In Deutschland ist jeder Fünfte mit Kindern alleinerziehend. Schon vor der Corona-Pandemie war die Situation schwierig, die Lockdowns haben viele von uns an ihre Grenzen gebracht. Kitas waren geschlossen, Schulen auch, die Großeltern wohnen weit weg oder in der Nähe und sind doch unerreichbar. Alleinerziehende sind von morgens bis abends für alles verantwortlich: für ihre Kinder, für ihren Job, für den Haushalt. Wir sagen: Ihr macht das toll! Und: Es gibt Hilfe!
Ein neues Projekt in Schwetzingen, gefördert vom Europäischen Sozialfonds, begleitet arbeitslose Mütter und Väter beim Wiedereinstieg in den Beruf. Wir haben uns mit Julia Vettermann, Systemischer Coach und Projektmitarbeiterin des Angebots „BuF“, abgekürzt für Beruf und Familie, unterhalten. Gemeinsam mit Gabriele Roller betreut sie das über sechs Monate laufende Projekt, das sämtliche Bereiche der beruflichen und persönlichen Lebensumstände erfasst und auffängt.
Liebe Frau Vettermann, das Angebot „BuF“ hört sich spannend an. An wen richtet es sich?
In erster Linie an alleinerziehende Mütter und Väter, aber auch an alle anderen Langzeitarbeitslosen. In erster Linie betreuen wir Frauen – mit und ohne Migrationshintergrund – Ende 20 bis Mitte 50.
Gibt es einen bestimmten beruflichen Hintergrund der Teilnehmer?
Nein. Hier ist alles dabei, von Akademikerinnen bis hin zu Frauen, die in Syrien ein Jahr die Schule besucht haben. Wir holen die Mütter und Väter da ab, wo sie zurzeit stehen, und finden gemeinsam mit ihnen heraus: Was will ich eigentlich noch erreichen? Wo will ich im Leben noch hin und vor allem: Was waren denn eigentlich mal meine Träume? Viele Menschen sind so lange arbeitslos, dass sie große Angst vor dem Arbeitsleben entwickelt haben und sich Sorgen machen, ob sie sich das Arbeitsleben und den Druck überhaupt noch zutrauen.
Dann geht das Projekt ja sehr individuell auf die persönliche und familiäre Situation ein?
Ja, am Anfang steht erst einmal die Frage: Was braucht dieser Mensch? Einen Sprachkurs? Vielleicht ärztliche oder therapeutische Hilfe? Oder muss erst einmal die häusliche Situation geklärt werden? Sprich: Wer kümmert sich um die Kinder, wenn die Frauen wieder arbeiten müssen?
Das ist bestimmt ein großer Schritt für viele Mütter, die lange zuhause waren?
Auch das ist unterschiedlich, aber tatsächlich sind diese Fragen und der Druck, den die Frauen fühlen – Können die Kinder auch mal eine Stunde allein bleiben? Vertraue ich der Ganztagsbetreuung? Habe ich überhaupt einen Hortplatz? Was sagt mein Mann, wenn ich nicht zum Mittagessen zuhause bin? – die größte Schwierigkeit. Beispielsweise haben wir eine Mutter mit sieben Kindern betreut. Alle noch im Kita- und Grundschulalter. Das ist natürlich sehr schwierig zu organisieren. In manchen Fällen haben die Kinder selbst große Probleme, sind krank oder haben Schulschwierigkeiten. Da versuchen wir natürlich auch Lösungen zu finden. Erst wenn all diese Fragen verlässlich geklärt sind, beginnt die Arbeit Richtung beruflicher Entwicklung.
Wie reagieren die Teilnehmer auf das Angebot?
Natürlich auch sehr unterschiedlich. Es gibt Mütter, die sind unglaublich motiviert und auch sehr dankbar, dass auch mal jemand etwas für sie tut. Es gibt aber auch viele, die sehr ambivalent sind. Ohne Selbstbewusstsein. Voller Sorgen und Angst, es nicht zu schaffen.
Den Wiedereinstieg in den Beruf nicht zu schaffen?
Absolut. Und das ist auch nachvollziehbar. Das Arbeitsleben verändert sich so schnell, oft müssen sie nochmal ganz von vorn anfangen. Aber es gibt in Deutschland so viele tolle und nachhaltige Förderprogramme. Ich staune ab und zu selber, was alles möglich ist.
In welche Bereiche werden die Teilnehmer anschließend vermittelt?
Ganz unterschiedlich. Viele in der Pflege, aber auch als ErzieherIn, im Büro, in einer Werkstatt … wichtig ist, dass die Tätigkeit zu dem Menschen passt. Es geht ja nicht darum, irgendwo schnell einen Aushilfsjob anzunehmen. Sondern wirklich zu den Anfängen zurückzuschauen und zu überlegen: Was wollte ich eigentlich mal? Was waren meine beruflichen Träume? Und wie kriege ich jetzt wieder die Kurve dahin? Denn dann klappt es auch langfristig mit einem Neustart.
bw // Fotos: GMS Training, AdobeStock
Mehr zu „BuF“ und dem Bildungsträger GSM Training & Integration gibt es bei den örtlichen Jobcentern und unter: schwetzingen-buf@gsm-group.de
Alles zu Julia Vettermann unter lifecoach- hd.de
Weitere Angebote unter: wiedereinstieg- me.de/vereinbarkeit-familie-beruf/alleinerziehende