Die Zeichnerin und Karikaturistin Marie Marcks kam 1922 in Berlin zur Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg fing sie in Heidelberg an, als Graphikerin Plakate für Film- und Musikclubs zu entwerfen. Seit Anfang der 1960er Jahre zeichnete sie politische Karikaturen aus dem gesellschaftspolitischen und feministischen Bereich voller Detailreichtum und Wortwitz. Bis heute gilt Marie Marcks als die erste und als eine der besten deutschen Karikaturistinnen. Marie Marcks bezog immer deutlich Position, warnte vor der atomaren Aufrüstung und begleitete zeichnerisch die Umwelt- und Frauenbewegung. Von 1965 bis 1988 war sie Karikaturistin der „Süddeutschen Zeitung“, zeichnete aber auch für „SPIEGEL“, „Brigitte“ oder „Titanic“. StadtLand Kind traf die 92-Jährige zum Gespräch in ihrem Atelier in Heidelberg-Handschuhsheim.
StadtLandKind: Frau Marcks, betrachtet man Ihre Werke und liest ältere Interviews, bekommt man den Eindruck, dass Sie mit ihrem beruflichen Werk sehr zufrieden sind. Geht es aber in Ihrem Privatleben um das Thema Familienleben, und für das interessieren wir uns natürlich vor allem, hören sich Ihre Aussagen „vorsichtiger“ an. Sie sind aber dafür bekannt, dass Sie nie ein Blatt vor den Mund nehmen. Deshalb beginnen wir unser Gespräch mit der Frage: Waren Sie eine gute Mutter?
Marie Marcks: Nein. Natürlich nicht. Ich war bemüht, eine gute Mutter zu sein. Aber ich war nicht bereit meinen Beruf aufzugeben. Als die Kinder klein waren, habe ich auf Sparflamme gearbeitet. Aber einfach war es für meine Kinder sicher nicht. Überhaupt die Frage: eine gute Mutter. Die stellte sich früher überhaupt nicht.
Hatten Sie als Mutter manchmal ein schlechtes Gewissen?
Aber natürlich. Es ist unmöglich Mutter zu sein und zu arbeiten, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Sie haben doch selbst Kinder und sitzen hier bei mir. Haben Sie kein schlechtes Gewissen?
Würden Sie heute etwas anders machen? Den Beruf stärker zurückstellen?
Nein. Mir war schon sehr früh bewusst, dass ich eine besondere Begabung habe. Mein Beruf war eine Berufung – und warum sollte ich auf so etwas verzichten sollen? Ich würde alles nochmal genauso machen.
Sie sind Mutter von fünf Kindern – das älteste wurde noch im 2. Weltkrieg geboren – und Großmutter zahlreicher Enkel. Ihre Kinder haben drei verschiedene Väter, aufgezogen haben Sie sie weitgehend allein. War es sehr hart, damals alleinerziehend zu sein, oder waren Sie auch stolz, alles allein zu schaffen?
Stolz war ich auf meine tagespolitische Arbeit. Alleinerziehend? So habe ich mich nie gefühlt. Ich hatte auch gar keine Zeit, mir groß Gedanken zu machen. Ich habe einfach versucht, nach jeder Trennung, die ja auch eine Niederlage war, wieder aufzustehen, mich an den Schreibtisch zu setzen und weiterzumachen. Die Kinder haben sich weitgehend gegenseitig erzogen. Ich wollte vor allem immer ein gutes Vorbild sein, zeigen, dass man sich nie unterkriegen lassen darf, die Verantwortung für das eigene Leben auf niemanden abwälzen darf. Und das ist mir – glaube ich – auch geglückt.
Wie ist das heute, wenn Enkel (und Urenkel?) zu Besuch kommen. Eine komplett andere, anstrengende, Welt? Oder noch immer Inspiration?
Oh nein. Das halte ich gar nicht mehr aus. Die Enkel schon, aber die kleinen Urenkel … das ist mir zu viel Lärm, zu viel Unruhe. Nur Bärchen, der Sohn meiner Enkelin Mariechen, ist eine Ausnahme. Er ist so süß … er flirtet mit mir.
Der Zeitschrift „Emma“ waren sie damals zu „männerfreundlich“, dennoch ist das Bild, das Sie vom männlichen Part in Beruf und Familie zeigen durchgehend kritisch. Männer – und vor allem Väter – kommen bei Ihnen grundsätzlich schlecht weg. Woher stammt diese Haltung und warum wurde sie im Laufe der Zeit nicht milder?
Natürlich bin ich milder geworden. Altersmilder. Alice Schwarzer wollte, dass ich Männer als Verbrecher hinstelle. Ohne jede Abstufung. Das war mir zu platt. Ich mag ja eigentlich Männer. Wissen Sie: manchmal gehe ich mit einer Freundin spazieren. Sie ist genauso alt wie ich. Und wir schauen uns die jungen Männer gerne an. Ich finde junge Männer immer noch sehr attraktiv.
Meinen Sie, dass die Männer bei Ihnen heute besser wegkämen?
Natürlich kämen sie besser weg, das heißt, sie würden in meinem Werk gar keine Rolle mehr spielen. Ich bin nun mal Kritikerin. Wenn ich an meine Schwiegersöhne denke: Was soll ich an einem zugewandten, liebevollen Vater, der seine Partnerin in allem unterstützt, schon kritisieren? Sie wickeln die Kin-der, sie teilen sich den Haushalt … da gibt’s nix zu kritisieren.
Wenn Sie Ihre Töchter, Ihre Enkelinnen im Berufsleben sehen: Haben es junge Frauen heute einfacher?
Ihnen stehen alle Türen offen. Sie können jeden Beruf ergreifen, den sie wollen. Das ist eine traumhafte Vorstellung.
Manchmal klingen Sie etwas bitter, etwa bei der Aussage: „Meine Kunst wird nicht als Kunst angesehen, weil ich eine Frau bin.“ Braucht die Kunstszene ebenfalls eine Frauenquote?
Damals hätte sie es gebraucht. Ich habe am Anfang meine Zeichnungen immer mit M.Marcks signiert. Damit niemand merkt, dass die Zeichnungen von einer Frau stammen.
Wenn Sie das Kindsein von damals mit dem Kindsein von heute vergleichen, was fällt Ihnen zuerst ein?
Heute stehen die Kinder im Mittelpunkt. Sie sind unglaublich kostbar, weil es nur noch so wenige gibt. Zumindest bei uns. Und weil es nur so wenige gibt, stehen sie natürlich im Mittelpunkt. Und nur deshalb versucht die Gesellschaft kinderfreundlicher zu werden, weil es nur noch so wenige zukünftige Steuerzahler gibt.
Eines Ihrer Buchcover zeigt einen Mann, er trägt sichtlich schwer an der Weltkugel auf seinen Schultern. Adrett die Frau auf dem Bild, allerdings kommentiert sie sein Schicksal lakonisch mit den Worten: „Roll‘ doch das Ding, Blödmann!“ Was hat Sie zu dieser Zeichnung inspiriert?
Sämtliche Männer in meinen Zeichnungen zeigen immer meinen dritten Mann Helmuth. Sie müssen wissen, ich hatte bei Männern keinen guten Griff. Nie. Mein dritter Mann konnte sich voll und ganz seiner Karriere als Wissenschaftler widmen, später hat er sich von mir getrennt. Ich habe sogar auf den Unterhalt verzichtet, das habe ich dann aber doch bereut. Es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, mich bei den Kindern oder im Haushalt zu unterstützen. Ich war das so gar nicht gewöhnt, meine Eltern hatten immer Hausangestellte. Dann hatte ich plötzlich fünf Kinder und einen großen Haushalt … es war sehr chaotisch. Meine älteste Tochter musste mir immer sehr helfen. Heute ist mir aber auch klar: es wäre mir nie den Sinn gekommen, diese Unterstützung von ihm einzufordern.
Und nun zum Schluss eine Frage, die wir auch an den Anfang hätten stellen können: Sie haben einmal erzählt, dass Sie als Kind in Ihrem Tagebuch notiert haben: »Habe ich eine Wut, dass ich ein Mädchen bin.« Warum wollten Sie kein Mädchen sein?
Ich wollte Indianer sein. Soldat. Cowboy. Alles, was damals den Männern vorbehalten war. Frauen galten nichts. Ich wollte die Welt erobern, dabei sein. Als Frau konnte man damals bei etwas wirklich Großem nicht dabei sein. Aber das wollte ich unbedingt.
Würden Sie diesen Satz wieder in Ihr Tagebuch schreiben, geboren als Mädchen, im Jahr 2013? Oder noch genauer: wären Sie neidisch auf eine Marie Marcks, die heute geboren werden würde?
Neidisch ja. Aber ich möchte auch nicht mehr 13 sein … Wissen Sie, ich bin jetzt sehr müde. Ich würde mich gern etwas hinlegen. Es hat mich gefreut. Aber jetzt bin ich müde.
Interview: Bettina Wolf // Foto: /Tai M. Lüdecke /Antje Kunstmann Verlag