Die Mannheimer Corona-Studie unter Leitung von Prof. Annelies Blom lieferte täglich Berichte zum Leben im Ausnahmezustand. Die Antworten der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer zeichnen ein aktuelles Stimmungsbild der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie in Deutschland. Ein Team von Sozialforschern der Universität Mannheim untersuchen zudem die sozio-ökonomischen Unterschiede in der Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung der Bevölkerung.
Sehr geehrte Frau Prof Möhring, vom 20. März 2020 bis zum 10. Juli 2020 konnten wir täglich auf uni-mannheim. de/gip/corona-studie/ lesen, wie es uns geht. Gemeinsam mit anderen Sozialforschern haben Sie täglich untersucht, wie sich die Corona-Einschränkungen auf die unterschiedlichen Lebensfelder ausgewirkt hat. Uns interessiert natürlich vor allem die Situation der Familien. Wie ging oder geht es den Familien in Deutschland?
Das hängt und hing ganz stark von der Familienform ab und von den Möglichkeiten, Familie und Erwerbsarbeit unter einen Hut zu bekommen. Bei der Beschäftigungssituation seit Beginn der Corona-Krise sehen wir starke Unterschiede nach Bildungs- und Einkommensgruppen. Deutlich mehr Personen mit hohem Bildungsabschluss und gutem Verdienst arbeiten im Homeoffice, Personen mit niedrigem Bildungsabschluss sind dagegen stark von Freistellungen und Kurzarbeit betroffen. Es war spannend zu sehen, wie unterschiedlich Männer und Frauen die Zeit des Lockdowns wahrgenommen haben. Während es für Mütter eine Zeit hoher Belastungen war, empfanden es Väter teilweise als sehr positiv, mehr Zeit für die Kinder zu haben. Väter steigerten ihren Anteil an der Familienarbeit deutlich.
Es kann also nicht von der viel zitierten Re-Traditionalisierung der Familienmodelle gesprochen werden. Oder doch?
Das lasst sich aufgrund der Datenlage wirklich nicht sagen. Ich finde es auch schwierig, hier eine Schwarz-weiß-Antwort zu formulieren. Unsere Ergebnisse zeigen ein deutlich facettenreicheres Bild. Wenn wir die geleisteten Arbeitsstunden mit einer Auswertung von 2018 vergleichen, so hat sich die Arbeitsleistung der Väter tatsächlich etwas erhöht. Aber auch hier muss man die familiäre Situation einbeziehen. Wer arbeitet vor Ort, wer im Homeoffice ect. Man kann feststellen, dass sich die Arbeitsleistung der Mütter während des Lockdowns nur schwach erhöht hat, das lag aber daran, dass Frauen sowieso schon den Hauptteil der Arbeiten erledigt haben. Es gab hier also nicht so viel Luft nach oben, wie bei den Männern bzw. Vätern.
Die These von Jutta Allmendinger trifft also nicht zu?
Bei Paaren, die vorher schon ungleich gelebt haben, die Frau also nur Teilzeit oder überhaupt nicht in Erwerbsarbeit tätig war, kam es natürlich zu einer Re-Traditionalisierung. Bei egalitär lebenden Partnerschaften stimmt diese These nicht. Was aber zutrifft: Frauen reduzieren häufiger ihre Arbeitszeit, um ihren Anteil an der Sorgearbeit noch weiter zu erhöhen. Das ist natürlich kritisch zu sehen.
Welches Ergebnis der Studie hat sie am meisten überrascht?
Dass 98 Prozent aller Eltern über einen so langen Zeitraum so massive Belastungen hingenommen haben und sich arrangiert haben, ohne „sich zu beschweren“. Obwohl wir bei Müttern eine Abnahme der Zufriedenheit mit Arbeit und Familie im Vergleich zu der Zeit vor Corona beobachten. Das sehen wir als außergewöhnlich an.
Von einzelnen Familienformen – wie beispielsweise Alleinerziehenden – mal ausgenommen …
Hier hat sich das Gegenteil bemerkbar gemacht. Die Unzufriedenheit, die Ängste und Stressgefühle haben sich in dieser Gruppe deutlich gesteigert. Speziell zu dem Zeitpunkt im April, als klar wurde, dass Betreuungseinrichtungen erst einmal nicht mehr „normal“ öffnen werden. Alleinerziehende waren eine der Gruppen mit den höchsten Belastungs- und Stresssignalen.
Stärken die Daten Ihrer Studie die Aussage, dass die Krise eine Chance für Familien ist?
Ich hoffe es! Was ich vor allem hoffe, ist, dass sich in Deutschland Homeoffice stärker durchsetzen wird und wir wegkommen von der Präsenzkultur. Was die funktionale Aufteilung innerhalb der Familien betrifft, so kann man von einem gewissen Effekt ausgehen … wir Sozialwissenschaftler wissen aber, dass sich eingespielte Verhaltensweisen und Normen sehr, sehr langsam ändern.
Interview: bw // Foto: Uni Mannheim
*uni-mannheim.de/gip/corona-studie