Am Dienstag hab ich ein Reh gemalt. Für meine Tochter. Sie musste ihr Heft noch hübsch verzieren und hatte verdammt noch mal keine Zeit, weil sie noch Deutsch machen musste. Und Mathe. Und so gern noch ihre Puppe umziehen wollte.
Das Schuljahr ist jung, es ist Oktober. Ich fühl mich wie Juli nur kälter. Ich hab die Nase voll. Jetzt schon. Was, verdammt noch mal, läuft falsch in unserem System, dass ich mir als Mutter zweier Kinder mehr Gedanken um das Thema Schule mache, als um meinen eigenen Job?
Was läuft hier falsch, dass ich als Mutter zweier Kinder an manchen Tagen Stunden darauf verwende, Vokabeln abzufragen, nicht verstandene Grammatik zu erklären, Übungsblätter (auf Geheiß der Lehrer hin und mit kryptischen Zeichen vom Kind im Hausaufgabenheft notiert) im Internet zu suchen, auszudrucken und hinterher zu erklären, abgefahrene Wasserfilter-Experimente mit Klopapier vs. Küchenkrepp durchzuführen, Herbstblätter zu sammeln, Strafarbeiten mit Unterschriften zu versehen, noch mal Vokabeln abzufragen, schnell noch die Mathehausaufgaben zu kontrollieren, rasch ein Diktat zu üben, eben kurz die Kommaregeln zu wiederholen, ein Gedicht abzufragen.
Immer schnell, schnell.
Weil die Kinder ja auch irgendwann noch Freizeit haben möchten.
Und ich auch. Haha.
Es muss doch was falsch laufen, wenn es in der Whats-App-Gruppe des Sportvereins – in dem die Kinder zweimal die Woche trainieren – regelmäßig von Eltern entschuldigende Nachrichten hagelt, dass ihr Kind nicht kommen kann, weil es mit den Hausaufgaben wieder nicht fertig geworden ist. Versehen mit bitterlich weinenden Emojis.
Oder weil das Kind noch lernen muss. Irgendwas. Egal. Frierendes Emoji, weinendes Emoji.
Und das, obwohl das Training doch erst um 17:30 Uhr beginnt. Das ist die Uhrzeit, zu der der gemeine Arbeitnehmer aber mal längstens den gepflegten Feierabend antritt, zur Gym geht oder sich zischend ein Bierchen vor der Glotze öffnet.
Außer er ist unglücklicherweise Mutter. Oder noch unglücklichsterweise Kind.
Es gibt Tage, da fühle ich mich von morgens bis abends wie ein weinendes Emoji. Ich finde mich zum kotzen, wenn ich meine Kinder schon um kurz vor sieben Uhr mit erst halb offenen Augen zur Eile antreibe, selbst zur Arbeit haste, mittags kaum den Übergang vom eigenen Arbeitsdasein in das liebevolle-aufmerksame-ich-koch-noch-schnell-und-dann-macht-ihr-Hausaufgaben-nebenbei-saug-ich-noch-huch-die-Wäsche-oh-Kind-beeil-dich-du-musst-jetzt-zum-Chor-wie-war-es-in-der-Schule-Dasein finde.
Aber ich hab ein unverschämtes Glück: Ich kann das. Und meine Kinder, die können das auch.
Wir sind nicht so sehr gut in diesen Dingen. Es reicht nur für Mittelmaß. Aber es reicht. Mit Ach und Krach. Ehrlich gesagt, mit Ach und noch viel mehr Krach.
Und manchmal schummeln wir auch. Am Dienstag hab ich ein Reh gemalt. Für meine Tochter. Sie musste ihr HuS-Heft noch hübsch verzieren und hatte verdammt noch mal keine Zeit, weil sie noch Deutsch machen musste. Und Mathe und so schrecklich gern pünktlich ihre Theatergruppe besuchen wollte. Und eigentlich auch ihre Puppe noch umziehen wollte, aber für so einen Kinderkram bleibt ja das Wochenende.
Also koch ich mir einen Kaffee gegen die unendliche Mittagsmüdigkeit nach fünf Stunden Halbtagsjob und zu wenig Schlaf und mal halt noch ein Reh nach dem frisch gekochten gesunden-ausgewogenen Mittagessen und ich mal auch noch ein paar schiefe Bäume hin und weil ich gar nicht malen kann, wird das der Lehrerin gar nicht auffallen, dass ich das war. Und nicht das Kind. Hauptsache meine Tochter findet es schön.
Und manchmal, da rette ich meinem Sohn zum Spätnachmittag telefonisch noch den Arsch, weil ich noch genug Kraft aufbringe, mich auch ab und an mal mit Lehrern zu streiten. Über unsinnige Strafarbeiten zum Beispiel oder irgendwas, was er vergessen hat. Weil er halt vergesslich ist und völlig verpeilt, ja – und anstrengend, ja, aber deshalb noch lange kein hoffnungsloser Fall.
Aber manchmal, da hab ich auch keine Kraft und nullkommanull Geduld und bin unendlich genervt und brülle rum und fetze schluderige Hefte vom Tisch und bin ungerecht und laut und verzweifle, weil sie irgendwas nicht kapieren oder trödeln oder träumen, in die Luft gucken oder testen, wie tief man sich Kaktusstacheln unter die oberste Hautschicht des Zeigefingers stechen kann, ohne dass es blutet, statt endlich dieses verkackte Deusch-Arbeitsblatt zum Thema Aktiv-Passiv auszufüllen und die scheiß-dämliche-Schultasche für morgen zu packen.
Aber irgendwann abends, da finden wir wieder Frieden. Da lachen wir wieder gemeinsam. Weil wir es irgendwie hinkriegen. Gemeinsam. Alle. Das ganze Drama.
Und dann, wenn ich irgendwann doch Feierabend habe, so gegen halb zehn und wieder nicht direkt ins Bett gehe, obwohl ich das eigentlich müsste, um all die Kraft zu haben für den nächsten Tag, der um 6:30 Uhr beginnt. Und lieber noch ein Glas Wein trinke und unvernünftig noch ein zweites, dann frage ich mich, was ist eigentlich mit all jenen, die das nicht hinkriegen?
Was ist mit jenen Müttern, die nicht die Kraft dafür haben, das alles zu schaffen. Das mit dem Arbeiten und dem Haushalt und den Kindern und dem ganz normalen Leben.
Weil ihr Job sie auffrisst. Weil sie Existenzängste haben. Oder einfach Kummer. Weil sie Alleinerziehend sind. Weil das ganz normale Leben nicht immer freundlich ist. Und das System unbarmherzig. Weil sie nicht immer stark sind.
Weil ihre Kinder auch nicht auf Anhieb in diesem System funktionieren. Nicht alles sofort kapieren. Weil sie es einfach nicht schaffen. Weil sie keine drei Sprachen sprechen. Vielleicht nicht mal Deutsch. Weil sie auch Mathe vielleicht schon in der eigenen Schulzeit nicht kapiert haben oder nie gelernt. Weil sie keinen Bezug zu Erdkunde und der Oberrheinischen Tiefebene haben. Weil sie vielleicht aus einem anderen Land kommen, einem Land in dem es möglicherweise eine Rolle spielt, wer gegen wen Krieg führt, aber nicht, welche Gesteinsschichten, wo vorkommen. Weil sie ihren Kindern hier eine Zukunft bieten möchten, ihnen aber unser Schulsystemvöllig fremd ist.
Weil sie vielleicht nicht mal ein dämliches Vierte-Klasse-Reh malen können. Weil sie es vielleicht – sogar ganz sicher – könnten, aber weil ihre Kinder sich nicht trauen würden, sie darum zu bitten. Weil die Kinder schon verstanden haben, dass dieses blöde Reh zu viel wäre.
Was ist eigentlich mit jenen Müttern und Kindern in diesem Schulsystem?
Sie sind verloren.
Und das geht so nicht.
shy
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Du sprichst mir aus der Seele!
Wie recht du hast mit den Emojis, die ich mehrmals wöchentlich mit „wie schade“, „hoffentlich kommt xy bald mal wieder ins Training“ beantworte. Oder die Mails der Eltern: “ Mein Kind Mussehe für die Schule lernen, keine Zeit mehr für Sport“, das macht mich echt traurig. Wie sind wir bloß alle groß geworden? Mit Hobbys und Freunde treffen täglich. Wie haben wir es bloß geschafft, einen Abschluß zu machen, einen Beruf zu erlernen oder gar zu studieren?
Kinder mit Problematiken, Nichtstillsitzer, Meinungsäußerer…die sind alle krank! Krank gestempelt vom System. Passen nicht rein. Dabei finde ich es toll, was solche Kinder für Ideen haben, was für unglaublich positive Seiten sie haben. Aber die Gesellschaft will das nicht sehen. Denn was nicht passt, wird einfach passend gemacht, oder?
Ich bin wirklich sehr stolz auf meine Kinder, die sind wie sie sind. Ich finde es auch toll, dass dein Sohn noch träumen kann und deine toughe Tochter, die so viel lacht finde ich auch toll!
Es erwärmt mir das Herz, wenn ich dich lese ❤️️
Leider habe ich einen so genannten „Problemfall“ zu Hause und ich finde ihn wunderbar so wie er ist . Er sieht die Welt mit ganz anderen Augen und das ist toll. Doch leider „funktioniert“ er nicht so wie die Gesellschaft ihm das vorschreibt und soll daher Medikamentös eingestellt werden … Die spinnen doch alle die einzigen die Medikamente brauchen sind die , die meinen dass BESONDERE Kinder Medikamente brauchen um so zu funktionieren wie die es gerne hätten !!!! Mich macht es jedesmal so wütend wenn jemand zu mir sagt mein Kind wäre nicht normal … Was ist normal? Ein „Ja“sager ? Ein Kind was keine eigene Meinung haben darf weil es dann nicht der Norm entspricht? Es ist einfach nur zum kotzen !!!
Sobald du bei uns nicht mehr in die Norm passt, bist du ein Sonderfall. Und wirst mit sämtlichen Therapien noch mehr eingeengt. Darüber denkt aber keiner nach das dies ein ewiger Kreislauf ist der alles nur noch schlimmer macht. Man macht und tut und wird hinterher doch nur blöd angeschaut. Es ist einfach widerlich.
Ich selbst bin so ein „Sonderfall“ (und nicht besonders glücklich damit, um ganz ehrlich zu sein)… ich hatte überforderte Lehrer, habe einen IQ-Test hinter mir und auch einen Erziehungsberater der meine Mutter empfohlen hat, mich mit Medikamenten vollzustopfen…
Wieso? Weil ich eine unterforderte, verträumte Leseratte war, die im Kindergarten schon schreiben konnte… (bin jetzt 15)
Es sind nicht nur die, die Verhaltensprobleme/Krankheiten aufweisen, die nicht ins System passen. Nein, auch solche, die einen höheren IQ als alle Anderen habenwerden eingeengt, anstatt dass man uns fördern würde.
Die, die für unsere Ausbildung zuständig sind, scheinen sich zu denken, man müsse unsere „speziellen Fähigkeiten“ so lange wie möglich ignorieren und uns Kinder davor schützen. Es wird schlecht gemacht oder wir werden darauf reduziert und blöd angeschaut wenn wir mal eine Antwort nicht wissen.
Ich hatte mal ein Gespräch mit einem Lehrer, nur weil ich in einem Test knapp genügend war. Dass ich aber die ganze vorige Woche krank war, und vor zwei Tagen erst erfahren hatte, dass wir an jenem Tag einen Test schreiben würden, hat er gekonnt ignoriert.
Auch wir sogenannt hochintelligenten Kinder (von Mama liebevoll „kleine Genies“ genannt) können nicht immer funktionieren. Wir sind auch nicht perfekt!
Du sprichst mir total aus dem Herzen! Bin jetzt 30 und auch ich kenne das was du beschreibst aus meiner eigenen Schulzeit. Ich finde es toll zu sehen wie reflektiert du das mit 15 Jahren schon einschätzen kannst, so weit war ich damals bei weitem nicht. Mach weiter so und lass dich nicht unterkriegen, aber finde dich vorsichtshalber schonmal damit ab, dass sich dieser Effekt nicht nur auf die Schule beschränkt, sondern sich leider leider im Berufsleben fortsetzen wird… Der Trost, man kann trotzdem ganz gut leben!