Das Gesellschaftsspiel erfuhr in Zeiten der Pandemie ein echtes Comeback. Spielehersteller verzeichnen zweistellige Umsatz-Zuwächse, beliebte Klassiker sind ausverkauft, Spiele-Regale in öffentlichen Bibliotheken leergefegt. Dabei sind nicht nur Kinderspiele gefragt, auch Erwachsene entspannen sich gerne zu zweit und im Freundeskreis bei einem analogen Brettspiel. Besonders im Trend: kooperative Spiele, bei denen man als Team gemeinsam eine Aufgabe meistert. Die Familientherapeutin und Leiterin der Brettspielakademie, Christina Valentiner-Branth, erläutert im Interview, wie dieser Trend erklärbar ist und weshalb analoge Spielzeit so wertvoll ist.
Sehr geehrte Frau Valentiner-Branth, wie erklären Sie, dass das Spielen von Gesellschaftsspielen so stark zugenommen hat?
Spiele geben uns all das, was wir viele Monate entbehrt haben: Spaß, Unterhaltung, Ablenkung, große Gefühle – und all das ganz analog. Wir sind direkt und echt miteinander im Kontakt. Wir fühlen, fluchen, freuen uns über Siege und ärgern uns über unverdientes Pech. Das alles in einem Spielraum losgelöst von der Realität. Wir vertiefen uns in eine Fantasiewelt, sei es als Ritter im Mittelalter oder als Siedler auf unbekannten Inseln. Wir bestehen Abenteuer, gegeneinander oder als Team gegen das Böse, und dabei vergessen wir für einen Moment das reale Weltgeschehen. Besonders wertvoll dabei ist das Gefühl der Selbstwirksamkeit: Im Spiel kann ich etwas bewirken und bin handlungsfähig. Ein gutes Gegenmittel gegen das Gefühl der Machtlosigkeit, das einen ja in den letzten Monaten schnell befallen konnte.
Was lernen Kinder, wenn sie miteinander spielen?
Wenn Kinder miteinander spielen, dann üben sie wichtige soziale und emotionale Fähigkeiten. Sie konzentrieren sich, sie lernen, Frustrationen auszuhalten, sie erfassen neue Regeln und lernen, diese richtig anzuwenden. Impulskontrolle, flexibles Denken und ein gutes Arbeitsgedächtnis sind das Fundament, auf dem überhaupt erst schulisches Lernen möglich wird. Wer viel spielt, dem fällt Fair Play leicht und der kann Kompromisse aushandeln und ertragen. Und deshalb ist jedes gute Gesellschaftsspiel auch gleichzeitig ein Bildungsmedium.
Woran erkenne ich ein gutes Spiel?
Es muss vor allem Spaß machen! Und Spaß macht alles, was mich nicht unter- oder überfordert, es muss meinen eigenen und den Geschmack der Gruppe treffen. Besonders beliebt sind im Moment kooperative Spiele, in denen die Gruppe als Team gemeinsam eine Challenge besteht. Das stärkt auch das Gemeinschaftsgefühl einer Familie. Außerdem werden immer mehr Zwei-Personen- Spiele gespielt, denn auch erwachsene Paare haben – erschöpft von zahllosen Videomeetings – in den letzten Monaten wieder verstärkt diese Form der analogen Unterhaltung für sich entdeckt.
Was raten Sie Familien, die bisher keinen richtigen Zugang zu Brettspielen hatten?
Spielen Sie! So oft es geht. Alle schalten ihr Handy stumm und lassen sich auch ansonsten nicht dabei stören. Eltern sollten immer ein positives Erlebnis mit dem „Zeugs in der Schachtel“ verbinden, das vielleicht am Anfang nicht ganz regelkonform genutzt wird. Ab dem Grundschulalter fordern die meisten Kinder dann, dass sich alle Beteiligten an die Spielregeln halten, und üben, Frustrationen auszuhalten.
Wird das gemeinsame Spielen auch nach der Pandemie bleiben?
Da bin ich mir sicher! In den ersten Wochen des Lockdowns vor einem Jahr habe ich viele Rückmeldungen bekommen, dass Eltern auf der Suche nach Zerstreuung eine staubige Spieleschachtel aus dem Schrank genommen haben und völlig überrascht und begeistert waren, wie viel Spaß es ihren Kindern und ihnen gemacht hat. Und sich dann Nachschub besorgt haben. bw // Foto: privat
Die Brettspielakademie
Um die Wichtigkeit von Gesellschaftsspielen als Bildungsmedium zu unterstützen, bietet die Brettspielakademie viele Fortbildungen im pädagogischen und therapeutischen Kontext an. Von kurzen Online-Workshops zu Spezialthemen wie „Bilderbuchkino und Spiel“, „Spielend fit in Mathe“ oder „Spiele in Therapie und Beratung“ über Präsenz-Seminare bis zur Weiterbildung zum Brettspielpädagogen gibt es für jeden Zweck das passende Angebot. Für Lehrkräfte an Grundschulen ist besonders das Programm „Spielstarke Schule“ interessant, in dem es um den Nutzen von Gesellschaftsspielen im Unterricht geht.
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