In Deutschland hat jede Schwangere Anspruch auf Hilfe durch eine Hebamme – wenn sie denn eine findet. Die Arbeitsbedingungen für
Geburtshelferinnen in Deutschland werden immer schwieriger. Darunter leiden auch die Mütter.
Anke Kleiser hat alles gemacht wie empfohlen: Bereits im dritten Monat ihrer Schwangerschaft hat sich die Heidelbergerin auf die Suche nach einer Hebamme begeben – allerdings ohne Erfolg. „Ich habe die Liste der freiberuflichen Hebammen in Heidelberg rauf- und runtertelefoniert und nur Absagen bekommen“, erzählt sie. Und das, obwohl ihr Anliegen alles andere als außergewöhnlich war: Der kleine Anton sollte im Krankenhaus zur
Welt kommen, die Familie suchte „nur“ eine Hebamme zur Betreuung im Wochenbett. „Bei den meisten hieß es: ‚Wir sind voll‘“, berichtet
Anke Kleiser. „Zwischendurch bin ich fast panisch geworden.“
Ähnliche Geschichten können viele werdende Mütter erzählen. Denn die Situation in der Geburtshilfe in Deutschland ist gelinde gesagt angespannt. Obwohl jede Schwangere laut Gesetz Anspruch auf Hebammenhilfe vor, während und bis zu zwölf Wochen nach der Geburt
hat, wird es immer schwieriger, auch tatsächlich eine Hebamme zu finden. Es gibt keine amtliche Statistik mit genauen Daten zur Versorgung mit Hebammenhilfe in Deutschland. Auf einer interaktiven „Landkarte der Unterversorgung“ versucht der Deutsche Hebammenverband (DHV) deshalb den Missstand zu dokumentieren und besonders betroffene Regionen sichtbar zu machen. Repräsentativ
ist diese Erhebung nicht, doch die Tendenz ist deutlich: Vor allem in den Ballungsgebieten fehlt es laut der Karte an Hebammen. Auch
Anke Kleiser wusste von ihrem ersten Kind, wie wichtig eine Hebamme in der ersten Zeit nach der Geburt ist. Ohne diese Betreuung
auskommen? Für die junge Mutter nur schwer vorstellbar. Doch auch die Hebamme von damals stand nicht mehr zur Verfügung – sie hat Deutschland aufgrund der schwierigen Situation in der Geburtshilfe verlassen und praktiziert mittlerweile in London. Erst nach viermonatiger Suche wurde die Heidelbergerin schließlich fündig. Glück gehabt, muss man da wohl sagen. Denn nicht immer gibt es ein Happy End.
„Bei mir sitzen regelmäßig weinende Mütter im Laden, die keine Hebamme gefunden haben“, erzählt Siri Lehmann vom Trageladen
in Hemsbach. Als zertifizierte Trageberaterin hat sie viel Kontakt zu jungen Eltern – und hört immer wieder die gleichen Geschichten. Vor allem Erstgebärende seien mit ihrer neuen Situation kurz nach der Geburt oft völlig überfordert, so Lehmann. Obwohl ihre eigenen Kinder schon im Grundschulalter sind, engagiert sie sich in der Elterninitiative „Mother Hood“ für den Erhalt einer flächendeckenden Hebammenversorgung, denn sie sagt: „Meine Tochter soll später auch mal eine Hebamme haben.“
Rund 21.000 Hebammen sind derzeit in Deutschland tätig. Zwischen 70 und 80 Prozent arbeiten laut dem Deutschen Hebammenverband
(DHV) freiberuflich, zum Teil zusätzlich zu einer Anstellung. Etwa 2500 Hebammen bieten nach Schätzungen des DHV noch freiberufliche
Geburtshilfe an – bei Hausgeburten, in Geburtshäusern und als Beleghebammen in Kliniken. Tendenz fallend, denn die Arbeitsbedingungen
verschlechtern sich. Auf seiner Website warnt denn auch der GKV, der Spitzenverband der Krankenkassen, mit denen die Hebammen ihre Leistungen abrechnen, vor dem „Risiko der Freiberuflichkeit“ und verweist auf die Anstellung als Alternative.
In den Ohren vieler freiberuflicher Hebammen dürfte das wie bitterer Hohn klingen. Denn aus Kostengründen kündigen zahlreiche Kliniken den Geburtshelferinnen – und beschäftigen sie freiberuflich als Beleghebammen weiter.
Insgesamt betreuen Freiberuflerinnen dem Deutschen Hebammenverband zufolge etwa ein Viertel aller Geburten in Deutschland, die meisten als Belegkräfte in Kliniken. Ohne die freiberuflichen Hebammen würde die Geburtshilfe vermutlich zusammenbrechen. Trotzdem werden die Hürden für die Berufsausübung immer höher. Ein Hauptgrund sind die explodierenden Prämien für die Haftpflichtversicherung,
ohne die Hebammen nicht praktizieren dürfen. Von wenigen hundert Euro in den 1990er Jahren ist der Versicherungsbeitrag für freiberufliche Hebammen, die auch Geburten leiten, 2015 auf über 6200 Euro jährlich gestiegen. Die Folge: Immer mehr freiberufliche Hebammen ziehen sich aus ihrem ureigensten Tätigkeitsbereich, der Geburtshilfe, zurück. Andere hängen den Beruf ganz
an den Nagel.
Es gibt Redebedarf, könnte man meinen. Doch kaum eine Hebamme will sich zur aktuellen Situation äußern, geschweige denn eine Prognose abgeben zu ihrer persönlichen Zukunft oder der des Berufsstandes. „Keine Zeit“ oder „Erst mal abwarten, wie sich die Lage entwickelt“, bekommen wir auf unserer Hebammen-Suche immer wieder zu hören.
Auch Sonja Schaupp zögert erst – und erzählt dann doch, obwohl auch sie nicht weiß, wohin die Reise geht. „Hebamme ist mein Herzensberuf“, sagt die 41-Jährige. Aber immer mehr hat sie das Gefühl, zwar von den Frauen geschätzt, von der Politik jedoch im Stich gelassen zu werden. Seit 2004 ist sie als Geburtshelferin tätig, zunächst angestellt in einer Klinik, mittlerweile freiberuflich. Als eine von
nur noch ganz wenigen Kolleginnen in Heidelberg und Umgebung betreut Sonja Schaupp auch Hausgeburten. Momentan nur wenige im Jahr. Gerne würde sie wieder mehr Babys auf die Welt helfen, doch nicht nur die steigenden Versicherungsprämien belasten sie. Hinzu kommen auch immer strengere – die Hebammen sagen willkürliche – Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit die Kasse eine Hausgeburt
bezahlt. Beispielsweise darf der errechnete Termin um nicht mehr als drei Tage überschritten werden. „Das entbehrt jeder Studienlage“, sagt Sonja Schaupp. „Es ist völlig unklar, woher diese drei Tage kommen. 45 Prozent aller Kinder kommt später als errechnet zur Welt – eine Terminüberschreitung bedeutet nicht automatisch ein höheres Risiko.“ Durch die neue Regelung fühlt sie sich in ihrem Recht auf freie Berufsausübung beschnitten. „Und auch den Frauen wird so die Wahlfreiheit des Geburtsortes genommen, die ihnen rechtlich zusteht“, so die Hebamme.
Nebensache, findet der Krankenkassenspitzenverband GKV, immerhin komme die überwiegende Mehrheit der Kinder – laut Statistischem Bundesamt 98 Prozent – ohnehin im Krankenhaus zur Welt. Sonja Schaupp findet diese Argumentation ärgerlich. „Egal wie die Mehrheit entscheidet, die Wahlmöglichkeit muss gegeben sein“, findet sie. Aber das sei politisch nicht gewollt – wieso, versteht sie nicht: „Warum ist
Deutschland nicht in der Lage, die Vielfalt, die es mal gab, zu erhalten?“ Auch wenn der Protest der Hebammenverbände im Vergleich zu ihrer Größe sehr lautstark ist – wirklich präsent ist die Situation der Geburtshelferinnen in der Bevölkerung nicht. „Wir Hebammen können das nicht alleine schaffen“, ist Sonja Schaupp überzeugt. „Die Frauen müssten aufstehen und ihre Stimme erheben.“ Doch bereit sich zu engagieren sind wie immer vor allem die unmittelbar Betroffenen – und die haben nach der Geburt in der Regel erst einmal andere Sorgen, als politische Diskussionen zu führen. „Einen guten Start ins Leben – das kann eine so kleine Personengruppe wie die der Hebammen nicht alleine stemmen“, sagt auch Trageberaterin Siri Lehmann. „Das sollte über einen Fonds aufgefangen werden“, plädiert sie für eine Lösung,
die auch Hebammenverbände und Parteien wie die Grünen und die Linke befürworten. Sowohl in Österreich als auch in den Niederlanden gibt es bereits einen solchen Haftpflichtfonds, der die Hebammenversorgung sicherstellt. Das Prinzip: Jede Hebamme zahlt einen Pauschalbetrag ein, den Rest steuert der Staat bei. Geburtshilfe wird so zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe.
Wie konnte es soweit kommen?
Die Situation der freiberuflichen Hebammen in Deutschland ist schwierig. Die wichtigsten Gründe, warum das so ist:
Steigende Haftpflichtprämien: Ohne Berufshaftpflichtversicherung dürfen Hebammen nicht arbeiten. Die Versicherungsbeiträge jedoch steigen stetig – 2016 auf über 6800 Euro jährlich für Hebammen, die auch Geburten leiten. Dabei unterlaufen bei der Geburtshilfe nicht mehr Fehler als früher – im Gegenteil. Allerdings sind die Kosten für die Versicherer im „Schadensfall“ heute deutlich höher. Die zynische Rechnung: Geburtsgeschädigte Kinder leben dank moderner Medizin heute länger als früher – die Versicherungen müssen länger zahlen. Außerdem sprechen die Gerichte betroffenen Familien mittlerweile oft mehr Entschädigung zu. Hinzu kamen bisher noch häufig
Regressforderungen von den Kranken- und Pflegekassen der Geschädigten.
Streit um Ausgleichszahlung: Vor allem freiberufliche Hebammen, die nur wenige Geburten im Jahr betreuen, können die hohen Haftpflichtprämien kaum erwirtschaften. Ein so genannter Sicherstellungszuschlag soll die Kosten ausgleichen und die Hebammen finanziell entlasten. Um die Bedingungen für den Zuschlag ist zwischen dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und den Hebammen-Vertreterinnen ein erbitterter Streit entbrannt.
Kaum Versicherungsanbieter: Es gibt kaum noch Versicherungsgesellschaften, die eine Haftpflicht für freiberufliche Hebammen anbieten – das Geschäft ist schlicht nicht lukrativ genug. Einzig der Deutsche Hebammenverband (DHV) bietet über ein Konsortium
aus mehreren Versicherern noch eine Haftpflichtversicherung an. Die jetzige Regelung garantiert nur Versicherungsschutz bis 2018 – bei weiter steigenden Beiträgen.
Die Situation auf Station: Immer mehr, vor allem kleinere, Krankenhäuser schließen ihre Entbindungsstationen. Die GRN-Klinik in Weinheim hat sich für einen anderen Weg entschieden. Freiberuflerin mit eigener Praxis? Hebamme Gabriele Janku aus Weinheim hat sich gegen diese Option entschieden. „Die Zeit reicht nicht aus, um die hohen Kosten zu erwirtschaften“, ist ihre Erfahrung. „Man müsste die Taktfrequenz erhöhen.“ Dann jedoch, fürchtet sie, wäre die Qualität der Arbeit nicht mehr gewährleistet. Als angestellte Hebamme arbeitet sie in der Geburtshilfe der GRN-Klinik in Weinheim – mit festen Arbeitszeiten und geregeltem Einkommen, die Kosten für die teure Haftpflichtversicherung trägt ihr Arbeitgeber. Stressfrei allerdings ist auch ihr Job nicht. „Wir sind hier nicht überbesetzt“, formuliert Gabriele Janku es vorsichtig. Ein erfahrenes, verlässliches Team von Kollegen und eine gute Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Geburtshelfern mache trotzdem bei vielen Geburten eine 1:1-Betreuung durch eine Hebamme möglich.
Keine Selbstverständlichkeit: In vielen Kliniken sind die Geburtsstationen aufgrund von Personalmangel unterbesetzt. Regelungen wie eingeschränkte Kreißsaal-Öffnungszeiten sind keine Seltenheit. Im Bensheimer Heilig-Geist-Hospital etwa blieb der Kreißsaal über die Weihnachtsfeiertage geschlossen Die Umstrukturierungen im Gesundheitswesen führen außerdem dazu, dass viele kleine Kliniken schließen. Andere steigen aus der Geburtshilfe aus, weil diese, unter anderem aus versicherungsrechtlichen Gründen, ein finanzielles Risiko darstellt.
Die Folge: Geburtshilfe konzentriert sich zunehmend auf große medizinische Zentren, deren Angebot auf Risikogeburten ausgelegt ist. In Weinheim hat man sich bewusst für einen anderen Weg entschieden. „Uns ist es wichtig, dass Frauen aus Weinheim und Umgebung
wohnortnah entbinden können“, sagt Chefärztin Lelia Bauer, Leiterin der Geburtshilfe und Gynäkologie. Seit 2012 ist ihre Station als „Babyfreundliche Geburtsklinik“ zertifiziert. Das gesamte Team hat dafür noch einmal die Schulbank gedrückt – unter anderem mussten
auch die Ärztinnen und Ärzte eine Stillfortbildung besuchen. Das hat sich offenbar gelohnt. Seit drei Jahren steigen der Chefärztin zufolge die Geburtenzahlen der Klinik kontinuierlich. „Wir sind absolut im schwarzen Bereich“, betont Lelia Bauer. „Viele Frauen entscheiden
sich bewusst für uns, statt für ein großes Krankenhaus“, sagt Gabriele Janku. Nicht mehr Geld, sondern mehr Stellen in der klinischen Geburtshilfe wären ihr Wunsch. „Uns Hebammen ist wichtig, dass es ein schönes Geburtserlebnis ist. Das geht nur mit genügend Personal.“
npo // Foto: Photocase
[…] finden. Die Situation in der Geburtshilfe ist prekär. Wie es dazu kommen konnte? Das lest Ihr hier in meinem Beitrag für […]