Gut durch die Stillzeit

StillzeitUnd plötzlich steht die Welt still: das verknautschte Gesichtchen; die winzige Hand, die sich um den eigenen Finger schließt; die ersten Schreie des kleinen Wesens, die in diesem Augenblick wie das schönste Geräusch auf Erden klingen … Die Gedanken und Gefühle, die eine Frau nach der Geburt überschwemmen, wenn sie ihr Baby das erste Mal im Arm hält, lassen sich nur schwer in Worte fassen. Und so einzigartig und individuell diese ersten gemeinsamen Minuten auch sind, nach  einiger Zeit kommen alle jungen Mütter an den gleichen Punkt: Ihr Baby hat Hunger.

Die Ernährung in den ersten Lebensmonaten

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Nationaler Stillkommission (NSK) stellt ausschließliches Stillen die beste Ernährungsweise für Säuglinge in den ersten sechs Monaten dar. Durch das Stillen erhält ein Baby nicht nur alle Nährstoffe, die es für seine Gesundheit und seine Entwicklung benötigt, sondern  gleichzeitig ebenso essenzielle Grundelemente wie körperliche Nähe, Sicherheit, Ruhe und Geborgenheit. Nicht umsonst gilt Stillen als die „natürlichste“ Sache der Welt. Wie lange ein Baby voll gestillt und ab wann die Beikost eingeführt werden sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Die Empfehlung seitens WHO und NSK lautet jedoch, frühestens im fünften, spätestens im siebten Lebensmonat sukzessive mit der Beikost zu beginnen und dabei weiterzustillen. Frauen, die nicht stillen wollen oder können, versorgen ihre Babys mit Pre-Nahrung, die in ihrer Zusammensetzung der Muttermilch gleicht.

Zwischen Stillen und Flasche existiert ein Vielfaches an Möglichkeiten: So geben beispielsweise manche Mütter, die sich gegen das Stillen entscheiden, ihren Babys trotzdem die Vormilch, das sogenannte Kolostrum. Viele wiederum fangen gleich mit dem Fläschchen an. Andere, bei denen das Stillen nicht auf Anhieb oder gar nicht klappt, pumpen ab und füttern dem Neugeborenen die Muttermilch mit dem Fläschchen. Und wieder anderen Babys reicht die Muttermilch nicht, sie benötigen zusätzlich zur Brust noch Pre-Nahrung … Es gibt nicht den einen Weg, das eigene Kind gesund und liebevoll zu ernähren. Zumal jede Frau und jedes Kind anders ist und allgemeingültige Aussagen daher im Grunde nicht möglich und bei einem derart sensiblen und emotionalen Thema auch nicht zielführend sind. Eine Mutter sollte individuell den für sich richtigen Weg finden dürfen. Ohne Druck, ohne Beeinflussung. „Am Allerwichtigsten ist es, dass Mutter und Baby glücklich sind“,  so Christina Stalf, die seit 19 Jahren als Hebamme arbeitet und gemeinsam mit ihrer Schwester eine Hebammenpraxis in Ketsch leitet.

„Stillen ist Herzenssache“

 

Doch wie findet eine Frau den für sie richtigen Weg? Mit welchen Problemen und Herausforderungen haben junge Mütter zu kämpfen? Wie kommt frau gut durch die Stillzeit?

Beinahe 90 Prozent aller werdenden Mütter in Deutschland haben die Absicht, ihr Kind in den ersten Lebensmonaten zu stillen. Für viele stelle sich die Frage oft  gar nicht, so Christina Stalf. Die meisten schwangeren Frauen, die zu ihr in die Hebammenpraxis kommen, sehen es als selbstverständlich an, zu stillen oder es zumindest zu versuchen. So auch Sandra H., die ihre Tochter ein Jahr stillte und sich besonders gerne an das Gefühl der Verbundenheit in diesen Momenten erinnert. Auch Nina M. wusste bereits in der Schwangerschaft, dass sie ihr Kind stillen möchte. „Man hat immer alles dabei“, fasst sie die praktischen Vorteile zusammen. „Man muss nichts mitschleppen, nichts vorbereiten oder aufwärmen.“ Sarah K. hingegen entschied sich bewusst gegen das Stillen und gab ihren beiden Kindern das Fläschchen – hingebungsvoll und aus Überzeugung. Vorab las sie eine Menge Fachliteratur und kam sogar zu dem Schluss, dass Stillen die beste Art der Ernährung darstellte. „Und trotzdem stieg in mir das Gefühl auf, dass ich das nicht möchte“, erzählt sie. „Dass ich meinen Körper – vor allem meine Brüste – nun nicht mehr teilen möchte. Nicht mit meinem Baby und nicht mit den Blicken anderer, wenn ich in der Öffentlichkeit stille.“ Als ihre Kinder geboren wurden, gab sie ihnen jeweils das Kolostrum und stillte danach ab.

Werdenden Müttern, die sich unsicher sind, was das Thema Stillen angeht, rät Hebamme Christina, in Ruhe abzuwarten und sich keinen Druck zu machen. „Oft kristallisiert sich der Wunsch, zu stillen, mit der Zeit heraus“, erklärt sie. „Wenn der Bauch wächst, wenn sich die Bindung zum Baby intensiviert.“ Außerdem, betont sie, müsse die Entscheidung, wie man das Baby nach der Geburt ernährt, auch nicht vorab getroffen werden. Denn nicht selten kommt sowieso alles anders, als frau es sich vorab ausmalt.

Aller Anfang ist schwer… und oft schmerzhaft

„Meine Vorstellung vom Stillen war eine sehr romantische“, erinnert sich Nina lachend. „Die Realität sah dann etwas anders aus.“ Nina hatte zu wenig Milch, zudem trank ihre Tochter nicht gut und schlief während der Mahlzeiten ein, weswegen Nina abpumpte und zufütterte. Sie fühlte sich unsicher und empfand diese Zeit als sehr stressig, wollte aber unbedingt weiterstillen und hielt die sechs Monate durch, die sie sich vorgenommen hatte. Bei ihrem Sohn klappte das Stillen dann besser, auch weil sie selbst viel entspannter war, vermutet Nina. Manu F. stillte ihre beiden Kinder weit über zwölf Monate hinaus. Sie erinnert sich vor allem an die  Schmerzen beim anfänglichen Anlegen. „Die hätte ich nach der Geburt wirklich nicht gebraucht“, meint sie trocken. Zumindest blieben ihr wunde Brustwarzen und ähnliche unliebsamen Begleiterscheinungen erspart, mit denen viele andere stillende Mütter gerade in den ersten Tagen und Wochen zu kämpfen haben.

Mit Sicherheit sind genau jene „Horrorgeschichten“, wie Sarah sie bezeichnet, mit ein Grund dafür, weshalb nach den 90 Prozent stillwilligen Müttern laut einer Studie des Robert- Koch-Instituts lediglich 68 Prozent nach der Geburt tatsächlich voll stillen. Nach vier Monaten sind es nur noch knapp 40 Prozent. Entzündete Brustwarzen, Milchstau, schmerzende Brüste, zu wenig Milch – so natürlich das Stillen auch sein mag, es ist nicht immer ein Selbstläufer. Während sich bei vielen Frauen bald die erforderliche Routine einschleicht und die Zeit des „Genießens“ beginnt, gibt es nicht wenige, die ernüchtert aufgeben (müssen), freudlos und mit zusammengebissenen Zähnen weitermachen oder das Stillen gar als Tortur erleben. „Ich muss ehrlich zu den Frauen sein“, sagt sie. „Säuglinge trinken nun mal sehr ausdauernd, sehr häufig, sehr lange und sehr gerne. Was nichts mit der Milchmenge oder Brustform zu tun hat. Das ist einfach so.“

Was? Du stillst nicht? – Willst du nicht das Beste für dein Kind? – So früh stillst du schon ab? – Du stillst immer noch? Dein Sohn wird sicher mal ein Busenfetischist!

Wenn man von den Kommentaren, Äußerungen und ungefragten Ratschlägen ausgeht, die von allen Seiten auf einen einprasseln, kann man als junge Mutter eigentlich nichts richtig machen. Doch gerade beim Thema Stillen ist es wichtig, sich nicht von den Meinungen anderer beeinflussen zu lassen und sich immer wieder vor Augen zu führen, dass es „dein Körper, dein Kind“ ist, so die Hebamme. Auf das eigene Bauchgefühl zu vertrauen, empfehlen auch Sarah, Nina, Sandra und Manu, denn das trüge einen nicht. Keine von ihnen bereut ihre Entscheidung für oder gegen das Stillen. Jede würde es wieder so machen. Manu bringt es auf den Punkt: „Ob eine Frau stillt oder nicht, macht sie nicht zu einer besseren oder schlechteren Mutter.“

hja // Fotos: Adobe Stock