Liebe Frau Wulf, Sie bieten Workshops und Vorträge zu den Themen Familie und Finanzen an. Ihr aktuelles Thema lautet: „Die Wirtschaftskrise, wir Eltern und unsere Kinder“. Als Eltern möchten wir natürlich finanzielle Sorgen möglichst von unseren Kindern fernhalten. Aber kann das funktionieren? Sie sagen auch: „Jede Krise trägt eine zweite Krise in sich: wenn wir nicht drüber sprechen …“
Der sechsjährige Sohn einer Freundin rief vor einiger Zeit entsetzt: „Mama, sind wir jetzt arm?“ (Sie hatte weder mit ihm über ihre finanziellen Sorgen gesprochen, noch hatte es bisher Veränderungen oder Einschnitte im Alltag gegeben. Sie hatte lediglich einmal abends nicht warm gekocht, sondern Käse und Brot aufgetischt.)
Kinder scheinen die allgemeine Unsicherheit also doch zu spüren, auch wenn nicht darüber gesprochen wird. Sollten wir also ehrlich sein? Und wenn ja, wie?
Also doch? Ja, Eltern überrascht es meist, wenn ich mit ihnen darüber spreche, dass es eigentlich nicht möglich ist, Kinder von unangenehmen und schwierigen Themen fernzuhalten. Ich erlebe es vor allem in meinen Eltern-Kind-Veranstaltungen immer wieder: Da erzählt ein Vater stolz, dass es zu Hause kein Fernsehen gibt. Sein Kind kann bei einem Spiel aber zu seinem Erstaunen ganze Werbespots auswendig nachsprechen. Das hat natürlich eine lustige Komponente – bei der Not, die gerade über das Land zieht, ist das heimliche Wissen der Kinder nicht mehr spaßig.
Eltern vergessen außerdem einen weiteren Punkt: Dass sie zwar meinen, ein Thema bewusst im Gespräch mit den eigenen Kindern auszusparen, wir aber als Familie zu Hause sehr wohl Wand an Wand und Tür an Tür leben. Unsere Kinder kennen und beobachten uns sehr genau und haben gute Antennen für das, was uns beschäftigt. Haben wir Sorgen oder gar Ängste, um so mehr. Wenn wir dann nicht mit ihnen sprechen, machen sie sich ihren eigenen Reim aus ihren Beobachtungen, den aufgeschnappten Wortfetzen oder Veränderungen in unserem Verhalten. Das trifft dann besonders junge Kinder. Denn bei ihnen kann die aktuelle Lage durchaus größere Ängste auslösen. Meist vor dem Verlust der Wohnung oder eben, dass nicht mehr genug Geld für eine warme Mahlzeit da ist.
Kinder stellen viele Fragen, auf die wir keine Antwort haben. Wie können wir als Eltern mit dieser Unsicherheit, mit der aktuellen Unplanbarkeit des Lebens umgehen?
Wenn Sie sagen, wir haben keine Antwort auf die vielen Fragen der Kinder – was genau meinen Sie? Geht es darum, dass niemand von uns sagen kann, was die Zukunft bringt? Das stimmt. Das können wir nicht. Wir können aber unseren Kindern einen Rahmen vorgeben, der uns selbst Sicherheit gibt. Zurück zu Ihrer Frage: Ich höre diesen Satz „wir haben keine Antwort“ häufig. Eigentlich ist er nicht ganz präzise. Es müsste nämlich heißen: Es gibt Fragen, auf die es uns schwerfällt, zu antworten. Das wiederum ist gar nicht schlimm. Ich war fünf Jahre alt, als die Sesamstraße nach Deutschland kam. Daher habe ich den Satz „Der, die, das – wie, was – wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm“ früh verinnerlicht.
Auf welche Fragen unserer Kinder fällt es uns schwer, zu antworten? Sind es gerade die, die so direkt und einfach sind wie in Ihrem Beispiel: Mama, sind wir jetzt arm? Sicher, das ist eine komplizierte Frage. Und gleichzeitig eine tolle Gelegenheit, mit meinem Kind über dieses Thema, seine Beobachtungen und auch Gefühle ins Gespräch zu kommen. Ich frage in solchen Situation gerne zurück: arm? Was ist Armut überhaupt? Wenn das Kind schon mal davon gehört hat, dass es arme Menschen gibt. Kann man sehen, ob jemand arm ist? Und schon sind wir mittendrin in einem Gespräch. Dabei geht es ja gar nicht primär um die Vermittlung von Fachwissen. Wir wollen wissen, was unser Kind erlebt hat, was es denkt und fühlt. Denn gerade bei Kindern im Kindergartenalter ist es wichtig, ihnen ihre Ängste zu nehmen, die sie vielleicht haben. Oder geht es um die Frage, ob wir wissen, was in Zukunft passieren wird, das kann schließlich niemand wissen. Aber wir haben Antworten auf Phänomene wie Unsicherheit und Unplanbarkeit. Ist das nicht eine Lektion im Leben, dass wir auch auf das vorbereitet sein sollten, was ungeplant ist? Was verlangt es von uns? Ist das Bild, alles kontrollieren zu können – als die einzige Form von Sicherheit – eigentlich ein gutes Bild? Gilt es nicht vielmehr, mehr Zeit und Energie zu investieren, um uns möglichst flexibel sein zu lassen, um uns besser anzupassen? An das, was von außen kommt oder auch, was es an Veränderungen in uns selbst gibt? Denn auch wir verändern uns. Wollen Dinge heute, die wir morgen schon wieder verwerfen.
Stichwort Energiekrise. Wie können wir kleineren Kindern unsere akute Knappheit an Ressourcen erklären, ohne sie mit Informationen von Krieg und Flucht zu belasten?
Mein Sohn hat mit fünf Jahren überlegt, Gesteinsbrocken von Mars und Venus auf der Erde zu verkaufen, um reich zu werden! Daher weiß ich, dass Kinder schon früh ein Gefühl dafür entwickeln, was wertvoll ist. Heute wachsen Kinder also mit dem Bewusstsein auf, dass Energie für uns einen besonderen Wert hat. Für die einen ist es primär eine finanzielle Frage, für andere eine Frage ihres bewussteren Umgangs mit knappen Ressourcen.
Ja, der Krieg in der Ukraine hat in diesem Jahr vieles auch in unserem Leben verändert. Das macht uns allen Angst und wir blicken mit Sorge auf die politische Weltlage. Ich weiß aus meiner langjährigen Arbeit mit Familien, dass wir unsere Kinder am besten schützen, wenn wir mit ihnen altersgerecht sprechen und die schwierigen Themen eben nicht bewusst ausklammern. Wir sind ihnen Vorbild für den Umgang mit herausfordernden Lebenssituationen. Schweigen wir, schweigen oft auch die Kinder. Wir denken: Alles gut, sie haben nichts mitbekommen – und sie denken: wenn meine Eltern nicht darüber sprechen, dann scheint es sie sehr zu belasten. Lieber nicht fragen. Die Folge: Sie bleiben allein mit ihren Gedanken und Gefühlen, mit dem aberwitzigen Ziel, uns Eltern zu schützen. Das stelle man sich vor: Eltern sprechen mit Kindern nicht, um sie zu schützen und Kinder fragen nicht, um ihrerseits die Eltern zu schützen. Und jeder denkt, fühlt und grübelt für sich alleine.
Wir sind die Erwachsenen und es ist an uns, auch komplizierte Dinge in Worte zu fassen, altersgerecht und mitfühlsam – das ist nach meinen Erfahrungen der beste Schutz, den wir unseren Kindern gerade in diesen Zeiten geben können. Dann wissen wir auch, dass sie jederzeit fragen und sich an uns wenden können, wenn sie etwas als belastend empfinden.
Auch über Geld reden Eltern mit ihren Kindern nur ungern. Warum ist das (immer noch) so?
Weil die meisten Eltern es so auch schon von ihren Eltern kennengelernt haben und die von ihren …
Das Tabu „über Geld wird nicht gesprochen“ hält sich beständig und wird immer noch gelebt. Warum?
Das Tabu würde sich nicht so halten, wenn es nicht auch Vorteile für Menschen im Gepäck hätte: Wir schützen andere und uns selbst davor, zu viel von unseren privaten Finanzen preisgeben zu müssen. Leider übersehen wir, dass wir uns damit auch der Möglichkeit berauben, im Austausch mit anderen zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Wie machen es andere, was könnte ich tun, womit sollte ich schon jetzt mal beginnen? Gerade in Krisenzeiten trifft es dann die Menschen härter, für die ein solcher Austausch eine Chance wäre. Entweder im täglichen Umgang mit den eigenen Finanzen – oder aber auch mit den Sorgen und Ängsten, die die aktuelle Finanzkrise auch bei uns Erwachsenen auslösen kann.
Reden wir vielleicht auch deshalb nicht gern über Geld, weil wir denken: Geld ist nicht alles?
Es stimmt ja – eigentlich. Geld ist nicht alles. Viele Eltern wollen ihren Kindern in dieser sehr konsumorientierten Welt andere wichtige Werte vermitteln. Doch leider gibt es auch hier einen kleinen Haken. Es ist wie oft im Leben nicht das eine oder andere. Ich vergleiche das gern mit der Verkehrserziehung. Die hat zur Aufgabe, dass unsere Kinder schon früh und vor allem schrittweise lernen, sich im Straßenverkehr sicher zu bewegen. Davor kann, naja, darf ich sie ja gar nicht schützen. Mit dem Geld ist es ähnlich: Ziel ist das Erlernen eines selbstbewussten Umgangs, der ganz selbstverständlich zu unserem Alltag und Leben gehört. Wenn wir also zu sehr betonen, dass Geld nicht alles ist, schaffen wir irgendwie eine Hürde oder auch Ausrede. Dann muss ich mich ja auch nicht damit beschäftigen – das wollen wir doch eigentlich nicht, oder? Denn die Erwachsenen von morgen brauchen die Kompetenzen und die Motivation, sich verantwortungsvoll mit den eigenen Finanzen zu beschäftigen.
Haben Sie Anregungen und Ideen, wie wir mit Kindern zum Thema ins Gespräch kommen?
Das Beispiel mit der Armut hatten wir schon. Viele denken sehr kompliziert und um die Ecke. Ich hatte gerade einen Großvater, der mich nach Aktien- und Börsenspielen fragte. Puh!
Mit (jüngeren) Kindern setzen wir uns nicht an den Tisch und halten ihnen einen Vortrag zum Thema Geld. Aber wir leben mit ihnen unseren familiären Alltag. Und wenn wir genau hinschauen, dann sehen wir, dass dieser voll ist von kleinen oder großen Geld-Geschichten und somit auch die Vorlage bietet für viele kleine Geldgespräche mit unseren Kindern, Enkeln. Was ich meine?
Wir können mit unseren Kindern einen Einkauf planen und nicht nur schauen, was wir am Wochenende kochen, sondern mit ihnen über Preise sprechen. Was kostet wie viel, wann ist etwas preisgünstiger, warum sind wir bereit, für gute Qualität mehr zu bezahlen? Was ist „gute Qualität“ überhaupt? Können die billigen Cornflakes weniger als die teuren? Was bedeutet es eigentlich heute, wenn es heißt, alles wird teurer? Kinder sind oft sehr interessiert, wenn wir sie ins Leben einbeziehen – auch, wenn es hier und da unangenehm wird. Also auch, wenn es heißt, in den kommenden Monaten hier und da auf liebgewonnene Gewohnheiten zu verzichten, weil sie teurer geworden sind. Kinder freuen sich, wenn sie ins Team einbezogen werden. „Das verstehst du noch nicht“ ist eine sogenannte self-fulfilling prophecy – denn erst dadurch, dass ich so einen Satz aussprechen, tritt die Prophezeiung auch ein.
Der beste Tipp ist, unsere Kinder zu fragen. Was sie schon wissen, was sie denken, wie sie die aktuelle Lage erleben. Wenn wir selbst Sorgen haben, dann müssen und dürfen wir mit unseren Kindern nicht alle Gedanken teilen. Aber wir sollten ihnen auch nichts vorspielen und sie sehr ernst nehmen.
Interview: bw // Foto: Michael Miethe
Mehr zu Kirstin Wulf und der Initiative „Kinder.Eltern.Geld“ unter: bricklebrit.net