Wo ist er nur? Der Schalter, den man umlegt und plötzlich ist Ruhe. Der die Synapsen wieder zusammenfügt, der die Lautstärke von gefühlten 200 Dezibel auf Zimmerlautstärke runterfährt? Nein, wir sind nicht in der Disco, nicht im überfüllten Großraumbüro. Wir sind mitten in der Pubertät. Und wenn ich sage wir, dann meine ich es auch so. Denn nicht nur das Kind befindet sich in einer der spannendsten Phasen seines Lebens, sondern auch wir Eltern. Und eines verbindet uns: Wir haben keinen Matchplan, wie wir da am besten durchkommen. Gestern saß noch das süße, putzige Kind am Frühstückstisch, heute ist schon alles anders. Die Kapuze des Hoodies tief ins Gesicht gezogen, der Löffel geht nicht mehr zum Mund, sondern der ganze Kopf Richtung Müslischale, stark abgekürzte Sätze ersetzen die Konversation und dazwischen immer das: Chill dein Leben.
Sie kennen das?
Nun, das beruhigt mich, aber nur ein wenig. Ich weiß, dass der Nachwuchs nur zu Hause aufbegehrt, auswärts wird er immer als nett und zuvorkommend beschrieben. Aber kaum ist die Haustür zu, erscheint das Tier im Kind. Jacken landen in der Ecke, Schuhe suchen sich vermeintlich selbst den Weg. Frisch gebügelte Wäsche, die eigentlich nur noch in den Schrank eingeräumt werden muss (wohlgemerkt von dem Kind selbst), wächst in der Folge zu einem Berg. Und ist der Berg irgendwann im Weg, dann wandert er in irgendeine Ecke des Zimmers. Was das Durchkommen aber keineswegs erschwert, denn den Weg durch den Dschungel findet man mittlerweile nur noch mit Klappspaten und Kompass. Mithelfen im Haushalt ist total out und der Verzicht aufs Handy zumindest stundenweise ist derart retro, weil absolut nicht mehr zeitgemäß. Anfangs recht harmlose Diskussionen arten schnell zum Drama aus, manchmal reicht ein kleiner, oft unbeabsichtigter verbaler Pieks, damit die riesige Pubertätsblase platzt.
Und wenn man dann mal wie eine tibetanische Gebetsmühle das Kind bittet, sich zu beeilen, weil man los muss, 30 Minuten später immer noch nichts geschehen ist und plötzlich der Nachwuchs unvermittelt am Auto steht und sich aufregt, dass der Erziehungsberechtigte (für Pubertierende übrigens ein Unwort) sich nicht beeilt, dann hofft man: es ist ein Moment, es ist eine Phase und das alles geht vorüber.
„Wie bleibt man einem Menschen nah, der einen zurückweist?“
Es ist das tägliche Aufbegehren gegen alle Normen, der Mittel zum Zweck, um seinen Platz in der Gesellschaft zu finden und sich dabei auch von seinen Eltern zu lösen. Gleichzeitig aber wird auch immer wieder der Rückhalt in der Familie gesucht. Und das sind dann die kleinen wertvollen Momente, die aber auch ungemein schwer sind. Denn wie bleibt man einem Menschen nah, der einen zurückweist? Wie schafft man es, trotz aller teilweise unterirdischen Diskussionen nicht nachtragend zu sein?
Ich gebe zu, anfangs fiel mir das verdammt schwer. Denn ich hatte das Gefühl, etwas zu verlieren. Nämlich das Kind in dem mittlerweile Jugendlichen, der sich gerne auf eine Stufe mit mir stellt und quasi im Vorbeigehen auch noch die Mutter vom Thron stößt. Doch mit der Zeit stellte sich bei mir eine gewisse Gelassenheit ein, die ich fast tagtäglich versuche zu bewahren. Natürlich wird jede Diskussion immer noch geführt, jeder Streit ausgefochten. Nur erfolgt das alles immer mehr auf Augenhöhe und nicht mit erhobenem Zeigefinger. Fördern statt nur fordern ist dabei eine Möglichkeit, sich trotz aller Spannungen anzunähern. Dinge direkt ansprechen und nicht aussitzen, klare Ansagen und dabei aber auch ein gewisses Verständnis dafür, warum nicht alles sofort den Weg in dieses komplett auf links gedrehte Gehirn findet – all das kann beiden Seiten helfen.
Und noch etwas ist wichtig: Vertrauen.
Ich unterstütze meine Kinder in (fast) allem, was sie machen. Gebe ihnen das Gefühl von Wertschätzung, das sie gerade jetzt brauchen. Und erinnere mich dabei an die Zeit, als ich zu Hause rebellierte, was zwar viele Jahre her ist, im Kern aber nicht anders war. Und dabei huscht mir auch ganz schnell ein Lächeln übers Gesicht. Denn mich als Pubertierenden hätte ich nicht wirklich gerne zu Hause gehabt und daher zolle ich meinen Eltern noch heute Respekt. Und im gleichen Augenblick merke ich, dass es mir meine Kinder eigentlich einfach machen. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass die Pubertät angeblich die erste Lebensphase ist, in der Eltern erstmals merken, ob die Erziehung der Jahre vorher irgendetwas gebracht hat. Man darf auch ruhig mal ein bisschen eitel sein. Also sehe ich dem Abenteuer Pubertät – auch weil jeder Tag anders ist – weiter gelassen entgegen, freue mich auf einen gemeinsamen Reifeprozess und werde trotz allem nicht aufhören, den Schalter zu suchen. Auch wenn ich irgendwie das Gefühl habe, dass ich ihn nicht finden werde … sf (Vater von drei Söhnen) // Foto: fotolia