Traumwelten, behindertengerecht

StadtLandKind war auf Hausbesuch in den Heidelberger Breidenbach Studios bei Lena Pflüger. Die junge Heidelberger Illustratorin erzählt von ihrem neuen, phantastischen Kinder-Wimmelbuch „Willkommen bei den Wolvertons.“ 

Traumwelten

„Mein Lieblingsautor als Kind war Janosch. Dieser zarte Strich, die zarten Aquarelle. Aber auch der Witz und das versteckt Makabere haben mich schon damals angesprochen.“

Die junge Illustratorin Lena Pflüger sitzt in Heidelberg an ihrem Schreibtisch in den Breidenbach Studios. Wenn Heidelberg irgendwo auch nur einen Hauch von Berlin hat, dann hier. Urban, malerisch, kreativ, etwas heruntergekommen, alternativ.

Hier in der Südstadt trifft sich die Künstlerszene auf einen grünen Tee im Hinterhof-Garten, zwischen Buddha und Bauwagen. Oder zum Arbeiten.

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In dem ehemaligen Industriegebäude befinden sich Ateliers, Werkstätten, Proberäume, Büros und Coworking-Spaces. Regelmäßig werden die entstandenen Produkte präsentiert und dazugekommene Künstler vorgestellt. „Eine Künstlerin? Bin ich bestimmt auch.“ Lena Pflüger überlegt. Aber eigentlich sehe ich mich tatsächlich als Illustratorin,als visuelle Gestalterin. Und eigentlich sind diese Einteilungen lapidar.“

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Wir sind hier, um uns mit Lena Pflüger über ihr neues Kinderbuch unterhalten. „Willkommen bei den Wolvertons“ ist ein Wimmelbuch, ein Bilderbuch ohne Worte für  kleine(re) Kinder. Das großformatige Buch ist zwar in der Tradition der Wimmelbücher gestaltet, kleinteilig, wuselig, voller Geschichten, Anspielungen, Verstecke, aber dennoch aufgeräumt. Wo ist das gewohnte Chaos der Wimmelbücher? „Das Aufgeräumte entspricht meinem persönlichen Empfinden“, erzählt Lena Pflüger, die auf einem englischen Internat zur Schule ging.

Und was passiert so, in der Welt der Wolvertons? Das Buch stellt einen Tag im Leben der Familie dar, vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Auf der ersten Seite eilt Mama Wolverton mit der Aktentasche aus dem Haus, sie ist schon spät dran. Papa Wolverton sitzt noch am Frühstückstisch, das Baby spielt auf dem Boden. Die Nachbarskinder laufen gemeinsam zur Kita, die alleinerziehende Mutter aus dem Nachbarhaus winkt ihrer Tochter nach. Der Nachbar steht in der
Tür und sieht sie an. Er ist sehr verliebt. Das weiß sie aber (noch) nicht. Die Wolvertons leben in einer alltägliche Welt, aber in einer, die ideal ist und Wünsche erfüllt.

„Es war mir wichtig, dass die Welt nicht nur verzaubert ist, sondern auch im Heute verankert ist“, sagt Lena Pflüger.

Man muss schon genau hinschauen, um die Geschichten zu entdecken, aber dann kann man gar nicht mehr aufhören zu schauen, so viele kleine und so überaus sorgfältig gezeichnete Details gibt es zu entdecken. Hinter dem Haus fließt ein breiter Fluss, im Hausboot schläft der bohemienartige Onkel. Erst auf dem letzten Bild – als es Nacht wird und alle anderen ins Bett gehen – ist er richtig munter – und die dritte Weinflasche ist angebrochen. Doch erst mal ist früher Vormittag, der Vater sitzt mit dem Laptop vor dem Eiscafe, das Baby ist in der Krabbelgruppe, die Tochter in der Kita. Der verliebte Nachbar arbeitet als Erzieher in der Kita.

Mittagspause machen alle gemeinsam im „Baumhaus-Café.“ Es ist natürlich integrativ, damit auch das Nachbarmädchen im Rollstuhl selbständig dabei sein kann … eine Riesenrutsche führt in ein traumhaftes Bällebad, da will man sich als Betrachter sofort reinwerfen und in die Bälle wühlen.

„Ein Sehnsuchtsort – auch für mich“. Die Autorin ist nur halbernst.

Zu jeder Figur, zu jeder Situation kann Lena Pflüger Geschichten erzählen. Am Ende weiß man so viel über die Familie, dass sie einem fast vertraut ist. Es gibt zwei Figuren, die immer gemeinsam auftreten. Ob sie wohl ein Paar sind?

Baby Wolverton erkennt man an seiner Windel. Zwei Kitakinder streiten sich um einen Schuh – aber das ist auch beinah die einzige Szene, in der gestritten wird. Meistens lächeln die kleinen „Wolfsmonster“. Selbst der schläfrige (betrunkene?) Bettler lächelt – „ein Zugeständnis an den Bilderbuchmarkt“, erzählt die Illustratorin. „In meinen ersten Entwürfen sahen die Figuren viel gruseliger aus, sie zeigten Zähne und waren auch mal richtig grimmig.“ Was auffällt: die Wolvertons sehen sich immer an. Einer hat den anderen im Blick und passt auf. Auch wenn der eine im Café sitzt und die andere im Haus am Schreibtisch sitzt.

Während Lena Pflüger in der „zartgestrichelten Welt“ von Janosch „zu Hause ist“, konnte sie als Kind mit Maurice Sendak, auf den sie heute oft angesprochen wird – tatsächlich erinnern die skurrilen Traumlandschaften ihrer früheren Werke stark an Sendak und auch die Wolvertons haben Anspielungen an die wilden Kerle – „rein gar nichts anfangen. Die wilden Kerle waren mir zu gruselig. Max war mir viel zu ungezogen. Und die Vorstellung, ohne Essen ins Bett zu müssen, schrecklich.“

Bei den Wolvertons muss niemand ohne Essen ins Bett. Bevor es Nacht wird, feiern alle ein Straßenfest. Es gibt Himbeerlimonade und Cupcakes, die Kinder toben. Der verliebte Nachbar trägt das Mädchen aus dem Rollstuhl ins Bett. Spätestens jetzt muss sie es doch merken, wie verliebt er ist, denkt man.

Ob es ein zweites Wolvertons-Buch geben wird? „Ich hoffe doch“, sagt Lena Pflüger und lacht. „Geschichten hätte ich jedenfalls genug“.

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Lena Pflüger wuchs in Deutschland und England auf und studierte Kunst und Design am North Oxfordshire College of Art and Design in Banbury sowie Illustration an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg. Heute lebt sie in der Heidelberger Altstadt und arbeitet als freischaffende Illustratorin. Bekannt wurde Pflüger durch die „Krickel-Krakel“-Bücher und das Bilderbuch „Wo bin ich nur?, fragt Kater Murr (geschrieben von Kristina Dunker).Willkommen bei den Wolvertons“ ist Pflügers erstes Wimmelbuch.

 

lenapflueger.de

bw// Fotos: sho

16. September 2017
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