Wenn ich das Babyspielzeug meiner Kinder heute betrachte, erinnere ich mich an zahllose glückliche Momente, aber auch an unendliche Langeweile.
Ich liebe meine Kinder tief und innig. Aber zum Lieben brauche ich sie nicht den ganzen Tag an meiner Seite. Im Gegenteil. Manchmal liebe ich sie viel mehr, wenn sie nicht da sind oder mich wenigstens nicht ansprechen.
Das war mal anders. Da war ich allerdings lediglich schwanger. Die Vorstellung, mein Kind in eine Kita zu geben – absurd. Kita, das war vor meinem geistigen Auge ein furchtbarer Ort voller Metall-Gitterbettchen, gestrengen Erzieherinnen, die Kinder zwingen Haferschleim zu essen und stillem Leid, dass sich in tieftraurigen Kinderaugen spiegelt, tief in die zarten, vernachlässigten Seelen frisst und sie für immer verkorkst – oder so. Es geht halt nix über hormonell bedingte Dramatik.
Abgesehen davon: Ein Kind braucht seine Mutter, mindestens bis es drei Jahre alt ist komplett, 24 Stunden am Tag, eher länger.
Darüber hinaus war ich der tiefen, selbstüberschätzenden Überzeugung, dass ich
1. eine fantastische, tiefenentspannte Mutter werden würde, die
2. diese ganze Baby-Geschichte mal eben so nebenbei managen würde und
3. dass es ohnehin nichts schöneres geben könnte, als ein ständig putzig schlummerndes Baby um sich herum zu haben.
Ja klar.
Damals glaubte ich auch, ich würde ein Kind in der Mittagspause gebären und meine einzige Sorge war, wie ich es im neunten Monat noch schafffen sollte, meine Fußnägel zu lackieren. Ohne Nagellack in den Kreißsaal? Wo man doch da ohnehin schon furchtbarerweise vielleicht partiell nackig sein muss?
Un-vor-stell-bar!
Natürlich hätte die Kreißsaal-Realität einiges wieder gerade rücken können, denn seltsamerweise spielten meine Fußnägel als es soweit war, überhaupt keine Rolle mehr. Hat sie aber nicht. Ich war nach wie vor der festen Überzeugung, dass ein Kind nichts, aber gar nichts in einer Kita zu suchen hat.
Und diese Überzeugung hielt erstaunilich lange an, obwohl alles, aber auch alles dagegen sprach. Nach drei Wochen schlief das Kind seltsamerweise nicht mehr nahezu den ganzen Tag, sondern schrie auch gerne und auch lange und laut und wollte vor allem nicht mehr putzig auf dem Schaffell herumliegen sondern entweder
1. trinken,
2. nochmal trinken,
3. herumgetragen werden oder
4. mit einer Rassel oder einem anderen Spielzeug vor dem Gesicht herumgewedelt bekommen.
Nun ist es leider so, dass ich mich persönlich trotz sehr aktivem Rasselherumwedelns intellektuell nicht sonderlich gefordert fühlte. Damit hatte ich nicht gerechnet. Und irgendwann traf mich die Erkenntnis, dass ich am gefühlten Ende eines langen und unendlich langweiligen Tages auf die Uhr sah und dachte: Ach du liebe Güte, es ist erst 9 Uhr – MORGENS!
Da hatte ich aber schon gestillt, gewickelt, nochmal gewickelt, sämtliche Hausarbeiten erledigt (mit Kind auf dem Arm) und mich schon um Baby-Bodys beim Discounter um die Ecke mit anderen Müttern geprügelt und hinterher ausgiebig dafür geschämt.
Und irgendwann traf mich auch die Erkenntnis, dass der 30. Waldspaziergang in drei Wochen zwar meiner körperlichen Ertüchtigung diente, aber nicht sonderlich aufregend war, weil weder Räuber noch wilde Tiere in unseren Wäldern lauern gegen die ich mein Kind hätte verteidigen und somit etwas hätte erleben können.
Ich gestehe: An zahllosen Tagen war mein Erlebnishöhepunkt der Windelkauf im Drogeriemarkt. Ich beneidete meinen Mann, der morgens das Haus verlassen und abends wiederkommen konnte (Wird heute später…. ). Verständlich. Ich hatte ihm ja auch abends nicht zu erzählen, außer dem erfolgreichen Windelkauf (stell Dir vor, heute im Angebot MIT Feuchttüchern und so einer putzigen Shampooprobe...) und erzählte trotzdem, weil er oft der einzige erwachsene Mensch und vor allem der einzige Mann war, mit dem sprechen konnte.
Die Tatsache, dass er sich diesen ganzen inhaltsleeren Mist immer und immer wieder angehört und mich nicht verlassen hat, ist übrigens der schönste Liebesbeweis überhaupt.
Und am allerschlimmsten war das schlechte Gewissen, das mich plagte. Das schlechte Gewissen darüber, dass mir mit diesem kleinen Wesen, über das ich eigentlich ununterbrochen glücklich sein sollte, dieses putzige Kind, mit dem ich ständig jauchzend durch die Wohnung und über Blumenwiesen tollen müsste, sprudelnd vor Mutterglück, dass mir mit diesem fantastischsten Kind auf der ganzen Welt – trotz der vielen, tatsächlich wunderbaren Momenten – auch unendlich langweilig war.
Trotz Stillgruppen, später Krabbelgruppen, Babyschwimmen und langen Spaziergängen mit anderen Müttern zogen sich die Tage endlos dahin.
Natürlich wurde es besser. Nach einem Jahr konnte ich mit dem Kind immerhin schon auf den Spielplatz. Und das Rasselherumwedeln wurde abgelöst durch Bilderbuchanschauen und erste Wörter.
Und dann schlich er sich ein der Gedanke – das Kind könnte ja vielleicht auch an ein oder zwei Vormittagen in die Kita….das würde vielleicht doch nicht so sehr schaden…
Ich machs kurz: Man lachte mich aus. Schallend.
Ich könne froh sein, wenn ich einen Kindergartenplatz bekäme. So in zwei Jahren. Ja, ich glaube, ich war eine der naivsten Mütter überhaupt.
Also bekam ich Kind Nummer zwei und wir blieben daheim. Insgesamt drei Jahre und vier Monate, denn Kind Nummer zwei kam zur Tagesmutter mit 14 Monaten – fünf Stunden am Tag. Kind Nummer eins bekam den Kindergartenplatz und ich ging wieder zur Arbeit.
Und als ich beide Kinder zum ersten Mal in ihren Betreuungseinrichtungen ablieferte, mit blutendem Herzen und voll von schlechtem Gewissen, weil ich gleichzeitig so erleichtert war und als ich dann sah, wie sich diese Kinder nicht einmal nach mir umschauten sondern voller Begeisterung in ihr neues Leben liefen, da traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz.
Meine Kinder lieben mich tief und innig.
Aber zum Lieben brauchen sie mich nicht den ganzen Tag an ihre Seite. Im Gegenteil.
Manchmal lieben sie mich viel mehr, wenn ich nicht da bin oder ich sie wenigstens nicht anspreche.