StadtLandKind. | Ausgabe 3/2024

5 Die Kunst zu sprechen che anzustellen, spätestens wenn sie beispielsweise irgendwo bei Kaffee und Kuchen sind, wo es auch andere Kinder gibt, vergleichen sie automatisch. Wenn jedoch die Unterschiede groß sind, würde ich das mit dem Kinderarzt oder der Kinderärztin besprechen. Wenn Eltern deswegen zu mir kommen, schaue ich, wie die Entwicklung des Kindes ist und zeige auch, wie groß die Bandbreite in der Sprachentwicklung ist. Es gibt Kinder, die können mit zweieinhalb Jahren schon fließend sprechen. Wenn ich ein solches Kind im Bekanntenkreis habe, dann wirkt mein Zweijähriger vielleicht deutlich zurück, ist aber eigentlich noch komplett in der Norm. Manche Eltern stellen sprachliche und körperliche Entwicklung gegenüber. Was halten Sie davon? Ich kenne solche Äußerungen wie „der kann sich ja toll bewegen, da muss er mit zwei oder drei Jahren noch nicht sprechen können“. Solche Mythen nach dem Motto „Motorisch super, Sprache schlecht“ gehen einfach nicht. Für alle gelten die gleichen Meilensteine der Entwicklung, egal ob sie super im Klettern sind oder nicht. Wie sehr hängt die Sprachentwicklung eine Kindes von den Menschen ab, die es in den ersten Lebensjahren umgeben, sprich, von dem, was das Kind hört? Das hängt massiv zusammen, denn Sprache ist Lernen am Modell. Und das Lernen beginnt bereits im Mutterleib, wie einschlägige Studien belegt haben. Wenn Kinder imMutterleib eine Umgebungssprache erleben, werden Gehör und Gehirn des Kinders bereits in der Schwangerschaft geprägt. Wenn das Kind auf die Welt kommt, lernt es einfacher Deutsch, weil es bereits im Mutterleib darauf geprägt wurde. Wenn ich als Mutter jetzt gerade in Deutschland bin, danach aber mein Leben lang in England sein werde, lässt sich das Kind auf diese Sprache prägen, wenn englisch gesprochen oder englischsprachige Musik gehört wird. Es fängt also im Mutterleib an, hängt aber danach massiv davon ab, wie sprachgefördert das Kind in seiner Umgebung wird. Das Kind bekommt mit, wie mit ihm geredet wird. Wenn ich mit meinem Kind in den ersten Jahren nie spreche, ist die Sprachentwicklung wahrscheinlich eher gestört. ist dreifacher Familienvater und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Frankfurt am Main. Weil er Eltern auch außerhalb seiner Praxistätigkeit Hilfe und Unterstützung in allen Fragen zur Kindergesundheit geben wollte, startete der Sohn portugiesischer Eltern den Kanal „Kids.Doc“ auf Instagram. Die pfiffige Idee entwickelte sich zum beliebten Account, inzwischen zählt er mehr als 650 000 Follower. Ein weiteres Format, mit dem Gatinho Eltern und Kinder informiert, ist der Podcast „Der Kids.Doc“. In mehr als 110 Folgen geht es um Elternmythen ebenso wie um wählerische Esser oder Kindesmisshandlung. Vor zwei Jahren gewann der Podcast die Kategorie „Publikumspreis Wissen“, weil er offen, direkt und ohne Medizinervokabular, dafür mit einer guten Portion Humor und viel Herz sich der Fragen rund um die Gesundheit von Babys und Kindern annimmt. Ein Themenspektrum, dem Gatinho sich auch in seinen Büchern widmet. Vor zwei Jahren ist „Wenn der Rotz läuft und der Pups drückt“ bei GU erschienen. In diesem Jahr ist das zweite Buch erschienen. „Wenn die Laus juckt und der Zahn wackelt“ widmet sich der Medizin von und für Kinder im Alter zwischen vier und zwölf Jahren. Themen sind Ernährung, Wachstum, psychische Belastungen und Prävention von Missbrauch. Zudem gibt es Wissenswertes zu Kinderkrankheiten sowie zur Entwicklung bis zur Pubertät. Dr. med Vitor Gatinho Lässt sich das Sprechen mit dem Kind auch delegieren beispielsweise an elektronische Medien? Es gibt Studien, die ganz klar zeigen: Input für das Kind kommt durch einen Menschen, nicht durch einen Bildschirm. Eltern sind manchmal ganz stolz, dass ihre Kinder mit zwei Jahren schon one, two, three sagen können. Dabei haben die Kinder mit ihrer Muttersprache ein Problem. Ich sage dann nur: Hui, dieses Kind war aber lange vor YouTube und hat viele Videos gesehen. Das hat mit Sprache nichts zu tun, das ist einfach nur doofes Nachbrabbeln. Sprache braucht Beziehung. Es gibt Phasen in der kindlichen Entwicklung, da klappt das mit dem Sprechen nicht ganz reibungslos. Wie sollten Eltern damit umgehen, wenn ihnen Sprachstörungen bei ihrem Kind auffallen? Immer wenn man Bedenken hat hinsichtlich der Sprachentwicklung seines Kindes, sollte man dies ärztlich abklären lassen. Im Rahmen der Vorsorgetermine machen wir das ja sowieso immer. Manche Eltern neigen dazu, das Verplappern ihrer Kinder zu korrigieren. Ist das ein sinnvolles Mittel? Wenn ich permanent auf meine Fehler hingewiesen und verbessert werde, ist die Frustration sehr schnell da. Der bessere Weg ist, das Wort richtig zu wiederholen. Wenn ein Kind beispielsweise immer wieder Flutzeug statt Flugzeug sagt, dann wiederhole ich das korrekt beispielsweise mit der Frage „Meinst Du das Flugzeug?“ oder dem Satz „Das Flugzeug fliegt aber hoch“. Ein richtiges Wiederholen des Wortes ist viel hilfreicher als das Kind mit der Nase drauf zu stupsen. Für das Umfeld sind Verwechslungen mitunter amüsant, wenn beispielsweise Buchstaben zu Stuchbaben werden. Nicht jedes Kind aber geht mit einem Lachen darüber hinweg. Haben Sie einen Tipp für Kinder, denen es auf den Zeiger geht, wenn andere sie mit ihren Sprechfehlern aufziehen? ▸

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