Bullerbü für alle

Bullerbü„Artgerecht“ nennt sich der Ansatz, den die beiden Autorinnen und Mütter Julia Dibbern und Nicola Schmidt vertreten. Slow Family – Sieben Zutaten für ein
einfaches Leben mit Kindern heißt die jüngste gemeinsame Veröffentlichung der beiden. „Bullerbü für alle“ titelt bezeichnenderweise das erste Kapitel. Aber was bedeutet Bullerbü im Jahr 2016? Und was ist das, eine „slow family“? StadtLandKind hat sich mit den Autorinnen über das Buch, ihren Ansatz der „artgerechten“ Erziehung und ihre Tipps für ein entspanntes Familienleben unterhalten.

Bullerbü für alle heißt das erste Kapitel des gemeinsamen Buchs Slow Family. Wie sollen wir uns Bullerbü im Jahr 2016 vorstellen? 

Julia: Modernes Bullerbü im Sinne von „Slow Family“ heißt: Wie können Familien in einer bis zum Irrsinn beschleunigten Welt Momente der Ruhe finden – und zwar jeder auf seine ganz eigene Weise, ohne Patentrezepte und Dogmen?

Nicola: Wir haben uns gefragt: Wie können wir raus aus dem Vereinbarkeitsstress wieder hin zu einem entspannten Familienleben?

Julia: Dafür haben wir nach Ideen gesucht, unser Familienleben auf einen bestimmten Orientierungspunkt, einen Nordstern auszurichten: Wir achten darauf,
dass das was wir tun, möglichst langsam, achtsam, und echt ist. Viele Familien klagen heute über einen stressigen, überfüllten Alltag. Das beginnt morgens, wenn die Kinder vor der Arbeit auf die verschiedenen Institutionen verteilt werden müssen, nicht selten ist eines krank, dann bricht alles zusammen. Nach einem anstrengenden Arbeitstag werden alle wieder eingesammelt, dann stehen Hausaufgaben, Hobbys der Kinder und Haushalt auf dem Plan. Eigentlich haben Familien heute ein Pensum, das nicht zu schaffen ist. Zumindest nicht ohne den drohenden Burn-out als ständigen Begleiter. Das hat auch nichts mit mangelnder Organisation zu tun, sondern einfach mit den Lebensverhältnissen im heutigen Deutschland.

Welche Vorschläge macht Ihr Buch, damit es einfacher wird für Familien?
Nicola: „Slow Family“ ist kein Selbstmanagement-Buch, und es geht auch nicht um mehr Effizienz oder Quality-Time-Konzepte. Es geht um die Frage: Wollen wir das? Müssen wir das? Wir sehen immer wieder, wie Menschen gefangen sind in dem Gefühl „es ist halt so“ und wir fragen uns: Ist es so? Geht das auch anders? Wie weit können wir uns im vorgegebenen Rahmen unsere Freiheiten schaffen? Wir haben uns das selbst immer wieder gefragt und machen Vorschläge, wie es geht.

Sie haben untersucht, von welchen Faktoren das Wohlergehen der Kinder abhängig ist … Sieben Zutaten braucht man – laut „Slow Family“ – für ein gutes Leben. Welche sind das?

Julia: Die Zutaten sind Liebe, Natur, Achtsamkeit, Gemeinschaft, Ressourcen, Wissen und Zauber. Was das genau im Einzelnen bedeutet und wie wir uns diese schenken können, beschreiben wir in „Slow Family“.

Wie genau sollte ein entspanntes Familienleben aussehen? Das Buch ist ja auch eine Art Rezeptesammlung mit vielen Ideen und Tipps …

Nicola: Entspanntes Familienleben sollte allen Beteiligten die Entspannung und den Raum ermöglichen, den sie brauchen. Wir haben festgestellt, dass Achtsamkeit mit uns und unseren Kindern unglaublich viel verändern kann. Und damit meinen wir nicht den Umzug nach Papua Neuguinea, sondern
die kleinen Veränderungen, jeden Tag.

Kann es wirklich so einfach sein: Gestresste Kinder = gestresste Eltern?

Julia: Irgendwie unangenehm, nicht? Wir wünschen uns auch manchmal, dass es anders wäre. Aber: Ja, die Studienlage ist eindeutig. Wen Details interessieren
– wir erläutern das im Buch sehr ausgiebig. Nicht nur Individuen, sondern auch Familien als System haben bestimmte Grundbedürfnisse, und wenn die nicht erfüllt werden, entsteht für alle Stress.

Nicola: Und Stress führt unweigerlich zu dem, was Forscher „ungünstiges Erziehungsverhalten“ nennen, sie erhöhen die Anforderungen an ihre Kinder ins Unerreichbare – und das produziert gestresste Kinder. Außerdem sehen gestresste Eltern ihre Kinder viel negativer als ein unabhängiger Beobachter. Auch
eine wichtige Erkenntnis: Das Kind ist toll. Ich sehe es nur nicht, wenn ich unter Druck stehe.

Hinter dem Slow-Family-Ansatz steht eine bedürfnisorientierte Kindererziehung. In drei Sätzen für alle Neu-Eltern. Was ist das?

Nicola: Viele Menschen denken: Die Kinder wollen uns nur tyrannisieren, die wollen nur ihre Grenzen testen. Das Gegenteil ist der Fall: Weinende Babys lügen nicht. Und quengelnde Kleinkinder auch nicht. Ihre Bedürfnisse sind echt. Es zeigt sich immer wieder, dass sie sich wie kleine Pflänzchen gut entwickeln, wenn wir ihre Bedürfnisse zur richtigen Zeit befriedigen.

Julia: Genau. Eigentlich reicht ein Satz: Vertrau dem Baby. Oder überhaupt nur ein Wort: Vertraue!

Und zum Schluss noch eine Frage aus persönlichem Interesse: Ein Kind monatelang nicht waschen. Wie hält man das aus?

Nicola: Monatelang? Ich glaube nicht, dass das wirklich passieren kann. Spätestens im Frühjahr wird man ja einfach mal schwimmen gehen, oder? Oder planschen. Oder mit dem Gartenschlauch spielen. Echte, positive Erlebnisse anstatt Waschlappenkämpfe.

Julia: Es lösen sich in der Tat viele Probleme, wenn man sie einfach mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und kreative Lösungen findet. Um die Ecke denken. Outside the Box. Auch darum geht es in „Slow Family“.

Interview: Bettina Wolf // Foto: Petra Arnold

Cover, Slow Family

13. Dezember 2016
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