„Glück kann man üben“

Was macht uns glücklich? Geld? Gesundheit? Kinder? Können wir lernen, glücklich zu sein, auch in schwierigen Zeiten? Auf jeden Fall, sagt die selbsternannte Glücksministerin Gina Schöler vom „Ministerium für Glück und Wohlbefinden“. Wir haben uns mit ihr über Glück und Zufriedenheit in Zeiten von Corona unterhalten.

GlückAlles begann mit einer Semesterarbeit an der Hochschule Mannheim. 2012 bekamen die angehende Kommunikationsdesignerin  und ein Kommilitone an der Hochschule für Gestaltung die Aufgabe, eine Kampagne zu entwerfen, die einen positiven Wertewandel anstößt. Schnell wurde daraus eine deutschland- und europaweite Multimediakampagne mit dem Ziel, einen Paradigmenwechsel in Politik und Gesellschaft zu
unterstützen. Heute ist Gina Schöler vollberuflich Glücksministerin, die, frei nach dem Motto: „Gemeinsam steigern wir das Bruttonationalglück!“ Vorträge, Workshops oder Veranstaltungsformate rund um Zufriedenheit, Positive Psychologie, Lebensgestaltung und seelische Gesundheit gibt. Ihr Glücks-Vorbild ist übrigens das Himalaya-Land Bhutan. Hier ist Glück als Politikziel festgeschrieben und die Regierung fragt ihre Bürger regelmäßig nach ihrem Wohlbefinden.

Liebe Frau Schöler, Sie sind selbsternannte Ministerin für Glück, machen Werbung für Werte und finden, Glück sollte als Staatsziel festgelegt werden. Zurzeit sind viele Menschen nicht besonders glücklich, sondern in Zeiten von #Corona verunsichert und voller Zukunftsangst …

Gina Schöler: Tatsächlich leben wir in einer Zeit großer Herausforderungen. Es ist viel leichter, glücklich zu sein, wenn die Rahmenbedingungen stimmen: Gesundheit, Finanzen, soziales Netz. Aber auch in Zeiten von Corona kann man sich auf Dinge konzentrieren, die glücklich machen, und Mut haben, schöne Momente bewusst wahrzunehmen.

Im aktuellen World Happiness Report ist Finnland zum dritten Mal in Folge glücklichstes Land der Welt geworden.  Gefolgt von Dänemark, Island und Norwegen. Was machen die Skandinavier anders, warum sind sie glücklicher als wir Deutsche (Rang 17)?

Also, sooo unglücklich sind wir doch auch nicht, oder? In Skandinavien kommen mehrere Faktoren zusammen. Zum einen können wir uns dort viel in Sachen Gleichberechtigung und Kinderbetreuung abschauen, aber auch, wie man in einer Gesellschaft miteinander umgeht. Dass man Fürsorge und Wertschätzung füreinander empfindet.

Kann das nicht auch mit dem ausgesprochen fürsorglichen Sozialstaat zusammenhängen?

Das kann auch eine Rolle spielen. Glücklich sein zu wollen, ist genetisch in uns angelegt, zumindest zu 50 Prozent. 10 Prozent sind äußere Einflüsse und um die restlichen 40 Prozent müssen wir uns aktiv kümmern. Glück hängt auch immer damit zusammen, welche Haltung wir einnehmen, welche Werte wir vertreten. Ob unser Glas halbvoll ist oder halbleer.

Wenn ich aber eine andere Vorstellung von Glück habe als mein Umfeld? Was mache ich dann? Ich persönlich empfinde ein tiefes Glück, wenn ich einen ruhigen, sehr aufgeräumten und minimalistisch eingerichteten Raum betrete. Meine Kinder sehen das exakt diametral …

Tja, da müssen Sie wohl nach Kompromissen suchen und überlegen, warum ist mir ein aufgeräumter, ruhiger Raum so wichtig? Vielleicht stecken ganz andere Ursachen dahinter? Vielleicht müssen Sie Ihre Strategien ändern, um Glück zu empfinden? Diese Strategien lassen sich übrigens auch üben und trainieren.

Glück ist also nicht reine Glückssache? Ich kann es trainieren wie einen Sport?

Natürlich! Allerdings ist es ein Gemeinschaftssport …

Sie arbeiten auch viel mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammen. Die aktuelle Unicef-Studie ergab, dass jedes vierte deutsche Kind unglücklich ist. Damit schneiden wir – trotz unseres Wohlstandes – schlechter ab als andere Industrieländer.

Vielleicht liegt das auch an den sehr ängstlichen und ehrgeizigen Eltern, die ihre Erwartungen auf ihre Kinder übertragen? Die nicht zulassen können, dass Kinder ihren eigenen individuellen Weg gehen? Das ist übrigens ein Thema, das mich sehr umtreibt. Die Jugendlichen, die ich erlebe, stehen unter einem unfassbaren Druck. Druck von der Gesellschaft, den Eltern und auch von sich selbst. Sie sind voller Angst und machen sich sehr viele Gedanken: Wo ist mein Platz in der Welt? Wo passe ich hin? Für diese Generation geht sehr viel Glückspotential verloren. Und das ist sehr schade!

Wenn Familien heute besorgt (und nicht so richtig glücklich) an die kommende Zeit denken, welchen Rat haben Sie?

Sich auf sich selbst als Familie konzentrieren, auf die eigenen Werte und auf das, was die Mitglieder dieser Familie zufrieden macht und erfüllt. Das Glück im Kleinen erleben, in den gemeinsamen Momenten. Das klingt einfach, ist aber eine Herausforderung. Zurzeit ist die Besinnung nach innen die beste Strategie, wenn man merkt, man kann das „Große“ da draußen sowieso nicht kontrollieren und beeinflussen. Und auch: flexibel bleiben. Keine Pläne machen. Kreativ und spontan sein. Keine Reisen planen – nur die in der Fantasie.

Hat sich Ihre Arbeit als Glücksministerin, die Workshops gibt und mit einem Koffer voller Geschichten durch Deutschland reist, in den vergangenen Monaten nicht auch sehr verändert?

Das stimmt. Ich war immer analog und live unterwegs und dachte, dass ich nur so arbeiten kann. Aber da musste ich ebenfalls meine Strategien ändern und es klappt wunderbar. Meine digitalen Seminare machen mich genauso glücklich. Das hat mir einmal mehr gezeigt: Es geht immer weiter. Aber ab und zu muss man seinen Standpunkt ändern.

Interview: bw // Fotos: Elmar Witt, Daniel Clarens

Mehr zu Gina Schöler unter: ministeriumfuerglueck.de

1. Dezember 2020