Am Dienstag ist mir ein Kind vors Auto gelaufen – mitten in Weinheim. Das Mädchen rannte zwischen zwei stehenden Autos auf der Gegenfahrbahn direkt vor meinen Wagen. Wäre das Kind nicht so schnell weitergerannt, sondern vor Schreck stehen geblieben, dann hätte auch meine sofortige Vollbremsung nichts genutzt. Dem Mädchen geht es gut, es ist zehn, so alt wie meine Tochter.
Ich habe den ganzen restlichen Heimweg geheult. Der Satz klingt immer so abgedroschen: „Diese Sekunde hat mein Leben verändert.“
Ich weiß jetzt, was das bedeutet. In dieser Sekunde, in der ich mit voller Kraft auf die Bremse trete und das Auto trotzdem auf der regennassen Straße nicht sofort zum Stehen kommt, dachte ich: „Jetzt ist alles vorbei.“ In einer Sekunde planst du gedanklich das Mittagessen für dein eigenes Kind, in der nächsten überfährst du ein fremdes.
Ich habe an diesem Dienstag glücklicherweise alles richtig gemacht. Die Hände am Lenkrad, die Augen auf der Straße, die Geschwindigkeit sogar unter der Erlaubten. Das Kind hat alles falsch gemacht. Weder nutzte es die Fußgängerampel, noch schaute es nach rechts und links, es lief auch nicht, es rannte. Hätten wir beide nicht so ein großes Glück gehabt, dann hätte mich die Gewissheit, alles richtig gemacht zu haben, kaum getröstet.
Das sollten wir uns alle bewusst machen, besonders jene Menschen, die ich tagtäglich auf dem Weg zur Arbeit sehe. Die, die auf ihren Navis herumtippen, ihre Handys am Ohr haben, im Handschuhfach herumwühlen oder sich beim Fahren die Lippen anmalen – und das alles noch mit zehn Kilometern pro Stunde zu viel. Ja ihr – euch meine ich! Seid dankbar, dass das Mädchen am Dienstag nicht vor euer Auto gerannt ist.
(Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag erschien erstmals in den Weinheimer Nachrichten vom 30. November 2017)