-Anzeige-
Der 8-jährige Anton aus Weinheim ist eigentlich ein munterer, fröhlicher Junge. Intelligent, sportlich und sozial. Er kann sich gut konzentrieren und ist selten krank. Nur mit dem Lesen. Das klappt einfach nicht. Die Vermutung der Eltern, es handle sich um eine Lese- Rechtschreibschwäche, bestätigte sich nicht. Zwei Nachhilfeschulen wurden ausprobiert und wieder abgebrochen. Je mehr er sich anstrengte, umso schlechter war das Ergebnis. Parallel dazu begann er morgens über Bauschmerzen zu klagen. Schule war plötzlich „richtig blöd.“ Die Eltern waren ratlos. „Vielleicht sind es die Reflexe!“, überlegte eine befreundete Mutter aus der Schule. Die Reflexe? Was für Außenstehende erst einmal absurd klingt, ist eigentlich ein sehr spannendes Tema. Wir haben uns mit Andrea Schmiedel-Lehnert unterhalten. Sie arbeitet als Kinder- und Jugendcoach und Reflexintegrations-Trainerin in Weinheim.
Frau Schmiedel-Lehnert, wie kann es sein, dass Lern- und Verhaltensauffälligkeiten von Kindern mit deren noch aktiven Reflexen zusammen hängen?
Andrea Schmiedel-Lehnert: Reflexe sind durch unser Stammhirn gesteuerte, biologisch festgelegte unwillkürliche Muskelreaktionen, die durch einen Stimulus ausgelöst werden. Das Wort „unwillkürlich“ drückt es schon aus – auf diese Muskelreaktionen kann der Mensch/das Kind keinen willentlichen Einfluss nehmen. Es ist, als ob sich in einem Flugzeug der Autopilot einschaltet und der Pilot keine Kontrolle mehr über das Flugzeug hat.
Im Mutterleib, während der Geburt und im ersten Lebensjahr haben diese unwillkürlichen Muskelreaktionen, die frühkindlichen Reflexe also, eine enorm wichtige Bedeutung für den Muskelaufbau und die Gehirnreife des Kindes. Ist die Aufgabe der frühkindlichen Reflexe in den jeweiligen Entwicklungsphasen erfüllt, müssen sie wieder verschwinden (sich integrieren). So kann sich das Gehirn des Babys wunderbar entwickeln. Ursachen für nicht integrierte Reflexe können beispielsweise Stress, schwierige Schwangerschafts- und/oder Geburtsverläufe sein. Auch das Überspringen wichtiger Entwicklungsschritte (Krabbeln), zu langes Liegen in der Wippe sowie der Einsatz von Lauflernhilfen beeinträchtigen die natürliche Entwicklung der Reflexintegration. Bleibt ein Reflex noch bestehen, können Probleme auftreten, besonders in Kita und Schule, wo Kinder auf eine bestimmte Art funktionieren müssen.
Welche Art Probleme können das sein?
Sie reichen von motorischer Unruhe über Wahrnehmungsstörungen, Konzentrations- und Sprachproblemen, bis hin zu massiven Lern- und Verhaltensauffälligkeiten. Noch fortbestehende Reflexe haben negativen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes, da es ständig gegen diese unwillkürliche, reflexartige Muskelbewegung ankämpfen muss. Diese aktiven Reflexe beeinträchtigen die Kinder stark beim Lernen und in ihrem Verhalten, sodass ein normaler Familien- / und Schulalltag oft nur schwer möglich ist.
Sie arbeiten mit diesen Kindern und ihren Familien nach einem bestimmten System. Wie können wir uns das vorstellen?
Es ist ein sehr effektives Bewegungstraining, das sich „Reflexintegration“ nennt. Ich hemme damit langfristig den Reflex. Das Training beschleunigt den Aufbau stabiler Nervenbahnen zwischen den Funktionsbereichen im Gehirn. Das Besondere beim Training ist, dass es durch bilaterale Stimulation positiv unterstützt wird. Die Trainingsstunden finden in der Regel alle vier Wochen über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten statt. Zu dem Trainingskonzept gehört auch ein tägliches kurzes Übungsprogramm zuhause.
Mögliche Anzeichen für noch aktive frühkindliche Reflexe bei Kindern sind:
Tollpatschigkeit
Schlechte Körperhaltung
Kind kann keinen Purzelbaum machen
Kind stützt den Kopf ständig ab
Verknoten der Beine um die Stuhlbeine
Kann nicht ruhig sitzen bleiben
Sitzen mit untergeschlagenen Beinen
Das Heft wird zum Schreiben schräg gelegt
Das Kind liegt beim Schreiben über dem Tisch
Das Kind fängt in der Mitte des Blattes an zu schreiben
Schlechte Stifthaltung, zu viel Druck auf dem Stift
Der Mund oder die Zunge wird beim Schreiben mitbewegt
Zum Weiterlesen: zeitraum-weinheim.de
Ganz ernsthaft. Was für ein Blödsinn. Das Heft wird schräg gelegt, Beine untergeschlagen, „schlechte“ Stifthaltung, Zunge wird mitbewegt … so what? Wo liegt das Problem? Das wir nicht alle nach einer festgelegten Norm funktionieren? Jeder hält den Stift, wie er gut schreiben und malen kann. Wir dürfen uns von unreflektiert Normen endlich verabschieden.