Gel-Nägel mit 12. Diät mit 8. Lieblingshobby mit 11: Schminktutorials. Alle Mädchen wollen heute aussehen wie alle auf Instagram. Gefährlicher Trend? Oder ganz normal? Was machen Portale wie Instagram und YouTube mit Mädchen, die mit zehn Jahren schon Angst haben, „nicht perfekt zu sein“?
„Also hier ist es noch ein bisschen glowy, aber jetzt mit dem Setting trocknet das gut ab und nach dem Finish muss ich echt sagen – mega! Ich swatche euch einmal die Farbe ins Bild.“ Fremdsprache? Nein. Ein ganz normales YouTube-Makeup-Tutorial. 1,5 Millionen Mal angesehen und nur eins von Tausenden dieser Videos, in denen junge Mädchen und Frauen Make-up testen, sich schminken und dabei Produkte nutzen, von denen die meisten Frauen über 40 noch nie etwas gehört haben. Schmink-Tutorials auf YouTube oder Instagram sind eine bizarre Parallelwelt, in der sich ganz normale junge Mädchen unzählige Schichten Foundation, Make-up, Highlighter und diverse Farben übereinander malen und das Gesicht so lange zurecht contouren, bis es nicht mehr aussieht wie das eigene Gesicht, sondern ein ganz anderes. Schöneres? Für die Kosmetikbranche sind diese Vloggerinnen wohl das Beste, was ihr jemals passieren konnte. Werbung wie von selbst. Gerichtet an eine Zielgruppe, die eigentlich noch viel zu jung für die ganze Schminkerei ist und oft noch nicht mal Deo braucht, aber jetzt statt auf den Spielplatz lieber zum Drogeriemarkt geht und dort immer mehr Produkte findet, die auf ein besonders junges Publikum zugeschnitten sind. Verpackungen mit kindlichen Motiven, grellsten Farben und Bonbon-Geruch locken Zehnjährige.
Ein Fünftel der 7-Jährigen will abnehmen
Nun könnte man sagen: Alles nicht so schlimm. Das verwächst sich. Wirklich? Oder wächst hier vielleicht eine Generation von jungen Menschen heran, die glaubt, dass sie ohne mehrere Schichten Make-up hässlich sei? Und das in einem Alter, in dem von Alterserscheinungen noch nichts zu sehen ist. Eine Generation von jungen Menschen, die selbstverständlich Selfies schießt, und wenn das mit dem Make-up doch noch nicht so ganz perfekt gelungen ist, dann erstrahlt das Gesicht spätestens nach zwei, drei Filtern doch noch in makellosem Glow. Likes auf Insta garantiert.
2016 veröffentlichte „vice“ das Ergebnis einer Studie der britischen Jugendhilfsorganisation „Girlguiding“, die mehr als nachdenklich macht. Die Umfrage, an der rund 1600 Mädchen und junge Frauen im Alter von sieben bis 21 Jahren teilnahmen, stellte fest, dass schon im Alter von sieben Jahren rund ein Fünftel der Mädchen findet, dass sie abnehmen wollen, während ein Viertel von ihnen das Bedürfnis verspüre, „perfekt zu sein.“ Im Alter von elf bis 16 Jahren schämen sich 42 Prozent der Mädchen für ihr Aussehen. Siebenundvierzig Prozent der 11- bis 21-Jährigen glauben, dass ihnen ihr Aussehen Chancen verbauen würde, und 66 Prozent der 17- bis 21-Jährigen sind der Meinung, dass sie nicht hübsch genug sind. Und so ist es kaum verwunderlich, dass sich nicht nur auf YouTube, sondern auch auf offener Straße immer mehr maskenhafte Mädchengesichter betrachten lassen. Junge Mädchen, die sich zentimeterlange, schwarze Büschel an die Lider kleben lassen. Junge Mädchen, die mit noch längeren, nadelspitzen Gelnägeln in unterschiedlichen Farbtönen in Lichtgeschwindigkeit über ihre Smartphones klackern. Junge Mädchen, die ihre Augenbrauen mit Permanent-Make-up in dicke, schwarze Balken verwandeln und dünne Haare mit Verlängerung und Farbe zur dicken Mähne kaschieren. Bis sie aussehen wie ihre Insta-Vorbilder.
Jede Generation hat ihren Style, mit dem sie sich abzusetzen versucht von dem der anderen zuvor. Abgrenzen von den „Alten“, einen eigenen, individuellen Style finden und gleichzeitig zu einer Gruppe Gleichgesinnter gehören – das wollen fast alle Teenager. Nur geht es bei der Selbstoptimierung durch Make-up und künstliche Hilfsmittel offensichtlich gar nicht um Abgrenzung oder Individualität, sondern um das Gegenteil. Alle wollen aussehen wie alle. Kim Kardashian hat keine einzige Falte im Gesicht. Dabei geht sie auf die 40 zu und ist gleichzeitig Vorbild für 17-Jährige. Aber was passiert denn, wenn die heute 17-Jährigen später feststellen, dass die Makeup-Schichten sich ungut in den ersten Fältchen sammeln, dass das Puder auf reifer Haut nicht mehr hält, man mit drei Zentimeter langen Fingernägeln kein Baby wickeln kann, geschweige denn Hausarbeit erledigen und irgendwie auch die Zeit fehlt, sich morgens 45 Minuten lang zu schminken und die Haare zu glätten? Wird jemand, der sich jahrelang bis zur gefühlten Perfektion optimiert hat, den Weg zurückschaffen? Zurück zu sich selbst?
„Schwierig“, sagt eine, die sich bestens auskennt mit alle dem, was Frauen schöner macht. Sie hat die Schönheit zum Beruf gemacht. Lisa Hilbert, Makeup- Artist und Nageldesignerin, Mutter zweier Kinder, arbeitet im Kosmetikstudio „Verschönerei“ in Weinheim. StadtLandKind. hat sie und ihre Kolleginnen im Kosmetikstudio besucht und schon nach wenigen Sätzen wird klar: Selbst jene, die ihr Geld damit verdienen, andere Menschen schöner zu machen, jene, die überhaupt kein Problem mit künstlichen Haaren, Fingernägeln, Wimpern und Co haben, sehen den Trend mit Unbehagen. „Die Mädchen, die zu uns kommen, werden immer jünger. Sie wollen auf Biegen und Brechen lange Nägel haben. Mit 17 dann gern tätowierte Augenbrauen und alle wollen sie lange Haare. Sie schminken sich bis zu einer Stunde lang und eifern ihren Schönheitsidealen aus dem Internet nach.“
„Du bist schön, genauso wie du bist“
Kritisch findet Lisa, dass die Mädchen dabei letztlich ein Trugbild von sich selbst schaffen, statt ihren eigenen Typ zu finden. Und wenn die älter werden? „Der Wunsch nach Botox geht zurück“, sagt Lisa. Immerhin. „Viele haben offenbar festgestellt, dass, wenn die eine Falte lahmgelegt ist, eben eine andere kommt“, sagt sie schmunzelnd. Wer das aufhalten will, brauche immer mehr, bis das ganze Gesicht zur Maske ohne Mimik wird. Ein Trend, der nicht nachlässt, ist der Wunsch nach prallen Lippen. Sich die Lippen aufspritzen lassen wollen viele, auch schon junge Mädchen. Für die Kosmetikerinnen ist das alles ein schmaler Grad. Einerseits verdienen sie Geld damit, andererseits fühlen sie sich verantwortlich. „Unter 16 mache ich überhaupt keine künstlichen Nägel“. Aber es gibt genügend Mütter, die das unterstützen und dann gemeinsam mit den Kindern kommen. Lisa hat selber Gelnägel. Sehr dezent, sehr gepflegt. Was spricht dagegen, wenn junge Mädchen das tragen? „Alles.“ Mit jedem Mal würde der Nagel angefeilt oder mit Lösungsmittel getränkt. „Die jungen Mädchen sind im Wachstum. Ihre Hände verändern sich, die Nägel wachsen noch. Kunstnägel greifen in diesen Prozess ein.“ Lisa und ihre Kolleginnen wissen auch, selbst wenn sie die 16-Jährige mit dem Wimpern- oder Nageldesignwunsch wegschicken, irgendjemand wird sich finden, der den Wunsch erfüllt. Schließlich wird mit all dem auch sehr viel Geld verdient. Nagelstudios finden sich seit einigen Jahren an jeder Straßenecke. Asiatische Ketten locken Teenies mit Dumpingpreisen und Schülerabos. Wer das einmal angefangen hat, muss aber immer wieder hin. Das wird auf Dauer teuer. „Die Mädchen geben oft ihr gesamtes Geld für Haare und Nägel aus.“
Es sind auch die unrealistischen Vorstellungen, die es den Kosmetikerinnen schwer machen. „Da kommen Mädchen mit Fotos aus dem Internet, die bearbeitet sind und mit zig Filtern versehen, und wollen so aussehen.“ Es sei nicht einfach, ihnen klarzumachen, dass das in der Realität so nicht aussehen wird. „Vielleicht heute, aber schon nächste Woche nicht mehr.“ Lisa und ihre Kolleginnen bemühen sich dann, Alternativen anzubieten. Ihnen klarzumachen, dass sie sich nicht hinter maskenhaftem Make-up und falschen Wimpern verstecken müssen. „Ich möchte den Mädchen sagen: Schätz dich doch mal.“ Das wäre eigentlich auch die Botschaft, die Eltern ihren Kindern vermitteln sollten. Viele tun das sicherlich. Aber nicht alle.
„Vor einiger Zeit hatten wir hier einen Kindergeburtstag“, erzählt Lisa. Ein Vater sei mit seiner Tochter und ein paar Freundinnen gekommen. Zum Haare- und Nägelmachen. Die Mädchen waren 13.“ Sie erzählt das wertfrei. Eine Ausnahme? Nein. Zahlreiche Kosmetikstudios bieten Kindergeburtstage explizit auf ihrer Homepage an. Für Kinder ab 10 Jahren. Ein Alter, in dem Kindern bei Geburtstagen normalerweise Topfschlagen oder Stopp-Tanz noch Freude bereitet. Und hier kann dann eben niemand mehr das Internet oder die sozialen Netzwerke verantwortlich dafür machen, dass jungen Mädchen ein künstliches Schönheitsbild vermittelt wird. Hier sind es dann definitiv die Eltern, die mit einem solchen Event letztlich vermitteln: Du musst dich verschönern lassen. Statt zu sagen: Du bist schön. So wie du bist. Und vielleicht noch einen viel wichtigeren Satz dazu: Äußerlichkeiten sind gar nicht so wichtig!
shy // Fotos: Adobe Stock