Ben

„In den ersten Jahren nach Bens Geburt war uns überhaupt nicht bewusst, dass er eine Beeinträchtigung hat. Uns ist zwar aufgefallen,  dass ihm, im Gegensatz zu seiner großen Schwester, das Kauen von festem Essen schwerfiel, aber die Ärzte meinten, er sei ein Junge und die seien nun mal langsamer. Als er zwei Jahre alt war, wurde dann seine geistige Behinderung festgestellt. Uns fällt das bis heute nur in direktem Vergleich mit Kindern seines Alters auf. Für uns ist Ben ein ganz normales Kind. Er ist ein richtiger Sonnenschein, der Herzen öffnet, er ist voller Empathie für andere Menschen, auch für Tiere und Pflanzen. Er nimmt Dinge wahr, die wir überhaupt nicht sehen. Wir lernen die Welt durch ihn ganz anders und neu kennen, das ist ein großes Geschenk.

Freundschaften mit Gleichaltrigen zu schließen wird immer schwieriger für Ben, je älter er wird. Seine Klassenkameraden sind schon in der Pubertät und er interessiert sich noch für „Feuerwehrmann Sam“ und spielt mit Autos. Das wird von der Schule aber sehr gut aufgefangen; wir sind generell sehr glücklich mit seiner Schule! Das Thema Inklusion ist hier sehr wichtig und Ben ist wunderbar integriert. Er hat auch viele Interessen und Hobbys, er liebt Motorradfahren und ist bei der Freiwilligen Feuerwehr. Für ein Kind wie Ben ist unser dörflicher Wohnort ein großes Glück. Er kann sich im Ort frei bewegen, alle kennen ihn und schauen nach ihm. Der erste Lockdown und die Einschränkungen durch die Pandemie waren für Ben auch deshalb so schwierig, weil er so aktiv ist. In den ersten Wochen hat er sehr viel geweint. Er hat die Schule sehr vermisst, seinen Freund, den Sportverein und all die Dinge, die ihm wirklich wichtig sind.

„Alles, was ihm lieb und teuer ist, war plötzlich weg“

Ben liebt seine Großeltern und es war schlimm, als er sie plötzlich nicht mehr sehen durfte. Man kann wirklich sagen: Alles, was ihm lieb und teuer war, war plötzlich weg. Diesen Schmerz konnten wir ihm auch nicht abnehmen. Ich denke im Nachhinein, dass sich niemand wirklich Gedanken über die Situation behinderter Menschen gemacht hat. Kinder wie Ben sind viel mehr auf Routinen angewiesen als andere Kinder. Alles muss nach festen Regeln ablaufen, damit sie sich wohlfühlen und stabil sind. Ich würde mir für die Zukunft mehr Öffentlichkeit dafür wünschen. Und mehr Verständnis. Deshalb bin ich so froh, dass ich vor einigen Jahren unseren Verein „Wir DABEI!“ entdeckt habe, seitdem arbeite ich ehrenamtlich mit. Wir bieten Seminare für Schulen und Kindergärten, helfen Eltern, die anrufen und sagen: ‚Wir können nicht mehr!‘

In Deutschland hat echte Inklusion noch einen langen Weg vor sich. Behinderung steht immer noch zu sehr im Abseits, sie wird noch immer als etwas „Unnormales“ wahrgenommen, etwas Fremdes, vor dem man Angst haben muss. Je mehr Kinder mit Behinderung in eine normale Schule gehen, umso selbstverständlicher wird es. Um Inklusion wirklich zu leben, müssten die Schulen ganz anders ausgestattet werden und das Thema viel stärker Teil der Lehrerausbildung werden.“

Familie Christmann aus Rimbach mit Ben, 13 Jahre alt

Protokolle: bw // Fotos: mschi

4. November 2020