„Wir machen weiter“

Immer mehr Kinder tragen den Klimaschutz in die Familien. Und was in den Familien im Kleinen beginnt, geht draußen auf der Straße weiter. Mit den Schulstreiks „Fridays for Future“ treiben die Jugendlichen die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik vor sich her. Von den Eltern bejubelt, von den Politikern gemaßregelt, von den Schulen bestraft. „Fridays for Future“ ist die große Bewegung des Jetzt. Das Ziel: die Welt retten. Solange es noch geht. Ist das nicht verrückt: Ein einzelnes, dazu noch behindertes Mädchen hat es geschafft, dass das Thema Klimapolitik endlich ernst genommen wird. Nach ihrem Vorbild bestreiken Tausende Schüler auf der ganzen Welt freitags ihren Schulunterricht. Unpolitisch? Egoistisch? Konsumverrückt? Seitdem unsere Kinder für uns alle auf die Straße gehen, hat sich der Blick auf diese Generation komplett gewandelt. Politisch aktiv, eloquent, verantwortungsvoll, den Blick über den eigenen Tellerrand gerichtet und bereit die Konsequenzen für ihr Handeln zu tragen. Sie tun das, was wir als Eltern längst hätten tut sollen. Sie erledigen das, was eigentlich Aufgabe aller Eltern wäre: unseren Kindern eine Zukunft bieten. Wir haben drei Protagonisten der Klimastreiks in Mannheim, Heidelberg und Weinheim getroffen. Anna Helfrich ist 17 Jahre alt und organisiert maßgeblich die Demonstrationen in Heidelberg. Iván Furlan Cano (18) und Merle Wagner (15) engagieren sich in Mannheim und Weinheim.

Seit wann engagiert ihr euch für „Fridays für Future“?

Anna: Ich engagiere mich seit Dezember 2018. Mein Opa hatte mir einen Zeitungsartikel geschickt und ich war dann bei einer der allerersten Demos in Karlsruhe dabei. Das hat mich so überzeugt, dass ich das auch für Heidelberg umsetzen wollte. Ich habe dann eine WhatsApp-Gruppe gegründet und sofort haben sich weit über 100 Jugendliche gemeldet.

Merle: Seit Januar. Ich organisiere vor allem die #CleanUps, die bis jetzt zwischen den Demos stattgefunden haben, damit Fridays for Future bis zur nächsten Demo nicht in Vergessenheit gerät.

Wir machen weiterIván: Ich bin seit Ende Januar dabei und organisiere die Streiktermine in Mannheim.

Ist das euer erstes politisches Engagement?

Merle: Ich war vorher im Umweltschutz aktiv, ich hatte an meiner Schule eine Umweltgruppe gegründet. Fridays for Future ist die logische Fortführung dieser Anfänge.

Iván: Ich bin schon lange politisch aktiv, war zwei Jahre im Jugendgemeinderat und engagiere mich auch weiter, jetzt parallel in verschiedenen Gruppen wie die „Seebrücke“.

Was genau sind eure Aufgaben?

Iván: Wir treffen uns wöchentlich – außerhalb der Schulzeit – sonntags und organisieren alles. Wir melden die Demos an, organisieren die Kooperationsgespräche mit der Stadt, erstellen und verteilen die Werbung, akquirieren Redner, organisieren Lautsprecherwagen und vieles mehr. Ein Vorwurf, neben viel Beifall, der
Öffentlichkeit betrifft den Zeitpunkt der Demonstrationen.

Warum muss es in der Schulzeit sein?

Anna: Weil wir nachmittags keine Aufmerksamkeit bekämen. Vielleicht würde man uns loben, aber vor allem belächeln. Erst diese Regelverletzung bringt Öffentlichkeit.

Merle: Ich persönlich finde die Diskussion darüber unnötig. Die Frage sollte doch eher sein: was haben die Politiker verbockt, dass wir jetzt Schule schwänzen müssen, um sie zu aufzurütteln?! Außerdem: Ich habe schon oft Müllsammelaktionen organisiert und angekündigt, es kamen auch richtig viele Leute, darüber wurde aber nie in den Medien berichtet. Ohne Regelverletzung gibt es keine Aufmerksamkeit!

Die zweite Demonstration in Heidelberg wurde ganz kurzfristig abgesagt. Warum?

Anna: Der Rektor eines Heidelberger Gymnasiums hat sich beim Ordnungsamt beschwert. Wir wurden dann einbestellt und haben unerfüllbare Auflagen bekommen. Unter anderem hätten wir bei allen Teilnehmern die schriftliche Entschuldigung kontrollieren sollen. Aber seitdem hat es viele Gespräche mit den Schulleitern und dem Ordnungsamt gegeben und inzwischen ist die Stadt deutlich kooperativer.

„Wir sind die Resonanz der Wissenschaft“ 

Das sehen nicht alle Schulen so gelassen. In Bayern hat ein Rektor mit Anzeigen gedroht. Das kann schnell zu Bußgeldforderungen bis zu 350 Euro führen. Würdet ihr trotzdem weiter demonstrieren?

Anna: Natürlich! Ich denke nicht, dass es soweit kommen wird. Ich würde aber trotzdem weitermachen.

Iván: Ich auch, aber man müsste diese Bußgelder dann unbedingt anfechten. Es wäre ja komplett ungerecht, wenn dann nur noch Jugendliche demonstrieren könnten, deren Eltern das Bußgeld bezahlen können.

Merle: Also ich müsste das von meinem Taschengeld bezahlen. Ich könnte dann definitiv erst einmal nicht mehr dabei sein.

Wie lebt ihr privat die Ziele von Fridays vor Future?

allgemeine, verhaltene Heiterkeit 

Merle: Diese Frage kommt immer …

Anna: Ich finde die Frage schwierig, denn sie impliziert ja, dass die Verantwortung komplett auf den Verbraucher abgewälzt wird. Nicht jeder kann sich ein klimaschonendes Leben leisten. Fair-Trade-Klamotten zu tragen und im Bio-Supermarkt einzukaufen … ich persönlich lebe schon lange vegetarisch und fahre eigentlich immer Fahrrad. Bei Flugreisen komme ich in eine Zwickmühle, meine Familie fliegt zwar nie in den Urlaub, aber ich war schon zwei Mal in Russland zum Schüleraustausch.

Merle: Ich versuche eigentlich alles umzusetzen, was wir fordern. Ich habe mir zum Beispiel seit fast zwei Jahren nichts Neues mehr zum Anziehen gekauft und viele meiner Sachen weggeschenkt. Wenn ich etwas Spezielles brauche, dann leihe ich es mir. Beim Einkaufen achte ich auf Zero-Waste- Shopping und vegan ernähre ich mich schon sehr lange. Fliegen käme für mich auch nicht in Frage.

Iván: Natürlich ist es eine berechtigte Frage, ob wir uns selber Gedanken machen. Aber es ist doch so: Die Rahmenbedingungen müssen geändert werden, damit Familien klimaneutral leben können! Die Frage führt auch zu einer weiteren Forderung von Fridays for Future: Klimagerechtigkeit herzustellen. Denn der Klimawandel betrifft als erstes den globalen Süden und die Menschen, die nichts dafür können, weil sie den Klimawandel nicht herbeigeführt haben.

Kommt ihr überhaupt noch zum Lernen? Ihr verpasst ja nicht nur die Freitage.

Iván: Ich mache ja gerade Abitur, zum Glück habe ich freitags nur Fächer, die mir leichtfallen. Aber stressig ist es natürlich trotzdem. Es wäre mir natürlich lieber, wenn unsere Forderungen so schnell umgesetzt werden, dass wir freitags nicht mehr die Schule schwänzen müssten.

Anna: Es ist tatsächlich viel aufwändiger, als das, was die Öffentlichkeit mitbekommt. Es sind ja nicht nur die zwei, drei Stunden an den Freitagen, sondern die vielen Gespräche mit Ordnungsamt, Polizei und den Schulen, Plakate müssen besorgt und gemalt werden usw.

Was sagt ihr zu den Reaktionen aus der Politik, Beispiel Christian Lindner?

Anna: Es ist lächerlich. Aber es zeigt auch, dass unser Streik wirkt. Zuerst wollten sich die Politiker mit uns darstellen, aber dann haben sie gemerkt, dass wir immer lauter werden. Wir sind die Resonanz der Wissenschaft.

Sind die im April erstmals schriftlich formulierten Forderungen von Fridays for Future ausreichend?

Anna: Ja.

Iván: Es sind die wichtigsten Forderungen. Einige Punkte wurden mit Absicht nicht aufgenommen, zum Beispiel das Thema Verkehr.

Bei den Demonstrationen laufen oftmals auch schon kleine Kinder mit. Ist das sinnvoll? Machen sich sieben- oder achtjährige Kinder schon Gedanken über
Klimaschutz?

Anna: Auf jeden Fall! Ich erinnere mich noch genau, wie ich als kleines Kind Dokus über sterbende Eisbären und Umweltverschmutzung gesehen habe und wie schrecklich ich mich gefühlt habe. So hilflos. Ich wollte etwas tun, aber was? Das ganze Thema war viel zu groß und komplex. Mit unseren Klimastreiks haben auch die ganz jungen Kinder eine Perspektive bekommen, sich zu engagieren und einzusetzen.

Merle: ich glaube auch, dass Kinder sich sehr viele Gedanken machen. Ich sehe das an meinen kleinen Cousins.

Und zum Abschluss die Frage, auf die ihr alle gewartet habt. Wie findet ihr Greta?

Anna: Ich habe großen Respekt davor, was sie angestoßen und geleistet hat, vor ihrer Konsequenz und ihren klaren Zielen. Aber inzwischen ist Fridays for Future eine Bewegung von vielen.

Iván: Fridays for Future ist nicht nur Greta! Es sind ganz viele verschiedene Menschen … ich halte nicht viel von Personenkult. Inhaltlich habe ich aber ebenfalls großen Respekt vor ihr.

Merle: Was sie macht, ist toll. Aber ich halte prinzipiell nicht viel von Vorbildern.

Macht ihr weiter?

Iván: Wir machen weiter! Bis sich etwas ändert.

Anna: Wir wollen aber kein Langzeitprojekt daraus machen. Wir wollen ja JETZT Ergebnisse sehen.

bw // Fotos: sho

Mehr unter:  fridaysforfuture.de

17. Juni 2019