Kapiert bitte endlich, dass Stillen nicht ekelhaft ist

Stillen

Ein Screenshot des Facebookbeitrags von Spiegel Online.

 

Die Politikerin Larissa Waters hat ihr Baby gestillt, während sie im australischen Parlament spricht. Davon gibt es ein Video. bento und Spiegel Online haben das Video gestern auf Facebook geteilt. bento schrieb dazu „Starkes Zeichen für die Normalisierung des Stillens in der Öffentlichkeit“. Würden wir unterschreiben. Hunderte von  Menschen aber offensichtlich nicht. Die Kommentare unter diesem Video bei Spiegel Online sind zum Haareraufen. Eine Vielzahl von Menschen scheint eine weibliche Brust als abstoßend zu empfinden. Zumindest dann, wenn ein Baby dran nuckelt. Mal ganz abgesehen davon, dass man von der Brust so gut wie nichts sieht, wird hier eine derartige Häme über der Frau ausgeschüttet, dass man stundenlang mit dem Kopf schütteln möchte.
Von einer „Instrumentalisierung“ des Babys ist die Rede. Selbst Mütter greifen Waters an, auch wenn sie andere Argumente nutzen. Sie sprechen dann von angeblichen Stresshormonen, die auf das Kind übertragen würden, weil Stillen nur „in Ruhe“ ginge.

Gehts noch?

Natürlich provoziert Waters mit dieser Aktion. Aber offensichtlich ist das ja auch dringend notwendig, wenn sich Hunderte von Menschen öffentlich darüber echauffieren, dass ein Baby Nahrung bekommt.  An all die Schreihälse da draußen: Wenn ein Baby Hunger hat, dann hat es Hunger und dann braucht es Milch. Sofort. Und es kann nicht sein, dass eine Mutter die ersten Monate im Babyleben daheim auf der Sofakante verbringt, nur weil sich Menschen davon gestört fühlen, dass ein Fitzelchen nackte Brust in der Öffentlichkeit zu sehen ist. Deutlich weniger Brust, als jedes Bikinioberteil zeigt. Und es kann euch vollkommen egal sein, ob und wann eine Mutter wieder arbeiten geht. Es geht euch nichts an und es steht euch kein Urteil darüber zu. Es ist einzig und allein die Entscheidung der Mutter.

Und es grenzt an eine Unverschämtheit zu behaupten, dem Baby würde Stress übertragen oder die Bindung fehlen, nur weil seine Mutter nicht bei jedem Stillen still dasitzt und es ununterbrochen verliebt ansieht. Spätestens beim zweiten Kind hat eine Mutter dazu meistens übrigens  ohnehin keine Zeit mehr und Zweit- und Drittkinder sind auch nicht alle bindungslos und gestresst. Und es wäre auch ein wichtiges Zeichen von Respekt und Solidarität, wenn sich wenigstens Mütter, die selber gestillt haben oder gerade stillen, damit zurück halten würden, diese Politikerin öffentlich zu kritisieren. Es ist okay, wenn ihr nicht in der Öffentlichkeit stillen wollt. Es ist okay, wenn ihr nicht schon wenige Wochen nach der Geburt wieder arbeiten wollt, sondern lieber daheim bleiben und die Zeit allein mit eurem Kind verbringen möchtet. Und wir sind uns sicher, ihr seid alle tolle Mütter, aber hört bitte auf damit, euch für die besseren Mütter zu halten.

Und an all die anderen, die sich anmaßen, hier über Stress und Co. zu lamentieren: Es würde Mütter weit weniger stressen, wenn sie nicht immer noch Angst haben müssten, in der Öffentlichkeit angepöbelt zu werden oder aus Cafés herausgeschmissen, nur weil sie gerade ihr Kind stillen müssen.
Nichts, wirklich nichts stresst eine Mutter mehr, als das Weinen ihres Babys vor Hunger.

Und kapiert bitte endlich, dass Stillen nicht ekelhaft ist. Ekelhaft sind Kommentare, in denen das Stillen eines Babys gleichgesetzt wird mit öffentlichem  Fingernägelschneiden oder dem Gang auf die Toilette.

shy

https://www.facebook.com/bentode/videos/1481531111868372/?hc_ref=PAGES_TIMELINE

23. Juni 2017
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2 Kommentare

Alexander Horch

Wenn ich einen Vortrag eines Mannes anhöre, der gleichzeitig zum Vortrag per Telefon seinem Sohn bei der Suche nach dem Schülerausweis hilft, fühle ich mich als Zuhörer nicht ernst genommen. Ich erwarte von einem Vortragenden, dass er nur vorträgt und nichts anderes. Wenn er dringende Sachen regeln muss, dann muss er seinen Vortrag eben unterbrechen. Das wird in vielen Situationen vom Publikum akzeptiert werden.
Wenn eine Frau in ganz ähnlicher Situation ihr Kind stillt, dann verstehe ich nicht, warum sie nicht den Vortrag unterbricht, in Ruhe, das wäre auch für das Kind besser, ihr Kind stillt, um dann den Vortrag fortzusetzen.
Schrill, beides gleichzeitig machen zu wollen, oder? Ist das wirklich im Interesse des Kindes, oder eine gewollte Provokation? Ich kenne den beschriebenen Fall jedoch nicht, hier ist Vorsicht bei jeder Vorverurteilung (beider Seiten übrigens) angesagt.

Redezeit im Parlament ist ja auch für den Vortragenden total disponibel und verschiebbar – genau, A. Horch! (Achtung, Ironie)

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