Schlafen und essen. Das sind die zwei Themen, die Eltern in den ersten Jahren beschäftigen. Hungrig sind alle Babys. Aber müde? Müde sind sie auch, nur schlafen wollen die meisten nicht. Außerdem: wo soll das Baby schlafen – und wo will das Baby schlafen? Wann, wie lange, bei wem … Anders als beim zweiten Streitthema Essen, wirkt sich das Schlafverhalten der Kinder unmittelbar auf die Eltern aus. Schlafentzug gilt nicht ohne Grund als Foltermethode. Was also tun? Bücher kaufen? Kurse belegen? Die Wohnung umräumen? Riesige Betten für alle bauen?
So unterschiedlich die menschlichen Kulturen weltweit sind, in einem sind sie sich einig: Kleine Kinder gehören nachts in die Nähe ihrer Eltern. Mit einer Ausnahme: der modernen westlichen Welt. Hier wollen die Eltern unmittelbar nach der Geburt des neuen Familienmitglieds nachts „ihre Ruhe“. Dieser Wunsch ist verständlich. Aber er steht nun mal dem Wunsch des Babys nach Nähe, Wärme, Schutz diametral entgegen.
Unser Sohn schlief – solange er nur im Familienbett schlafen durfte – von Anfang an durch. Natürlich unterbrochen von einigen Stillpausen. Irgendwann wurde es ihm zu eng und heute schläft er in seinem eigenen Bett durch. Im Nachhinein bin ich froh, dass ich die Kommentare der Umgebung („Den kriegst du nie, nie wieder aus dem Bett!“ Oder: „Was macht ihr, wenn er
in die Pubertät kommt?!“) einfach ignoriert habe.
Die Tochter dagegen … Seufz. Sie ist inzwischen ein Schulkind, doch das Thema Schlafen ist immer noch ein Thema. War tagsüber zu viel los, kommt sie oft erst nach 22 Uhr zur Ruhe. Und ist
morgens entsprechend müde. Nachts wandert sie von Bett zu Bett, ist sie endlich eingeschlafen, weckt sie uns durch muntere Tritte in Gesicht und Bauch stündlich auf. Verpasst lustige Kinnhaken und hinterlässt blaue Flecke. Wir haben es aufgegeben, hier nach Lösungen zu suchen. Irgendwann, so hoffen wir, wird sie friedlich und früh am Abend in ihrem Bett einschlafen. So entspannt waren wir nicht immer. Die Müdigkeit war lange Zeit einfach zu groß. Wie Zombies quälten wir uns morgens aus den Betten (speziell wenn ein Elternteil sich in eines der Kinderbetten gequetscht hatte). Wir fühlten uns uralt.
Tagsüber auf dem Spielplatz visualisierte ich den Sandkasten mit einladenden Liegestühlen, bestückt mit weichen Kissen. Und abends im Restaurant konnte ich den Unterhaltungen nicht folgen. Ich konnte nicht aufhören zu denken: ‚Diese Bank, auf der ich sitze, ist so wunderbar gemütlich. Ob es auffällt, wenn ich zwischen den Gängen einfach kurz ausruhe?‘
Und trotzdem. Das Kind zwingen allein zu schlafen? Unmöglich. Belohnungen, Überredungsversuche, Argumente, nichts hatte genützt. Als sie zwei Jahre alt war und wir fast gar nicht
mehr schliefen, weil sich auch bis zu 20-mal nachts an die Brust wollte, suchten wir uns Hilfe. Ein Schlafkurs sollte her. In einem Krankenhaus in der Nähe wurden glücklicherweise „Schlafkurse“ angeboten. Die zuständige Dame war schwer zu erreichen. Als ich sie endlich persönlich am Apparat hatte, wurde es ein sehr nettes, empathisches Gespräch. Bis zu dem Punkt, als ich erfahren wollte, wann ich in den Kurs einsteigen könne.
„Besser Sie warten, bis der nächste anfängt, wir sind nämlich schon bei den Werkzeugen!“
„Besser Sie warten, bis der nächste anfängt“, war die Antwort. „Wir sind nämlich schon bei den Werkzeugen, um die Kinder zu fixieren.“ Ich dachte, ich hätte mich verhört. Werkzeuge? Wozu? Meine Befürchtungen bestätigten sich bei der Antwort: „Na, um die Kinder zu fixieren“. Dieser Kurs war definitiv keine Option. Natürlich hatten wir vorab auch die einschlägige Literatur studiert: „Jedes Kind kann schlafen lernen“. „Schlafen statt schreien“. „Lotta schläft – endlich“. „Das glücklichste Baby der Welt“ und vieles mehr. Auch wenn die Qualität der Publikationen sehr unterschiedlich ist, keine passte zu uns. Schlafen ist doch kein Verhalten, das man antrainieren kann. Das muss sich doch entwickeln. Dachten wir. Nein, Schlafen sei Erziehungssache, wenn Babys durchschliefen ein Verdienst der Eltern, bekamen wir zu hören. Das fühlte sich erstens falsch an, zweitens ist es durch die Forschung längst widerlegt. Angeblich lassen sich inzwischen immer mehr Eltern sogar von ihren Kinderärzten Schlafmittel für ihre Babys verschreiben.
Eltern lassen sich vom Kinderarzt Schlafmittel verschreiben. Für ihre Babys.
Kann das wirklich eine gesunde Lösung sein? Kleinkinder sind auf die Nähe zu ihren Eltern programmiert. „Schlafprogramme versprechen Eltern, die Einschlafprobleme ihrer Kinder zu lösen. Doch diese Programme versetzen die Kinder in Todesangst. Nur wenn sich die Kinder beschützt und sicher fühlen, finden sie echte Ruhe“, erläutert der deutsche Schlafforscher Herbert
Renz-Polster. Er ist Kinderarzt und vierfacher Vater und kennt das Problem. Beim Thema Schlafen, so Renz-Polster, darf es nie um Erziehung gehen. Wenn Kinder müde werden, so der Forscher, hat die Natur vorgesehen, dass das Kind die Nähe und damit Sicherheit der Eltern sucht. Wenn Eltern abends ihre Ruhe wollen, ist der Stress vorprogrammiert. Schlaflernprogramme sind aus entwicklungspsychologischer Sicht kontraproduktiv, weil sie Kindern ihre emotionalen Bedürfnisse „abtrainieren“. Kinder sind so gezwungen ihre Gefühle zu unterdrücken. Der dringende Wunsch nach Nähe sei aus evolutionsbiologischer Sicht äußerst sinnvoll. Denn ohne den Schutz eines Erwachsenen einzuschlafen, hätte in der menschlichen Frühzeit den sicheren Tod bedeutet. Kinder wären von wilden Tieren, Bären oder Hyänen, verschleppt und gefressen worden. So hat die Natur ein evolutionsbiologisches Programm, ein inneres Alarmsystem tief in Kindern installiert.
Das alles ist ein schwacher Trost für übermüdete Eltern. Ein Konzept, das für alle funktioniert, gibt es beim Thema Schlafen nicht. Was das jeweilige Kind braucht, welches Maß an emotionaler
Nähe, um endlich richtig schlafen zu können, kann nur das jeweilige Kind durch sein Verhalten zeigen. Und dann kann man eigentlich nur abwarten. Wir warten, wie erwähnt, immer noch …
Bettina Wolf // Foto: fotolia