Fette Oberschenkel sind bei den Bundesjugendspielen halt eher hinderlich

Bundesjugendspiele

So, erst schaffen wir die Bundesjugendspiele ab und dann? Die Turniere bei den Sportvereinen und dann? Die WM. Schließlich muss man auch unsere Mannschaft vor der Demütigung in der Peergroup schützen. Ich persönlich finde übrigens völlig verdreckte Turnschuhe auf frisch geputztem Parkett auch sehr demütigend.

 

Liebe Christine Finke,
da ist Dir ja ein wirklich feiner publicity-wirksamer Scoup  gelungen. Du möchtest also die Bundesjugendspiele abschaffen. Du findest sie nicht mehr zeitgemäß und willst sportlich schwache Schüler „vor der Demütigung in der Peergroup“ schützen. Und da machst Du dann gleich eine Online-Petition. Chapeau.

Liebe Christine, wenn sich irgendjemand mit Demütigung in der Peergroup auskennt, dann bin ich das. Ja, ja ja – möchte ich deshalb spontan jubeln. Denke ich doch sofort an meine eigenen Höllenqualen, die sich prä- , sub- und postpubertär nur in der Intensität der Null-Bock-auf-den-Scheiß-Haltung  unterschieden haben.

Ich habe es gehasst. Weitspung, Rennen, Werfen, noch mehr Rennen, Hüpfen, alles an einem Tag  – das war ein Albtraum. Immer die Letzte oder Vorletzte,  schnaufend ins Ziel, mitleidige Blicke der blonden, grazilen und langbeinigen Sportskanonen. Jene, die später auch immer Beachvolleyball am See spielen konnten UND dabei gut aussahen. Diese Mädchen,  die wieder eine schicke Anstecknadel kassieren würden, weil sie sich so voller Enthusiasmus in den Sand geworfen hatten, dass hinterher regelmäßig irgendeine Kapsel oder ein Band oder was auch immer gerissen war. Und das hatte  nicht nur Lob,  Ruhm und Ehre sondern auch einen schicken Verband oder gar Krücken zur Folge. Und damit hammermäßig viel Aufmerksamkeit und Blaulicht.

Hätte ich auch gerne gehabt.

Die Wahrheit ist: Die Aufmerksamkeit bekamen leider nur meine Oberschenkel.
Die seien  nämlich „halt auch bisschen fett“, sagte mir einst eine Klassenkameradin unter sengender Sonne auf dem Stadionrasen. Deshalb sei ich so langsam. Die Gummibärchen blieben mir im Halse stecken. Davon bin ich heute noch traumatisiert.
War das eigentlich Mobbing?
Das Wort kannte man damals gar nicht.
Heute ist man sensibler. Zum Glück. Andererseits weiß ich nicht, ob ich gewollt hätte, dass meine dicken Oberschenken noch mal Thema im  nächsten Klassenrat mit der Schulpsychologin werden.

Nun hab ich zwei Kinder. Die sind jetzt auch nicht hammersportlich.  Bei den ersten Bundesjugendspielen hat sich mein Sohn aber zum Beispiel  sehr hübsch die Zeit vertrieben, indem er Pfandflaschen aus dem umliegenden Grün gesammelt  hat. Gut, dass ein Vater mir Stunden später hinter einem Gebüsch vor unserer Haustür auflauerte und vorwarf, mein Sohn haben die Flaschen gestohlen, trübte kurz die Freunde über den finanziellen Erfolg dieser Sportveranstaltung. Die Sache hat sich aber später geklärt.

Meine Tochter hatte fürchterliche Panik vor dem 800-Meter-Lauf. Ging aber auch irgendwie, als sie begriffen hatte, dass es keine 8 Kilometer sind.

Natürlich ist es auch schade, dass sich unsere Elternschaft zerstritten hat, weil man sich nicht einigen konnte, ob es den Kindern zuzumuten wäre, 2,5 Kilometer zur Sportstätte hin UND noch zurück zu laufen. Auf zwei Beinen.  Merkwürdigerweise hatten sie das die Jahre zuvor immer geschafft.
Irgendwas ist halt immer.

Und ja, es  gibt auch bei uns Kinder, die regelmäßig bei dieser Veranstaltung „krank“ sind. Ich will das nicht im Einzelnen bewerten. Meist sind es aber jene Kinder, denen ein bisschen mehr Bewegung nicht schaden würde. Es ist nicht schön, immer Letzter zu sein. Niemand mag das. Aber vielleicht weckt eine solche Veranstaltung ja auch Ambitionen bei jenen Kindern, die sonst nur den Ehrgeiz haben, das nächste Level auf  der Playstation zu meistern.

Darüber hinaus: Ständig jammern und klagen Ärzte, Lehrer, Experten, dass die Kinder immer unsportlicher werden, nicht auf einem Bein hüpfen könnten, kraftlos seien, krank würden vor Übergewicht.

Was wäre es da für ein Signal, die Bundesjugendspiele abzuschaffen? Die einzige Veranstaltung, bei der wirklich alle Kinder gleich sind? Hast Du darüber mal nachgedacht, liebe Christine? Ich glaube nicht. Ich glaube nicht, dass Du überhaupt großartig nachgedacht hast.

Ich glaube eher, Du hattest früher auch fette Oberschenkel und hast nie eine Anstecknadel bekommen. Stimmts?

Und ich wette, Du hast auch NICHT die Kinder gefragt.

Ich hab’s getan. Nur der Vollständigkeit halber. Diese so-mittel-sportbegabten-Durschnittskinder ohne Sportabzeichenanstecknadel.

Hier die Antwort:

BIST DU DENN WAHNSINNIG! DANN MÜSSEN WIR DOCH IN DIE SCHULE!!!

Genau. Denn letztendlich kommen Kinder ziemlich  gut damit klar, wenn sie etwas nicht so gut können. Und andere vielleicht sogar besser sind, als sie selbst.

Unter einer Voraussetzung allerdings:
Wenn sie Lob und Anerkennung für jene Fähigkeiten bekommen, DIE sie haben.

 

Wer trotzdem die Petition unterzeichnen will, hier lang bitte:

https://www.change.org/p/petition-bundesjugendspiele-abschaffen-manuelaschwesig

25. Juni 2015

2 Kommentare

das ist lustig …. ich war früher die Sportskanone… und habe HEUTE die dicken Schenkel

Und nach der Schule kommen die verhätschelten, auf Null-Leistung getrimmten, aber glücklichen und innerlich mit sich im Gleichgewicht befindlichen Jugendlichen auf die Uni, wo spätestens nach dem zweiten Semester ein gnadenloses Aussieben der Besten stattfindet, oder müssen in Ausbildung und Beruf erfahren, was es bedeutet einem stetigen brutalen Wettbewerb unter den Kollegen, oder gegenüber der Konkurrenz (heißt seit Neuestem noch nicht ‚mal mehr Mitbewerber, sondern ‚Marktbegleiter‘, was jedoch nichts an der Konkurrenzsituation ändert) ausgesetzt zu sein. 😮 Und spätestens nach 5 Jahren landen sie mit „Burn-Out“ beim Therapeuten, weil sie’s in der Kindheit mit dem Halt und der Unterstützung der Eltern NICHT gelernt haben mit solchen Situationen fertig zu werden. :‘-(
Sorry, aber unsere Welt besteht nunmal aus stetiger Konkurrenz und Leistungsdruck, und ich sehe die Aufgabe von uns als Eltern, aber auch auch der Erziehung- und Bildungsorganisationen (von der Krippe bis zur Uni) darin, die Kinder und Jugendlichen darauf vor zu bereiten. Und da gehören sportliche Wettkämpfe nun ‚mal dazu!

Gruß Moni

P.S. Kannste ruhig veröffentlichen, den Kommentar!!

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