Allein in der Krise

„Ehelich oder unehelich?!!“ … „Äh, wie bitte?“ „Haben Sie mich nicht verstanden: SIND IHRE KINDER EHELICH ODER UNEHELICH!!!“ Fassungslos hielt ich das Smartphone etwas weiter weg vom Ohr. Die Mitarbeiterin des örtlichen Jugendamtes hatte ihre Frage mit einer solchen Lautstärke wiederholt, als vermute sie eine stark schwerhörige und dazu begriffsstutzige Person am anderen Ende der Leitung. Eigentlich hatte ich meinen Tiefpunkt an diesem Morgen bereits hinter mir: streitende, kränkelnde Kinder, die Kita wegen Magen-Darm und Läusen für heute geschlossen und dazu ein drängender Abgabetermin. Aber dieser Anruf war ein neuer Tiefpunkt.

Warum genau ich an diesem Morgen eigentlich beim Jugendamt angerufen hatte, weiß ich heute gar nicht mehr. Alles wuchs mir irgendwie über den Kopf und ich brauchte dringend Hilfe. Aber welche? Und woher? Ich war einfach ratlos, nachdem ich die letzten drei Jahre alleinerziehend und alleinernährend gewesen war. Ausgaben und Aufgaben lasteten auf mir. Nie hatte ich einen Augenblick für mich. Wollte ich schnell mal zum Arzt oder zum Einkaufen oder in die Dusche, die Kinder mussten und wollten immer mit. Nur mühsam konnte ich mich von den Kommentaren anderer Eltern abgrenzen, die mitfühlend seufzten „Also, ich könnte das nicht!“ Ich doch auch nicht, dachte ich dann oft.

Hol‘ dir doch endlich Hilfe, drängten meine Freundinnen seit Monaten. Ruf dort an, die sind für dich da, versicherte mir eine Bekannte, die seit Jahren selbstbewusst, glücklich und alleinerziehend in einer Berliner WG lebt. Unter dem Motto: „Alleinerziehend ist das neue verheiratet.“ Kita, Tagesmutter, Hort – alles war in Berlin für sie komplett kostenlos. Ganz im Gegensatz zu meinem Wohnort in Baden-Württemberg. Bisher war ich stolz gewesen, alles allein zu schaffen, aber jetzt hatte ich das Gefühl: Es geht nicht mehr. Vielleicht könnte ich mich ja so etwas besser vernetzen? Einen Überblick über finanzielle Hilfen bekommen …? Wie sich herausstellte, konnte ich doch noch. Der Anruf beim Jugendamt rüttelte mich auf. War das die Alternative? Sich am Telefon anschreien zu lassen? Bekommen Kinder aus einer Ehe hier die bessere Beratung? Nein, danke! Wahrscheinlich war ich an diesem Tag besonders dünnhäutig, aber sind das nicht die meisten Eltern, die diese Nummern wählen? Väter, die die Klassenfahrt nicht bezahlen können und sich dafür schämen. Mütter und Väter in gewalttätigen  Beziehungen, die  sich endlich einen Ruck geben und den Hörer in die Hand nehmen. Mütter, die aufgrund von Homeschooling und Homeoffice nicht mehr können. Und sollten die Mitarbeiter nicht entsprechend sensibilisiert sein für Eltern in Ausnahmesituationen? Aus dem Gespräch mit dem Jugendamt wurde an jedem Tag jedenfalls nichts mehr.“

P.S. Irgendwann habe ich doch nochmal angerufen und hatte das Glück, eine verständnisvolle und einfühlsame Mitarbeiterin am Telefon zu haben. Und Hilfe haben meine Kinder und ich dann auch bekommen.

bw // Fotos: Adobe Stock, sho

*(Name und Wohnort der Autorin sind der Redaktion bekannt)

Hilfe und Unterstützung gibt es unter anderem auch hier:  

„Wieder die Kurve kriegen“

 

Wiedereinstieg in den Beruf

Krise

1. Juni 2021