Die Vereinbarkeitslüge
Ich sag euch jetzt mal was. Ich hab jetzt drei Tage lang durchgearbeitet. Vom Aufwachen bis zum Schlafen. Also erst bei meiner bezahlten Arbeit und danach hab ich dem Kind wahlweise Mathe oder Französisch erklärt und bei den Hausaufgaben geholfen. Und zwischendurch ein bisschen Erdkunde geübt und mit dem anderen Kind etwas Bio. Aber nur etwas. Weil das andere Kind krank ist und schon Englisch lernen musste. Heute war das Französisch-Kind so kaputt, dass es beim Üben fast eingenickt ist. Klar, nach zweimal Nachmittagsunterricht hintereinander.
Und ich bin dann leider auch fast eingenickt, weil ich ja zwischen dem Arbeiten und dem Schulunterrichterklären auch noch koche und putze und einkaufe und so.
Und ich will jetzt hier nix hören von wegen „dann sind die Kinder überfordert, andere Schule wäre besser und so“. Und ich will auch nix hören von wegen Helikoptermutter und einfach mal machen lassen und so.
Die Kinder sind ganz normal und ich übrigens auch.
Aber wenn permanent Unterricht ausfällt und Lehrer ihren Stoff durchpeitschen müssen und erwarten, dass Eltern da mitziehen und ihren Kindern all das erklären, für das im Unterricht keine Zeit mehr war und all das zu üben, was wegen fehlender Zeit im Unterricht nicht mehr geübt werden konnte, dann ist das einfach nicht richtig so.
Und so lange das so falsch ist, muss mir niemand was von Vereinbarkeiten erzählen.
Vereinbarkeit ist eine Lüge, so lange unser Schulsystem so desolat ist, dass es ohne Eltern, die auch in der Mittelstufe ihren Kindern noch kompetent Mathe-, Englisch- und Französisch-Nachhilfe neben ihrem Job geben oder zumindest Nachhilfe bezahlen können, nicht funktioniert, zwei normal begabte Kinder einigermaßen durch eine G8-Schullaufbahn zu bringen.
Und ich will nix hören von der Hand voll Kinder in jeder Klasse, die das meinetwegen tatsächlich ganz alleine schaffen.
Die breite Mehrheit schafft das nicht alleine.
Und ich kenne Dutzende von Müttern, die nach 13 Stunden Arbeit plus Schule plus Haushalt abends so erschöpft sind, dass sie kaum noch geradeaus gucken können. Und Väter, die den ganzen Tag gearbeitet haben, können vielleicht mal eben um 19 Uhr noch rasch im Haushalt helfen, aber sie können nicht mal eben noch mit den Kindern lernen. Dazu sind nämlich die Kinder zu kaputt. Und die Väter auch.
Und es ist großartig, dass jetzt endlich die Digitalisierung an den Schulen ankommen wird, aber es wäre besser, wenn erst mal genügend Lehrer vorhanden wären, die den ganz normalen Unterricht bestreiten können, ohne nach ein paar Jahren mit Burnout dazustehen. Und es wäre besser, endlich einzusehen, dass man in acht Jahre Gymnasium nicht immer noch mehr Stoff stecken kann, als früher in neun Jahren drin war und von den einzelnen Lehrern nicht immer noch mehr Kompetenzen zu erwarten, sondern den Stundenplan zu entschlacken und mehr Lehrer einzustellen und all die Erwartungen auf mehr Schultern zu verteilen.
Und es wäre gut, wenn die Erkenntnis, dass sich etwas ändern muss, jetzt langsam mal ankäme, damit die Mütter, die heute Kinder kriegen in Zukunft vielleicht wirklich Vereinbarkeit haben.
Und ich finde es großartig, dass es heute einen Anspruch auf einen Kitaplatz für Dreijährige gibt und immer mehr Kitas für die Kleinen. Aber die Mütter, die jetzt ihre Kinder durch G8 wursteln, sind leider auch die Mütter, die diesen Kita-Anspruch nicht hatten, als ihre Kinder klein waren und es sind die Mütter, die für einen U-3-Kita-Halbtagsplatz oder eine Tagesmutter, wenn sie überhaupt eine(n) bekommen haben, mal locker 500 Euro auf den Tisch gelegt haben. Und das konnten sich viele gar nicht leisten. Und das sind auch die Mütter, die in vielen Berufen dafür kämpfen mussten, überhaupt eine Teilzeitstelle zu bekommen und permanent beweisen müssen, dass man auch halbtags Vollgas geben kann.
Und es sind die Mütter, die dann später ein fettes Loch in der Rentenkassen haben.
Aber wir können uns ja dann zumindest damit trösten, dass wir es trotzdem irgendwie geschafft haben. Ohne diese Vereinbarkeit von der zwar immer alle reden und die wir alle irgendwie leben ohne dass sie da ist. Wenn wir nicht irgendwann auf der Strecke bleiben oder unsere Kinder. Weil wir es doch nicht mehr schaffen.