So geht Nachbarschaft

NachbarschaftAlles begann an einem Samstag. Familie Keller war gerade in ihr neues Haus in Weinheim gezogen, da klopfte der Nachbar von schräg oben an die Tür. Eine Tüte Brötchen in der Hand. Heute hat die Nachbarschaft um Familie Keller eine Brötchen-Gruppe auf WhatsApp, jeden Samstag holt jemand anders die Brötchen für alle. Und jeden Mittwoch lädt Michaela Keller zum „Kindermittagstisch“ für alle Kinder der Nachbarschaft. Mal gibt es Kartoffelsuppe, mal Würstchen. „Eigentlich wollte ich schon längst mal Saltimbocca!“, wirft der neunjährige Niklas spitzbübisch ein. Beinah jeden Nachmittag und/oder Abend treffen sich die befreundeten Familien aus den umliegenden Häusern im Sommer bei Kellers im Garten unter dem schattigen Magnolienbaum. Zum Reden, Monopoly-Spielen, gemeinsam Pizzaessen oder einfach mal Luft holen und Ankommen, nach einem anstrengenden Arbeitstag. Die Kinder toben währenddessen durch den Garten. Wir von StadtLand-Kind dürfen heute auch dabei sein, wir wollen erleben, wie Nachbarschaft gelingen kann. Es gibt Minzwasser und Limonade, aber erst mal wollen die Kinder alles zeigen, was sie gebaut haben und wo sie jeden Tag spielen. „Habt ihr schon die Kletterbäume gezeigt“, fragt die Mutter des achtjährigen Wim? „Na klar, die Kletterbäume“, rufen zehn aufgeregte Kinder zwischen fünf und 11 und sprinten um die Ecke. Wir kommen so schnell kaum hinterher, unser Fotograf muss ja auch erst mal seine Tasche schnappen, aber dann bietet sich uns ein unglaubliches Bild: Sieben
riesige, unbelaubte Stämme einer ehemaligen Thujahecke werden von den Kindern in einer Affengeschwindigkeit
bis zu den „Sitzplätzen“, ganz oben, erklommen.

„Als wir hier eingezogen sind, erzählt Michaela Keller, „war der Garten von einem regelrechten Thujawald begrenzt. Irgendwann haben wir das Stück Garten in einer Gemeinschaftsaktion gerodet und nur die dicksten und stabilsten Stämme für die Kinder stehen lassen. Der Bereich dient den Kindern der Nachbarschaft seitdem als Spiel,- Schlamm- und Kreativbereich. „Wir haben diesen Teil des Gartens als Kinderbaustelle ausgewiesen“, erzählt die zweifache Mutter. „Und seitdem sind die Kinder hier immer mit Projekten beschäftigt, sei es ein Museumsbau, ein Barfußpfad oder – ganz aktuell – ein Schlammbad zu viert … bis zum Hals.“ Schöner als jeder Waldkindergarten, denken wir neidisch. Auch gezeltet wurde schon im Garten und gemeinsam in den
Urlaub gefahren und immer an Ostern wird gemeinsam ein großes Osterfeuer entzündet. Steht etwas an, basteln die Kinder Einladungen und verteilen sie an die Nachbarn. Der ganze Stolz der versammelten Kinder ist der Pizzaofen. Er wurde gemeinsam von Eltern und Kindern im letzten Jahr gebaut und seitdem wird hier natürlich regelmäßig Pizza gebacken – für alle, die Zeit haben. „Du hast noch nichts von unserem Kürbisfest erzählt“, wird Michaela Keller von ihrem Sohn Oscar ermahnt. „Stimmt, im Herbst feiern wir immer mit allen Nachbarn ein Kürbisfest. Wir backen Pizza, schnitzen Kürbisse, dekorieren den Garten mit Blättern … es ist immer wieder wunderschön und für alle ein tolles Erlebnis.“ Inzwischen ist das Kürbisfest so etabliert und beliebt, dass bis zu 100 Leute dazukommen.

Doch auch im Alltag funktioniert die Gemeinschaft. In einer der Garagen haben alle gemeinsam eine Art „Dingothek“eingerichtet, hier kann sich jeder das ausleihen, was er gerade braucht, sei es eine große Leiter, Klappmatratzen, diverse Sägen für Heimarbeiten, Bierbänke, Rasenmäher, Gartengeräte und Küchengeräte.

Während wir von den Kindern von Garten zu Garten geführt werden – natürlich dürfen sie überall spielen – trudeln immer mehr Nachbarn ein und plaudern im Schatten. Später sollen die Zeugnisse und der erste Ferientag mit einer Pizza und Salat für alle gefeiert werden.Für den Sommer ist eine Nachbarschaftsolympiadegeplant, eine Familie hat eine Tischtennisplatte, eine andere einen Tischkicker und eine Dartscheibe und die Kinder möchten unbedingt 100 mal ums Haus rennen.

Aber erst mal versammeln sich alle fürs Gruppenfoto. Wims Vater wird auch noch schnell aus der Küche vom Salatmachen dazugeholt. „Wir brauchen dich als Quoten-Vater auf dem Bild“, rufen die Mütter und alle müssen so sehr lachen, dass das Bild automatisch ganz wunderbar wird. „Wir sind wirklich glücklich mit unserer Nachbarschaft“, erzählt uns Michaela Keller abschließend. „Wir fühlen uns hier tatsächlich wie in Bullerbü, wir haben uns praktisch ein Dorf – in dem alle sich kennen und mögen und einander helfen – in der Stadt geschaffen. Ich selbst komme vom Dorf und wir hatten immer ein offenes Haus und genauso habe ich mir das auch für meine Kinder gewünscht.“ Ja, denken wir beim Abschied. So geht Nachbarschaft!

Bettina Wolf // Fotos: Simon Hofmann

Übrigens: Am 24. Mai 2019  ist bundesweit „Tag der Nachbarn“. Auf tagdernachbarn.de gibt es Infos. Vielleicht eine Gelegenheit, die Nachbarn kennenzulernen und sich ein eigenes Bullerbü aufzubauen.

Vernetzt euch!

1. September 2018