Einmal im Jahr wählen die KIMI-Jurys aus der großen Zahl an neu erschienenen Büchern für Kinder und Jugendliche solche aus, die sich durch Vielfalt auszeichnen. Träger des KIMI-Siegels wurde zuletzt auch das von der Klaus Tschira Stiftung herausgegebene Buch „Schlau miteinander in die Zukunft“. Die Autorinnen des Werks, Bettina Deutsch-Dabernig und Nikola Köhler-Kroath, beschäftigen sich in dem Mitmachbuch mit Kinderfragen aus der ganzen Welt. „Wir haben 66 Kinder zwischen vier und zwölf Jahren aus 24 Ländern nach ihren Sorgen, Wünschen, Träumen und Erwartungen an die Zukunft gefragt“, so die Autorinnen, die beide für das Grazer Kindermuseum FRida & freD tätig sind.
Welche Idee steckt hinter dem Buch?
Köhler-Kroath: Wir wollten Kindern eine Stimme geben und das weltweit. Wir wollten wissen, was beschäftigt sie im Hinblick auf die Zukunft? Welche Fragen haben sie? Was liegt ihnen auf dem Herzen? Und das wollten wir in Form eines Mitmachsachbuchs beantworten. Das sollte natürlich sachlich und wissenschaftlich fundiert sein, ihnen aber auch Ideen geben, wie sie selbst kreativ und aktiv werden könnten.
Deutsch-Dabernig: Ganz am Anfang, als die Idee aufkam, etwas über die Zukunft zu machen, haben wir im Kindermuseum eine Box aufgestellt, und Kinder gebeten, auf Kärtchen zu schreiben, welche Ideen, Wünsche und Sorgen sie in Richtung Zukunft haben. Da ging es schon ganz viel um Ernährung, um Tiere und um Fortbewegung. Als wir die Kärtchen dann aber auf einem großen Tisch ausgelegt hatten, erkannten wir, dass das alles relativ ähnlich und mitteleuropäisch war und uns die globale und vielfältige Perspektive fehlte. Schließlich kam uns der Gedanke, dass unser Direktor ja auch Vorsitzender von „Hands-on international“ ist, der Vereinigung der Kindermuseen weltweit. Über die konnten wir unseren Aufruf dann aussenden. Denn uns war klar, dass ein Kind in Österreich vielleicht andere Fragen hat als eins in Griechenland oder Alaska. Wir wollten einfach schauen, was Kinder rund um den Globus bewegt.
Wie sind Sie vorgegangen?
Deutsch-Dabernig: Wir haben nur den Rahmen vorgegeben und vieles sehr offen gelassen. Gleich war für alle der Steckbrief mit Fragen wie „Wie heißt Du?“, „Wie kommst Du in die Schule?“ oder „Was ist Dein Lieblingsessen?“ sowie ein Foto.
Köhler-Kroath: Wir wollten ja nicht nur Fragen sammeln, sondern den Kindern auch ein Gesicht geben. Bei einem Kind haben wir lange gerätselt, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, weil das weder durch den Namen noch durch das Foto ersichtlich war. Dann haben wir gemerkt, dass es im Sinne des Buches, nämlich divers zu sein, ja auch gar keine Rolle spielt.
Was hat Sie berührt dabei?
Köhler-Kroath: Alma aus Gaza hat gefragt, ob irgendwann einmal Bildung wichtiger sein wird als Krieg. Da bekommen wir heute noch Gänsehaut. Es war für uns erstaunlich, wie breit das Spektrum der Themen war, das die Kinder abgedeckt haben. Für einen Jungen im Norden Kanadas ist wichtig, ob es in Zukunft noch Schnee geben wird. Ein Mädchen in Südamerika macht sich Sorgen über die verschmutzten Strände. Im asiatischen Raum fragen sich Kinder, ob ihre Stadt irgendwann einmal untergehen wird.
Gab es Überraschungen?
Köhler-Kroath: Mich hat das Statement von Rachel aus Moskau überrascht, die glaubt, dass es in Zukunft viel geben wird, was wir uns noch nicht vorstellen können, zum Beispiel, dass Männer Kinder gebären. Da mussten wir richtig weit ausholen. Und haben uns darauf verständigt zu sagen, dass alle Menschen, die eine Gebärmutter haben, Kinder zur Welt bringen könnten.
Deutsch-Dabernig: Gefreut hat uns, dass die Kinder auch den Mut hatten, die Frage nach dem Tod zu stellen. Diese Frage und die Antwort haben wir dann auch an den Schluss des Buches gestellt.
Köhler-Kroath: Manchmal mussten wir auch einräumen: „Wir wissen es nicht“. Da unterliegen wir auch dem Lauf der Zeit und dem Fortschritt der Wissenschaft.
Was haben die Kinder denn gemeinsam und wo unterscheiden sie sich am meisten?
Deutsch-Dabernig: Die Lieblingsspeisen sind ziemlich global. Und das Bedürfnis nach Freundschaft und Geborgenheit sowie eine gewisse Zuversicht, die manchmal fast erstaunlich ist.
Wie gehen Sie eigentlich als Autorinnenduo vor?
Deutsch-Dabernig: Wir machen die ersten Schritte gemeinsam, brainstormen, haben eine riesige Liste mit den Themen, Aktivitäten und Experimenten. Schwierige Kapitel formulieren wir gemeinsam, andere teilen wir unter uns auf und drüber schauen am Ende, das machen wir auch zusammen. Viel Arbeit ist das Kürzen, das uns immer sehr wehtut. Nikola ist bei uns mehr die handfeste Expertin für die Mitmachexperimente, ich bin mehr diejenige, die die Kommunikation mit dem Verlag übernommen hat.
Was hat es mit dem KIMI-Siegel genau auf sich?
Köhler-Kroath: Einmal pro Jahr wählen die KIMI-Jurys, bestehend aus Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, aus der großen Anzahl an Neuerscheinungen von Kindern und Jugendbüchern diejenigen aus, die bunt, realistisch und fantasievoll, vor allem aber vielfältig und ohne Klischees aus der Welt von Kindern und Jugendlichen erzählen.
Deutsch-Dabernig: Das KIMI-Siegel ist nicht so bekannt wie der deutsche oder österreichische Kinderliteraturpreis, aber es fokussiert stark auf das Thema Vielfalt – und das ist ja sehr wichtig. Als wir die Nachricht erhielten, haben wir uns natürlich erst einmal riesig gefreut, aber es erschien uns auch irgendwie logisch, dass gerade „Schlau miteinander in die Zukunft“ dazu gehört. Dadurch, dass es von Kindern aus der ganzen Welt stammt, deckt es per se schon Diversität ab.
Was bedeutet das für Sie?
Deutsch-Dabernig: Natürlich ist es wunderbar, eine Anerkennung zu bekommen, hinter der fachliche Expertise steckt. Aber wichtiger sind uns die Kinder und ihre Anliegen und dass wir ihnen damit eine Stimme verleihen. Wir haben das Buch vielen Erwachsenen und Amtspersonen gegeben, weil wir es wichtig finden, dass die Fragen, Wünsche und Sorgen der Kinder zur Kenntnis genommen werden.
Köhler-Kroath: Mich freut riesig, wenn jemand die Arbeit und Leidenschaft wertschätzt, die wir in die Bücher und unsere Ausstellungen stecken.
Wie gehen Sie mit dem Thema Vielfalt um, damit es nicht aufgesetzt oder erzwungen wirkt?
Deutsch-Dabernig: Das ist eine sehr gute Frage. In den Ausstellungen sind es vor allem die Protagonistinnen und Protagonisten. Beispielsweise in der Zeit-Ausstellung, die ja auch von der Klaus Tschira Stiftung gefördert wurde, haben wir bei den Figuren sehr darauf geachtet, dass sie verschiedene Alter haben, die Geschlechter gleichermaßen vertreten sind, aber bei der Hautfarbe war das schon schwieriger. Man muss wahnsinnig aufpassen, dass das nicht plakativ wirkt.
Das Buch:
Bettina Deutsch-Dabernig, Nikola Köhler-Kroath: Schlau miteinander in die Zukunft.
Dein Mitmachbuch mit Kinderfragen aus der ganzen Welt
Herausgeber: Klaus Tschira Stiftung
München: Dorling Kindersley Verlag 2020
Hintergrund:
Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein.
Weitere Informationen unter: klaus-tschira-stiftung.de