Weißt Du noch“ oder „Das hab’ ich ja schon fast wieder vergessen“ sagen wir, während wir uns durch die Seiten blättern. Auf der ersten Seite: Tina mit dickem Bauch, der mit Fingerfarbe bemalt ist. Ich habe schon fast wieder vergessen, wie sie schwanger aussah und Monat für Monat der Bauch immer dicker wurde. Dann das erste Familienfoto, das sie mir zusammen mit der SMS aus dem Krankenhaus geschickt haben. Seite für Seite Stationen aus Paulinas Leben – und bei einigen war ich sogar selbst dabei. Ihr erster Versuch, sich abzustützen, oder auch der erste Spaziergang im Schnee.
Ich: „Gibt es unvergessliche Momente für dich aus dem ersten Jahr?“
Tina: „Das ist schwer zu sagen. Es ist irgendwie alles so bedeutend im ersten Jahr und vor allem, weil wir mit ihr ja alles zum ersten Mal erleben.“
Sie überlegt kurz, blättert die nächste Seite um und zeigt auf ein Bild, auf dem Paulina ihren ersten Zahn präsentiert. „Das war zum Beispiel so ein Moment, weil wir so lange auf den ersten Zahn gewartet haben. Ich habe ihn stecknadelgroß entdeckt und gefühlt. Dann bin ich mit ihr durchs Wohnzimmer gehüpft und habe gerufen wie eine Bekloppte: Er ist da, er ist da, er ist da.“
Ein weiteres Bild zeigt Paulina auf der Straße, sie lacht und rennt auf ihre Mama zu, die den Auslöser der Kamera drückt. „Es war auch ein toller Moment, als sie die ersten Schritte gelaufen ist. Wir haben uns gegenüber voneinander gesetzt und sie ist zwischen uns hin und her gelaufen. Das war toll …“, sagt Tina. Sie blättert weiter. Das erste Bad mit Papa, das erste Weihnachtsfest mit einem Geschenk auf dem Schoß, das fast größer ist als sie selbst, und die kleinen Schlummerzeiten, wenn ihnen dreien mittags vor Müdigkeit die Augen zufallen – alles ist dokumentiert und so wertvoll für Tina, die gerührt auf die Fotos schaut. Mir wird klar: Sie ist zu 100 Prozent eine Mama.
Ich: „Wie war denn dein erster Muttertag?“
Tina: „Sehr schön. Wir haben uns einen schönen Tag zu dritt gemacht und ihn als Familie genossen. Wir waren auf dem Spielplatz und abends grillen – das volle Familienprogramm eben.“
Wir wundern uns darüber, dass so viel Erlebtes in ein Fotoalbum passen kann, und klappen das Buch zu. Die restlichen leeren Seiten sind für Fotos von Paulinas erstem Geburtstag bestimmt. Die Vorbereitungen für diesen Ehrentag sind getroffen, die Kuchen im Backofen, der Kaffee gebrüht und die Geschenke verpackt. Und wie wird der erste Geburtstag gefeiert? Mit den kleinen Freunden natürlich. Vier Kinder, plus Eltern, und natürlich die eigene Familie samt Großeltern, Onkel und Tanten sind dabei. Dann wird es bunt und laut zugehen.
Ich ruf dich an, um Paulina zum Geburtstag zu gratulieren, sage ich zu Tina zum Abschied, während mir Paulina zeigt, dass sie schon winken kann und braust mit ihrem Auto wieder in Richtung Wohnzimmer. Bis dahin muss aber erst noch das Telefon trocknen. Und ich bin mir sicher: Die Fotos vom ersten Geburtstag werden zu weiteren unvergesslichen Momenten werden und das Fotoalbum für das zweite Jahr ganz schnell gefüllt.
Zur Autorin:
Volontärin Ann-Kathrin Weber hat zwar selbst noch keine Kinder, schreibt aber besonders gern über Kinderthemen. Für StadtLandKind hat sie ihre Freundin Tina durch die Schwangerschaft begleitet und besucht ab sofort Baby Paulina und ihre Eltern einmal im Monat für uns.
So ein wunderbarer Text